Wasserkraft hat in Österreich einen besonderen Stellenwert – hier der Speichersee im Zillertal.
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Wer "Österreich Schlusslicht Klima" googelt, bekommt unzählige Treffer. Medien, die Opposition, aber auch Experten schießen sich auf Österreichs Bilanz bei der Reduktion der Treibhausgase ein. Kaum ein Land in der EU schneide schlechter ab. Mir kam das immer komisch vor.

Klar, Österreich ist kein Vorreiter. Deutschland hat viel mehr Sonnenstrom, die Norweger fahren viel mehr E-Autos, unser Land ist zersiedelt. Aber: Gebäude sind hierzulande gut gedämmt, der Bahnverkehr funktioniert besser als in den meisten anderen Ländern, und wir haben mit der Wasserkraft eine klimafreundliche Energiequelle.

Was ist also dran am "Schlusslicht Österreich" bei den Emissionen? Schauen wir uns die Daten dazu einmal genauer an. Los geht's.

Wenn man sich die Entwicklung seit 1990 ansieht, gehört Österreich innerhalb Europas tatsächlich zu den Schlusslichtern. Ich habe Daten von vor der Pandemie genommen (2019), weil es da gute, vergleichbare Zahlen gibt. Österreich ist eines der wenigen Länder, das seine Emissionen nicht reduziert, sondern sogar erhöht hat: um neun Prozent. Und das während Dänemark seine Emissionen um 42 Prozent reduzierte.

Das ist erstaunlich! Für eine bessere Vergleichbarkeit beschränke ich mich auf die Länder West- und Nordeuropas.

Schauen wir uns an, warum Österreich da ein Ausreißer ist. Mein erster Impuls war: Österreichs Bevölkerung ist stark gewachsen. Spielt das eine Rolle?

Nein. Zwar ist Österreich viel stärker gewachsen als Deutschland. Aber andere Länder sind deutlich stärker gewachsen.

Trotzdem ergibt es Sinn, die Bevölkerungsentwicklung außen vor zu lassen. Darum betrachten wir die Daten von nun an pro Einwohner.

Meine nächste Vermutung: Ist Österreichs Wirtschaft einfach viel stärker gewachsen als anderswo? Durch den EU-Beitritt, die Globalisierung und die EU-Osterweiterung gab es einen starken Schub. Mehr als anderswo?

Nein. Auch hier zeigt sich, dass andere Länder deutlich stärker gewachsen sind. Österreich liegt im Mittelfeld.

Meine nächste Vermutung: Waren die Emissionen 1990 einfach bereits deutlich niedriger als anderswo? Die Wasserkraft in Österreich wurde schon Jahrzehnte früher ausgebaut. Wenn die Emissionen 1990 anderswo noch sehr hoch waren, lassen sie sich einfacher reduzieren.

Da ist ein bisschen, aber auch nur ein bisschen etwas dran. Reiht man die elf Länder nach den niedrigsten Emissionen 1990 war Österreich auf Rang vier. Nur ist Österreich mittlerweile auf Rang sechs zurückgefallen.

Die Emissionen sind pro Kopf nur minimal gesunken, von 8,1 auf 7,7 Tonnen. In Dänemark haben sie sich von zehn auf fünf halbiert. In Frankreich fielen sie von sieben auf fünf, in Schweden und der Schweiz von sieben auf vier Tonnen. Auch Länder mit bereits niedrigen Emissionen konnten sie also viel stärker reduzieren.

Bereinigen wir die Daten noch einmal. Die Emissionsdaten bisher sind produktionsbasiert. Das heißt: Den Stahl, den die Voest produziert und exportiert, verursacht hier die Emissionen. Gleichzeitig importieren wir viel aus China, das zählt in diesen Berechnungen aber zu den chinesischen Emissionen hinzu.

