Der frühe Neandertaler fing den Höhlenbären. Die "Morgentauglichkeit" unserer ausgestorbenen Verwandten dürfte eine Anpassung an die im Norden unterschiedlichen Tageslängen gewesen sein.
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In der öffentlichen Meinung und in einschlägigen Gesundheitsstatistiken stehen die Frühaufsteher eindeutig besser da. Frühe Vögel, die laut Volksmund auch den Wurm fangen, gelten gemeinhin als leistungsbereiter und produktiver. (Obwohl eigentlich auch nachtaktive Eulen recht erfolgreich ihre Beute fangen.) In jedem Fall dürften menschliche Frühaufsteher gesundheitliche Vorteile haben, wie Untersuchungen immer wieder zeigen: So ermittelte eine Studie auf Basis von Daten der UK Biobank, dass Nachttypen ein höheres Sterberisiko haben.

Die UK Biobank umfasst die anonymisierten genetischen und gesundheitlichen Informationen von rund einer halben Millionen Personen, von denen sich rund 27 Prozent "definitiv als Morgenmensch" und neun Prozent "definitiv als Abendmensch“ deklarierten. 35 Prozent gaben an, "eher ein Morgenmensch" zu sein, 28 Prozent sahen sich "eher als Abendmensch". Wie die Forschung weiß, gibt es für diese Präferenzen genetische "Voreinstellungen", die nun von einem Wissenschafterteam um John Capra (University of California in San Francisco) auf ihre möglichen Ursprünge hin untersucht wurden.

Unterschiedliche Schlaf-wach-Rhythmen?

Die Hypothese der Forschenden: Womöglich haben wir bestimmte genetische Merkmale unseres Schlaf-wach-Rhythmus von den Neandertalern und/oder Denisovanern übernommen, denen nichtafrikanische Menschen ein bis zwei Prozent ihrer Erbsubstanz verdanken. Da sich die Entwicklungslinie der modernen Menschen vor rund 700.000 Jahren von diesen beiden ausgestorbenen nächsten Verwandten trennte und diese sehr viel früher in nördlicheren Regionen lebten, könnte das auch Auswirkungen auf die biologischen Uhren dieser Menschengruppen gehabt haben.

Als sich dann moderne Menschen vor rund 70.000 Jahren aus Afrika kommend weiter nach Europa und Asien vorwagten, trafen sie dort auf ihre gut angepassten Verwandten und paarten sich mit ihnen. Einige dieser für die neue Umgebung günstigen Genvarianten sind nachweislich auf die modernen Menschen übergegangen – während die meisten anderen, eher ungünstigen Neandertaler-Gene wieder "herausgemendelt" wurden.

Für einige Merkmale wurden solche Übernahmen bereits demonstriert: So dürften bei Neandertalern und/oder Denisovanern genetische Varianten im Zusammenhang mit der Anpassung an höher oder nördlicher gelegene Regionen entstanden sein, die im modernen Menschen fortleben. Die heutigen Bewohner des Hochlandes von Tibet etwa dürften sich dank dieser Gene an das Leben in dünnerer Luft angepasst haben. Auch die helle Haut der Mittel- und Nordeuropäer könnte ein Erbe der Neandertaler sein. Denn dadurch wird die Bildung von Vitamin D in nördlicheren Regionen erleichtert.

Morgentaugliche Neandertaler

Gilt diese genetische Übernahme auch für Gene, die den Tag-Nacht-Rhythmus regeln? Um diese Frage zu klären, untersuchten die Forschenden um den kalifornischen Bioinformatiker Capra, ob es genetische Hinweise auf Unterschiede in den biologischen Uhren von Neandertalern und modernen Menschen gibt. Mithilfe von Methoden der künstlichen Intelligenz ermittelten sie unter anderem 16 sogenannte circadiane Gene, die wahrscheinlich zwischen dem heutigen Menschen und unseren ausgestorbenen Verwandten unterschiedlich reguliert werden. Es scheint also funktionelle Unterschiede zwischen den Tag-Nacht-Rhythmen der Neandertaler und denen moderner Menschen zu geben, folgern die Forschenden im Fachblatt "Genome Biology and Evolution".

Im zweiten Schritt wurde analysiert, ob genetische Varianten, die von Neandertalern auf den modernen Menschen übergegangen sind, mit den Präferenzen für Wachsein und Schlaf in Verbindung stehen. Tatsächlich entdecke Capra mit seinem Team etliche dieser Varianten, die Auswirkungen auf den Tag-Nacht-Rhythmus hatten. Am auffälligsten war, dass diese Varianten durch die Bank die "Morgentauglichkeit" erhöhen, also die Neigung, früh aufzuwachen. Das stehe im Einklang mit Anpassungen an den nördlichen Breitengrad, schließen die Forschenden, die darauf verweisen, dass solche Adaptionen auch schon bei anderen Tieren (etwa Fruchtfliegen) beobachtet wurden.

Menschen, die zu den Frühaufstehern zählen, verfügen über eine etwas schnellere Taktung der circadianen Rhythmik. Der Tag-Nacht-Rhythmus beträgt bei ihnen etwas weniger als 24 Stunden, während die eher nachtaktiven Personen einen über 24 Stunden langen Rhythmus haben. In höheren Breiten – also weiter im Norden – ist eine kürzere Taktung vermutlich von Vorteil, denn sie erlaubt eine bessere Anpassung des Schlaf-wach-Rhythmus an äußere Signale wie die über das Jahr hinweg stark schwankenden Tageslängen. Dem entspricht, dass Frühaufsteher tendenziell eher in nördlichen Breiten anzutreffen sind. Und ihre Morgentauglichkeit ist, wie zu beweisen war, auch ein genetisches Erbe der Neandertaler. (tasch, 15.12.2023)