Ein diesiger Schleier liegt über Dakar, der Saharastaub macht sich in der westafrikanischen Millionenmetropole bemerkbar. Es wuselt in der Innenstadt, Autos hupen im Stau, Verkäufer versuchen ihre Waren loszuwerden, von der Kokosnuss über Sonnenbrillen bis hin zum Plastikchristbaum. Anzeichen für Aufruhr oder Krawall gibt es keine – dabei ist es ein großer Tag für die senegalesische Innenpolitik.

Vor Gericht wird verhandelt, ob Oppositionsführer Ousmane Sonko kommendes Jahr bei der Präsidentschaftswahl antreten darf. Seine Verhaftung im Juni sorgte für blutige Straßenschlachten, bei denen mindestens 18 Menschen ihr Leben verloren und tausende festgenommen wurden. Grund für seine Inhaftierung war, dass Sonko mit seiner Partei zur Gewalt aufgerufen habe.

Mann trägt Christbaum
Zwar ist der Senegal größtenteils muslimisch geprägt, Weihnachtsdekoration und sogar ein Christbaumverkäufer finden sich in der Innenstadt aber trotzdem.
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Antifranzösische Stimmung

Sonko ist ein Idol für die Jugend im Senegal und nutzt vor allem die zunehmende antifranzösische Stimmung im Land für sich, verspricht den Bruch mit den ehemaligen Kolonialmacht. Das kommt an. Zwar brodelt die Stimmung im Senegal, noch gilt das Land aber als stabiler Anker in der Krisenregion des frankophonen Westafrikas.

Seit 2020 kam es in sechs einstigen französischen Kolonien zu mindestens einem erfolgreichen Staatsstreich. Vor allem der Putsch im Niger im Sommer sorgte für viel Aufsehen und ließ weltweit die Sorgen ob der Sicherheitssituation in Westafrika zunehmen. Davor wurde in Mali, Guinea, Burkina Faso und dem Tschad geputscht. Etwas entfernt gab es auch einen gewaltsamen Regierungswechsel in Gabun. Abgesehen von Guinea stecken alle Länder in einer schweren Sicherheitskrise.

Österreich und Senegal

Gerade weil sich der Senegal bisher nicht in den Putschgürtel in der Sahelzone eingereiht hat, will Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) die österreichischen Beziehungen zu dem Land stärken. "Die Zukunft Europas wird künftig erheblich von der Beziehung zu Afrika abhängen", sagte Schallenberg am Dienstag in Dakar zum Auftakt seiner mehrtägigen Afrikareise, die ihn bis Freitag auch nach Südafrika führen wird. Mit dabei ist auch eine große Wirtschaftsdelegation. "Der Kontinent hat enormes Potenzial, birgt aber auch große Risiken wie Extremismus und Migration."

Alexander Schallenberg mit Annette Seck Ndiaye, die Senegals Außenministerin vertritt
Alexander Schallenberg mit Annette Seck Ndiaye, die Senegals Außenministerin vertritt.
APA/EDGAR SCHÜTZ

Schallenberg ist der erste österreichische Außenminister, der den Senegal seit Aufnahme der diplomatischen Beziehungen im Jahr 1961 besucht. Um die Beziehung auf sicherheitspolitischer und wirtschaftlicher Ebene zu stärken, hat er mit einer Amtskollegin ein Memorandum of Understanding unterzeichnet. Künftig soll es engere Zusammenarbeit geben in wirtschaftlichen Bereichen wie Industrie, Energie oder Landwirtschaft, aber auch im Bereich legaler und illegaler Migration.

Anstieg bei Migration

Vor allem Letztere hat während der vergangenen Monate massiv zugenommen. Meist sind es Männer, die abwandern – respektive eine gefährliche Reise zu den Kanarischen Inseln starten oder nach Nicaragua, um dann zu versuchen, weiter in die USA zu kommen. Die Kanaren sind mittlerweile mit einem Rekordanstieg von Migranten-Ankünften konfrontiert.

Mehr als 30.000 Menschen erreichten von Jahresbeginn bis Ende Oktober die spanische Inselgruppe – 15.000 davon allein im Oktober. Für die Kanaren wurde sogar der Migrations-Notstand verhängt. Dabei spielt sich der größte Teil der afrikanischen Migration innerhalb des Kontinents ab. 87 Prozent seien innerkontinentale Bewegungen, "nur" die restlichen 13 Prozent steigen auf Boote.