So wird international klassischerweise gerechnet, weil es übersichtlicher ist. Um aber besser zu verstehen, wie Österreich abschneidet, lohnt ein Blick weg von der Produktions-, hin zur Konsumbetrachtung. Was die Voest exportiert, zählt dann nicht dazu, ein Turnschuh aus China, der hier gekauft wird, zählt aber zu Österreichs Emissionen.

Rechnet man alle Importe dazu und die Exporte weg, sind die Emissionen Österreichs um ein Viertel höher. Statt acht Tonnen pro Kopf kommen wir auf zehn Tonnen. Aber auch bei allen anderen Ländern steigen sie deutlich. Am Bild ändert sich wenig: Österreich war 1990 auf Rang drei bei den niedrigsten Emissionen und ist 2019 nur mehr auf Rang sechs. Außer Schweiz und Belgien konnten alle ihre konsumbasierten Emissionen stärker reduzieren als Österreich.

Wie man das Blatt also auch wendet: Österreich ist zurückgefallen. Fast alle vergleichbaren Länder haben ihre Emissionen stärker reduziert.

Warum fällt Österreich zurück? Dazu müssen wir einen Blick auf die verschiedenen Sektoren werfen. Der zeigt: In der Landwirtschaft hat Österreich die Emissionen ähnlich reduziert wie die Vergleichsländer. Im Energiebereich und im Gebäudebereich ebenso. Bei zwei Sektoren sticht Österreich aber massiv negativ hervor, bei der Industrie und im Verkehr.

In allen Vergleichsländern sind die Emissionen in der Industrie stark gesunken. In Österreich hingegen deutlich gestiegen. Die Emissionen im Verkehrsbereich sind überall gestiegen, aber in Österreich explodiert. Sie waren 2019 um 75 Prozent höher als 1990.

Schauen wir uns das nacheinander an. Was ist in der Industrie los?

Das lässt sich schnell beantworten. Sie macht in Österreich traditionell einen großen Anteil der Wirtschaft aus und ist noch einmal stärker gewachsen wie in fast allen anderen Ländern. Etwa fast viermal so stark wie in Frankreich oder Deutschland. Und vor allem emissionsintensive Branchen sind stark gewachsen, sagt der Klima-Ökonom Karl Steininger von der Universität Graz.

In Österreich zeichnet die Industrie für über 30 Prozent der Treibhausgasemissionen verantwortlich. Dänemark kommt auf zehn, Schweiz und Niederlande auf 20 Prozent. Die Emissionen der Industrie sind außerdem hauptsächlich in der Verantwortung der EU. Die Maßnahmen wie der Handel mit CO2-Zertifikaten sind überall gleich. Hier kann man also kein Verfehlen der österreichischen Klimapolitik festmachen.

Energie, Industrie, Flug- und Schiffsverkehr fallen in das Emissionshandelssystem der EU. Schauen wir uns deshalb einmal die Sektoren an, die rein in die nationale Verantwortung fallen. Die nennt man im EU-Jargon "Effort Sharing". Das sind dann hauptsächlich der Verkehr und das Heizen und Kühlen von Gebäuden.

In dieser Betrachtung ist Österreich kein so großer Ausreißer mehr. Die EU-Kommission nimmt als Basisjahr 2005. Bis 2022 sind die Emissionen Österreichs um 19,5 Prozent gefallen, stärker als in Belgien und Norwegen, aber deutlich schwächer als in Schweden (–36 Prozent) und der Niederlande (–33 Prozent). Frankreich, Dänemark, Finnland und Deutschland sind etwa im Bereich Österreichs.

EU-weit liegt Österreich auf Rang neun von 27 EU-Ländern, was die Reduktion betrifft. Es ist hier also kein Schlusslicht, aber sicher auch kein Vorreiter. Bis 2030 muss Österreich im Rahmen dieses sogenannten "effort sharing" die Emissionen um 48 Prozent senken. Es fehlen also noch 28,5 Prozentpunkte in nur acht verbleibenden Jahren.

