Podium bei einer Pressekonferenz mit drei Kriminalpolizisten und der mutmaßlichen Tatwaffe auf einer Leinwand.
Gerhard Winkler vom LKA Wien (Mitte) und zwei Ermittler, dieungenannt bleiben wollen,berichteten Dienstag bei einer Pressekonferenz über die mutmaßliche Klärung der Obdachlosenmorde.
APA / TOBIAS STEINMAURER

Wien – "Ich bin der gesuchte Obdachlosenmörder!“, eröffnete am Montagnachmittag ein 17-Jähriger den überraschten Polizisten der Polizeiinspektion Leyserstraße in Wien-Penzing. Gegen 15.30 Uhr war der unbescholtene junge Österreicher alleine in der Dienststelle erschienen, nach diesem Geständnis wurde er sofort zu den Ermittlern des Landeskriminalamts (LKA) Wien gebracht. Die mussten zunächst prüfen, ob es sich um einen Aufmerksamkeitssucher oder tatsächlich um den Tatverdächtigen für zwei Morde und eine schwere Körperverletzung an drei unterstandlosen Menschen in der sommerlichen Bundeshauptstadt handelte, sagt Gerhard Winkler vom LKA Dienstagvormittag bei einer Pressekonferenz. "Wir stehen vor der unmittelbaren Klärung dieses Falles, der uns auch emotional sehr am Herzen gelegen ist", zeigt sich Winkler überzeugt.

Doch was ist das Motiv des Teenagers, im nächtlichen Wien Schlafende mit einem 23,5 Zentimeter langen Stilett-Messer zu attackieren? "Es gibt nicht den einen Auslöser", meint Winkler, der Jugendliche habe mehrere Probleme gehabt, die sich im Winter zugespitzt hätten. Seine Eltern ließen sich scheiden, als er noch klein war, ständige Streitereien sollen den Heranwachsenden belastet haben, sagt auch der von einem Elternteil engagierte Wahlverteidiger Manfred Arbacher-Stöger im STANDARD-Gespräch.

Seit er 16 wurde, konsumierte der Verdächtige illegale Rauschmittel – zunächst sogenannte "Partydrogen" wie Ecstasy, dann aber auch Kokain und Heroin in größeren Mengen. Im Februar brach er die Schule ab, die Streitigkeiten mit der Mutter, einer Staatsbediensteten, bei der er in in Wien-Ottakring lebte, nahmen zu. "Er hat geschildert, dass er ein Ventil für seine Aggressionen gesucht hat und von Wut, Unruhe und Traurigkeit getrieben gewesen sei", verrät Kriminalist Winkler.

Video: Obdachlose in Wien getötet - 17-Jähriger gestand blutige Übergriffe.
APA

Kein Hinweis auf schwere Psychose

Hinweise auf eine schwere psychische Erkrankung des zu den Tatzeitpunkten erst 16 Jahre alten Verdächtigen haben weder Winkler noch Verteidiger Arbacher-Stöger ausgemacht. Der massive Suchtmittelkonsum habe zwar Spuren hinterlassen, die von manchen Boulevardmedien kolportieren Befehle durch imaginierte Stimmen habe es aber nicht gegeben. Ein psychiatrisches Gutachten wird aber wie bei fast jeder Mordermittlung wohl von der Staatsanwaltschaft Wien in Auftrag gegeben werden.

Gegen eine schwere Geisteskrankheit spricht aber das überaus planmäßige Vorgehen des Jugendlichen. Laut seinem Geständnis bei der Polizei waren drei Faktoren für ihn entscheidend: Die Opfer mussten leicht verfügbar sein, er musste sie ungestört und ohne Zeugen angreifen können und sie mussten wehrlos sein. Ein expliziter Hass auf Unterstandslose habe ihn dabei nicht getrieben, es hätte auch schlafende Betrunkene treffen können.

Nach seiner Darstellung plante er die Taten penibel: Auf nächtlichen Streifzügen spähte er geeignete Tatorte aus und achtete auf offensichtliche Überwachungskameras. Hatte er einen geeigneten Ort entdeckt, besuchte er ihn in den Tagen vor den Angriffen mehrmals. Um eine Identifizierung zu erschweren, tarnte er sich mit einer schwarzen, tief ins Gesicht gezogenen Schirmkappe und einem "schalartigen Tuch", das er als Mundschutz verwendete, schildert Polizist Winkler.

Schwarz-Weiß-Bild einer Überwachungskamera, dass den Tatverdächtigen in Hernals zeigt.
Im August wurde der Tatverdächtige in Hernals von einer Überwachungskamera erfasst, Mitte Oktober veröffentlichte die Exekutive die Aufnahmen samt einem Identifizierungsersuchen.
LPD-Wien

Eine Kamera entging ihm aber: Mitte Oktober veröffentlichte die Polizei ein Video und Standbilder eines Mannes am Hernalser Gürtel, um ihn identifizieren zu können. Wie sich nun herausstellte, war es der Gesuchte. Der Exekutive war er bereits bekannt: einerseits wegen eines Suchtmitteldeliktes und andererseits, da er im September seine Mutter in der gemeinsamen Wohnung attackierte und verletzte. Da keine Haftgründe vorlagen, wurde er auf freiem Fuß angezeigt und in einem Krisenzentrum der Stadt Wien im Bezirk Währing untergebracht, berichtet Winkler. Hinweise, dass er etwas mit den Morden zu tun hatte, hatte man damals aber nicht.

Erst die Aussagen des Teenagers brachten den Durchbruch. Es folgten zwei Hausdurchsuchungen im Krisenzentrum und im Haus des Vaters im niederösterreichischen Weinviertel. Dort fand man im Kinderzimmer das laut Ermittlern in einer Couch "exzellent versteckte" Einsatzmesser. Auf die Frage, warum der Verdächtige sich just nun stellte, gibt es keine eindeutige Antwort. Im September habe er eine Lehre im Gastgewerbe begonnen und eine Freundin gefunden. "Bei ihr fühlte er sich geborgen und geliebt", meint der Polizist. Einen tatsächlichen Auslöser für seine Lebensbeichte habe es aber nicht gegeben. "Er konnte mit der Last nicht mehr leben", sagt Winkler, außerdem habe er die Fahndungsmaßnahmen verfolgt.

Die Verhängung der Untersuchungshaft wurde noch für Dienstag erwartet, im Falle der strafrechtlichen Verurteilung wegen Mordes droht dem Verdächtigen eine ein- bis 15-jährige Gefängnisstrafe. (Michael Möseneder, 12.12.2023)