Das spanische Amnestiegesetz hat am späten Dienstagabend die erste Hürde genommen. 178 der 350 Abgeordneten stimmten im spanischen Unterhaus, dem Kongress, für die Zulassung des Gesetzes zur Beratung. Es soll ermöglichen, dass die Anklagen rund um das Unabhängigkeitsreferendum in Katalonien am 1. Oktober 2017 eingestellt werden müssen. Der Abstimmung ging eine heftige Debatte zwischen den Vertretern der acht Parteien, die für eine Amnestie eintreten – neben den beiden Regierungspartnern, der sozialistischen PSOE und der linksalternativen Sumar, weitere linke Parteien sowie die Verfechter der Unabhängigkeit Kataloniens, des Baskenlandes und Galicien –, und den beiden rechten Parteien, dem Partido Popular (PP) und Vox, voraus.

PP-Chef Alberto Nuñez Feijóo kritisierte das Amnestiegesetz im Parlament als
PP-Chef Alberto Nuñez Feijóo kritisierte das Amnestiegesetz im Parlament als "Betrug".
EPA/FERNANDO VILLAR

Das Gesetz wird rund 400 Personen betreffen. Unter denen, die gerichtlich verfolgt werden, weil sie die Volksabstimmung trotz Verbots aus Madrid organisierten, ist auch der ehemalige katalanische Regierungschef Carles Puigdemont und weitere im Exil lebende Politiker. Unter den Begünstigten befinden sich auch 73 Polizeibeamte, die wegen Polizeigewalt am Tag des Referendums angeklagt wurden.

Die Argumente beim parlamentarischen Schlagabtausch waren nicht neu. Während der Vertreter der PSOE, Patxi López, von "Aussöhnung" und einem "Weg in die Zukunft" sprach, ist die Amnestie für den Chef der größten Oppositionspartei, des Partido Popular, Alberto Nuñez Feijóo ein "Betrug", "eine Schande" und "eine Erniedrigung des spanischen Volkes". Die Debatte sei der "traurigste Tag im Parlament seit dem 23. Februar 1981". Damals drang die Guardia Civil in die Volksvertretung ein und versuchte zusammen mit Teilen der Armee gegen die junge Demokratie zu putschen.

"Diktator" Sánchez

Der Sprecher der drittstärksten Kraft, der rechtsextremen Vox, Santiago Abascal, wünschte sich Regierungschef Pedro Sánchez gar vor Gericht, in einem "fairen Verfahren". "Wir werden ihm keine Amnestie gewähren", schloss er seine Rede, die fast schon gemäßigt ausfiel angesichts seiner Äußerungen am vergangenen Wochenende in Argentinien bei der Amtseinführung des dortigen Präsidenten Javier Milei. Abascal prophezeite, dass das spanische Volk "Diktator" Sánchez "an den Füßen aufhängen" könne.

Die beiden katalanischen Unabhängigkeitsparteien – Gemeinsam für Katalonien (JxCat) von Puigdemont und die in Barcelona regierende Republikanische Linke Kataloniens (ERC) – sehen in der Zulassung zur Beratung des Gesetzes einen wichtigen ersten Schritt. Für sie war die Amnestie Bedingung, um Sánchez zum Ministerpräsidenten zu wählen.

Sánchez, der bei der Parlamentsdebatte so oft angegriffen wurde, war nicht anwesend. Er weilt in Brüssel und in Straßburg, wo er die spanische EU-Präsidentschaft beendet. Das Thema Amnestiegesetz wird ihn allerdings auch dort verfolgen. PP und Vox wollen die Aussprache im EU-Parlament nach der Abschiedsrede von Sánchez am Mittwoch nutzen, um den Straferlass für Separatisten einmal mehr auf internationaler Bühne zu verurteilen. Bereits im November brachten sie das Gesetz vor das EU-Parlament. Außerdem versuchen sie den EU-Kommissar für Justiz, den belgischen Konservativen Didier Reynders, dazu zu bewegen, das Gesetz als undemokratisch und als Gefahr für den Rechtsstaat und die Demokratie in Spanien zu verurteilen. Bisher ohne großen Erfolg.

Noch ein langer Weg

Der Streit über die Amnestie wird Spanien noch eine ganze Zeitlang bestimmen. Das Gesetz geht jetzt seinen Weg durch Kommissionen und Plenarsitzungen des Kongresses. Dann wird es an die zweite Kammer, den Senat, verwiesen. Der wird das Gesetz wohl zurückweisen, da dort der PP über eine absolute Mehrheit verfügt. Es kommt dann erneut vor den Kongress, wo es endgültig verabschiedet werden kann.

Um den Weg durch den Senat zu verzögern, hat der PP eigens das Reglement der Kammer geändert. Statt bisher 20 Tage verweilt jetzt ein Gesetz bis zu zwei Monate vor der Regionalkammer. Endgültig in Kraft treten wird die Amnestie wohl im April. Klagen von PP und Vox vor dem Verfassungsgericht gelten als sicher. Allerdings werden diese keine aufschiebende Wirkung haben. (Reiner Wandler aus Madrid, 13.12.2023)