Dass Österreichs Industrie so stark läuft, verzerrt also den Vergleich innerhalb der EU. Auch im Verkehr ist Österreich ein Sonderfall, wie die nächste Grafik zeigt.

In keinem der Vergleichsländer sind die Emissionen im Verkehrssektor so explodiert wie in Österreich. Das liegt nicht nur, aber zum Teil daran, wie die Emissionen gemessen werden. Jeder Liter Benzin oder Diesel, der in Österreich getankt wird, findet sich in der heimischen Treibhausgasbilanz. Mit der Südautobahn, der Tauernautobahn und dem Brenner gehen aber drei wichtige Transitrouten durch Österreich.

Ein Lkw-Fahrer, der auf dem Weg von Italien nach Deutschland auf der Tauernautobahn tankt, erhöht also Österreichs Emissionen, auch wenn der meiste Diesel im Ausland verbrannt wird. Noch ein zweiter Faktor kommt dazu: Bis vergangenes Jahr waren die Spritpreise hierzulande deutlich niedriger als in den Nachbarländern. Das war politisch so gewollt. Wer nahe an der Grenze lebt, tankt also lieber in Österreich. Das erhöht die Emissionen, auch wenn damit im Ausland gefahren wird.

Die Grafik zeigt gut, wie stark die Emissionen durch Transitverkehr und Tanktourismus von 1998 bis 2005 gestiegen sind (hellblau). Die Verkehrsemissionen, die auf Österreichs Straßen anfielen, sind in dunkelblau eingefärbt. Seit 1990 sind die Emissionen im Verkehr hierzulande um 75 Prozent gestiegen. Rechnet man den Anteil des Kraftstoffexports am Anstieg heraus, bleibt noch immer ein Anstieg von 36 Prozent übrig.

Das ist jetzt zugegeben kein statistisch astreiner Vergleich, aber für unseren Zweck hier genügt es: Auch ohne Tanktourismus macht der Verkehr Österreichs Klimabilanz kaputt. Nirgendwo sonst sind die Verkehrsemissionen so gestiegen wie hierzulande.

Das sieht man auch an den Daten seit 2005. Das war damals die Spitze des Tanktourismus – seither sinkt er. Bis 2019 sanken die Verkehrsemissionen Österreichs um zwei Prozent. Ich habe die Daten nicht um den Tanktourismus bereinigt, aber hätte ich es getan, wäre die Reduktion noch geringer. Nur Norwegen und Deutschland schneiden seit 2005 schlechter ab.

Hier ist noch die Entwicklung der nur auf österreichischen Straßen verursachten CO2-Emissionen bis 2022. Sie sind seit dem Höhepunkt 2017 um gut fünf Prozent gesunken.

Das Versäumnis der heimischen Verkehrspolitik zeigt sich auch am Anstieg in der Zeit nach der Finanzkrise (2009) und vor der Pandemie (2019). In dieser Zeit sind die Emissionen im Verkehr in den meisten Ländern gesunken.

In Österreich sind sie aber um 12,2 Prozent gestiegen. Korrigiert um den Export von Treibstoffen, bleibt in etwa ein Anstieg um acht Prozent, wie in Deutschland. Damit hinken die beiden deutschsprachigen Länder dem Rest Nord- und Westeuropas hinterher.

Das liegt unter anderem an der starken Zersiedelung in Österreich und den mit Abstand niedrigsten Steuern auf Benzin und Diesel unter den Vergleichsländern in der EU.

Das Resümee

Ist Österreich also Schlusslicht bei der Reduktion der Emissionen?

Nein – aber sicher auch kein Vorreiter, der es eigentlich sein sollte. Wenn man die gesamten CO2-Emissionen vergleicht, verzerren Industrie und Tanktourismus die Werte. Klar ist aber auch: Die niedrigen Spritsteuern hat sich Österreich schon selbst ausgesucht, und auch sonst schneiden wir im wichtigen Verkehrssektor miserabel ab.