Klimawandel und Religion

Grundsätzlich sind Konflikte in der Region nichts Neues. Vor allem zwischen Ackerbauern und Viehhirten kommt es seit Jahrzehnten zu Reibereien – neben generellen gesellschaftlichen Umschichtungen befeuert der Klimawandel dieses Problem immer mehr, es wird schließlich immer trockener. "Gemischt mit den jüngsten religiösen Thematiken und extremistischen Problemen ergibt das eine gefährliche Mischung", sagt Caroline Hauptmann, die Leiterin der Konrad-Adenauer-Stiftung in Dakar. Diese deutsche Institution versucht in der Region zu vermitteln und den Dialog zwischen Bevölkerungsgruppen zu stärken.

Das sieht auch Schallenberg so. In der Sahelregion gebe es aktuell einen "gefährlichen Cocktail an Krisen mit Machtkämpfen und erheblichen Hangabrutschungen“. Der Putschgürtel teile den Kontinent in zwei Hälften – deswegen sei es essenziell, dass Europa stabilen Partnern wie dem Senegal den Rücken stärke.

Leergefischte Gewässer

In einer ohnehin bereits schwierigen Gemengelage sorgen die gestiegenen Lebenshaltungskosten bei vielen Menschen für Verzweiflung. "Einkaufen im Supermarkt ist oft teurer als in Österreich", sagt die österreichische Botschafterin im Senegal Ursula Fahringer. "Ein Liter Milch kostet bis zu drei Euro, ein Kilo Reis bis zu fünf Euro." Das gehe sich für viele nicht mehr aus. Nicht zu vergessen: das Problem der leergefischten Gewässer vor den Küsten. Große Industrie-Trawler, oftmals aus China, zerstören den traditionellen einheimischen Fischern große Teile ihrer Lebensgrundlage.

Baustelle mit Wellblech
Ein typisches Bild für Dakar: Überall wird gebaut, das zieht sich bis zum weit von der Innenstadt entfernten Flughafen. Nach baldiger Fertigstellung sieht es jedoch kaum wo aus.
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All das steigert die Unzufriedenheit der Menschen und spielte anderswo Putschisten in die Hände. "In allen Fällen gelang es der jeweiligen Militärjunta in kurzer Zeit, die weitverbreitete antifranzösische Stimmung auszunutzen und sich den Rückhalt weiter Teile der Bevölkerung zu sichern", schrieb Boubacar Haidara unlängst in einem Paper. Er ist Forscher am Bonn International Centre for Conflict Studies und beschäftigt sich mit Konflikten zwischen Bevölkerungsgruppen in Westafrika.

"Die Ablehnung der französischen Afrikapolitik geht auf Mali zurück und breitete sich von dort aus", meint Haidara. Frankreich hatte im Jahr 2013 damit begonnen, den von Jihadisten besetzten Norden Malis zu befreien. Anfangs sei das gut angekommen, doch in der Folge habe sich die Sicherheitskrise weiter verschärft und ausgebreitet. "Die antifranzösische Stimmung ist also auf das Scheitern von internationalen Interventionen zurückzuführen."

Vorteil für Russland

Laut Haidara spielen die ungeordnete Gesamtsituation und das tiefe Misstrauen gegenüber Frankreich vor allem Russland in die Hände. "Moskau kann den betroffenen Staaten eine andere Form von Sicherheit anbieten und somit Frankreich ersetzen – so geschehen in Mali mit dem Einsatz der Söldnertruppe Wagner."

Generell nimmt Russlands Einfluss in Westafrika zu, insbesondere im Sicherheitsbereich gibt es mit vielen Ländern eine enge Zusammenarbeit. Im Zusammenhang mit dem russischen Angriff auf die Ukraine positionierten sich die meisten afrikanischen Staaten, so auch Senegal, neutral. Sie enthielten sich bei Abstimmungen der UN großteils der Stimme. Mitunter fachen aber auch russlandfreundliche oder von dort finanzierte soziale Netzwerke eine europakritische Stimmung an. (Andreas Danzer aus Dakar, 12.12.2023)