In manchen Sektoren schließe Österreich aber wegen der Maßnahmen der türkis-grünen Regierung jetzt zu den Vorreitern auf, sagt der Ökonom Karl Steininger. Etwa bei den Erneuerbaren oder dem öffentlichen Verkehr. Diese Maßnahmen wirken aber immer erst mit der Zeit auf die Treibhausgasemissionen.

Die sind 2022 zwar stark gesunken – um sechs Prozent. Das lag aber zu einem Gutteil am Ukrainekrieg und an den hohen Energiepreisen, weniger an Strukturreformen, so der Ökonom. Die Emissionen müssten eigentlich jedes Jahr um diesen Faktor sinken, damit die Klimaziele erreicht werden können. Das Wirtschaftsforschungsinstitut prognostiziert für heuer aber nur einen Rückgang von zwei Prozent, für 2024 sogar nur einen Rückgang von 0,6 Prozent.

Werfen wir zum Schluss noch einen Blick auf das Jahr 2022. Wir haben uns ja bislang vor allem mit der Zeit vor der Pandemie beschäftigt. Wie schneidet Österreich im Vergleich ab?

Bei den E-Autos ist Österreich im hinteren Mittelfeld der Vergleichsgruppe. Gut zwei Prozent der Autos in Österreich sind rein elektrisch betrieben. In Dänemark sind es vier, in Schweden fünf und in Norwegen 24 Prozent.

Österreich hat mit 38 Prozent einen relativ hohen Anteil an erneuerbarer Energie am gesamten Energiemix. Das liegt vor allem an der Wasserkraft und am Holz.

Bei der wichtigsten Energiequelle für die Zukunft, Solarenergie, hinkt Österreich pro Kopf noch hinterher. Die derzeitigen Ausbauzahlen stimmen aber zuversichtlich für die Zukunft.

Bei der Windenergie liegt Österreich ganz gut. Denn Länder mit Meerzugang haben hier mit Offshore-Windkraft deutliche Vorteile – und allgemein mehr Wind.

21 Prozent der Kilometer, die wir uns in Österreich fortbewegen, werden mit Bus oder Bahn zurückgelegt. 79 Prozent mit dem Auto. Das klingt nach viel Auto und ist es auch – aber im Vergleich mit den anderen Ländern der niedrigste Wert. Österreich hat also sowohl einen gut ausgebauten öffentlichen Verkehr als auch zu hohe Pkw-Emissionen. Die Daten für die Verkehrsmittelwahl sind schon zehn Jahre alt, zeigen aber die Größendimensionen gut.

Endresümee

Es gibt also Licht und Schatten in Österreichs Klimapolitik. Österreich ist bei der Reduktion der Treibhausgasemissionen sicher kein Schlusslicht in Europa. Es ist aber als eines der reichsten Länder der Welt auch kein Vorbild – und nimmt seine globale Verantwortung in einer der wichtigsten Zukunftsfragen damit nicht wahr. Der Umstieg auf Solarenergie und E-Autos wurde verschleppt – was jetzt aber korrigiert wurde.

Was Raumplanung, Zersiedelung und Abgaben auf Autoverkehr betrifft, ist Österreich auf jeden Fall ein Schlusslicht. Der Föderalismus bremst: sowohl in der Raumplanung als auch bei der Widmung der Flächen für Erneuerbare. Auf lokaler Ebene lassen Bürgermeister Ortskerne großteils weiter aussterben. Die Bundesregierung wirft mit Geld und Förderungen um sich, investiert in den öffentlichen Verkehr und die Sanierung von Gebäuden.

Sie wagt sich aber weder an die Abschaffung fossiler Subventionen, an das Verbot von Gasheizungen in Wohnbauten noch an eine notwendige ordentliche Verteuerung des Autofahrens heran. In Städten und Speckgürteln bleibt der öffentliche Raum großteils weiter für Parkplätze statt Radwege reserviert. Die Klimaziele kommen damit in weite Ferne. (Andreas Sator, 26.12.2023)