Der Prozess gegen Giovanni Angelo Becciu und weitere Angeklagte hat zweieinhalb Jahre und 86 Gerichtssitzungen in Anspruch genommen und endete am Samstagabend mit einem historischen Urteil: Es ist das erste Mal, dass ein Kardinal von einem aus Laien zusammengesetzten Vatikan-Gericht zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wurde.

Zu diesem Zweck musste Papst Franziskus eigens das kanonische Verfahrensrecht ändern – denn früher war für die Bestrafung von Kardinälen einzig und allein der Papst, der letzte absolutistische Monarch Europas, zuständig gewesen. Der heute 75-jährige, aus Sardinien stammende Becciu war bis zu seinem abrupten und tiefen Fall jahrelang einer der einflussreichsten Prälaten der Kurie gewesen und galt sogar als "papabile" – also als möglicher Anwärter dafür, selber einmal Papst zu werden.

Giovanni Angelo Becciu
Giovanni Angelo Becciu landet nicht am Papst-Thron, sondern im Gefängnis.
AFP/ANDREAS SOLARO

In dem Prozess ging es um ein Immobiliengeschäft, das für die Kassen des Kirchenstaats katastrophal geendet hatte: Das vatikanische Staatssekretariat (die "Regierung" des Papstes) hatte unter Becciu zum Erwerb einer Luxusimmobilie an der Londoner Sloane Avenue in den Jahren 2013 und 2014 in einen Hedgefonds einen dreistelligen Millionenbetrag investiert. Auch Gelder aus dem sogenannten Peterspfennig, den Gläubige auf der ganzen Welt spenden und der eigentlich karitativen Zwecken zugutekommen sollte, wurden für den Deal zweckentfremdet.

Obwohl der Fonds äußerst risikobehaftet gewesen sei und kaum eine Kontrolle ermöglicht habe, sei das Investment von Becciu, damals stellvertretender Chef des Staatssekretariats und damit die Nummer Drei im Vatikan, genehmigt worden, betonte der vatikanische Staatsanwalt Alessandro Diddi.

189 Millionen verzockt

Vor dem Vatikan-Gerichtshof mussten sich insgesamt zehn Personen verantworten, von denen nur einer freigesprochen wurde. Die meisten Angeklagten hatten in irgendeiner Form bei der verunglückten Immobilienspekulation, bei der geschätzte 189 Millionen Euro verzockt wurden, mitgewirkt.

Im Prozess wurden aber auch noch andere Entscheidungen Beccius beurteilt, unter anderem Zuwendungen in der Höhe von 570.000 Euro an eine selbsternannte italienische Geheimdienstspezialistin, die mit dem Geld angeblich eine in Afrika entführte Ordensfrau befreien wollte. In Wahrheit hat sie den Großteil des Betrags für Luxuskleidung und teure Möbel ausgegeben. Die italienischen Medien munkelten, bei der Dame habe es sich um eine Geliebte des Kardinals gehandelt, was natürlich beide vehement dementierten.

Mit der Verhängung von fünfeinhalb Jahren Gefängnis wegen Veruntreuung und Betrugs ist der vatikanische Gerichtspräsident Giuseppe Pignatone – einst ein erfolgreicher italienischer Anti-Mafia-Staatsanwalt – unter den Forderungen des Anklägers Diddi geblieben, der sieben Jahre und drei Monate für Becciu beantragt hatte.

200 Millionen Euro Schadenersatz

Weiter verhängte Pignatone für den Kardinal eine Strafzahlung von 8.000 Euro und ein lebenslanges Verbot, öffentliche Ämter zu bekleiden. Einzelne andere Angeklagte wurden zum Teil noch zu höheren Strafen verurteilt; die "Geheimagentin" wiederum muss für drei Jahre und neun Monate ins Gefängnis. Gemeinsam verdonnerte das Gericht die neun Verurteilten außerdem zu 200 Millionen Euro Schadenersatz an den Vatikan, den sie solidarisch zu leisten haben.

Die Verteidiger Beccius erklärten noch im Gerichtssaal, dass sie gegen das Urteil Berufung einlegen werden: Becciu sei unschuldig und Opfer einer vatikanischen Intrige. Der Staatsanwalt sei trotz umfangreichster Ermittlungen den Beweis schuldig geblieben, dass Becciu auch nur einen einzigen Cent in die eigene Tasche abgezweigt habe. Die Anwälte beklagten des Weiteren die Vorverurteilung ihres Mandanten durch den Papst: Franziskus habe, bevor der Prozess überhaupt begonnen habe, Becciu alle Rechte als Kardinal aberkannt und ihn auch präventiv aus dem nächsten Konklave (Papstwahl in der Sixtinischen Kapelle) ausgeschlossen.

Päpstliche Interventionen

Tatsächlich genügt die vatikanische Gerichtsbarkeit kaum den Anforderungen, die man von der Justiz in demokratischen Staaten her kennt. So hat der Souverän des Kirchenstaats, also der Papst, beim Prozess gegen Becciu mehrfach interveniert und die Spielregeln während des Spiels geändert – laut den Anwälten immer zu Ungunsten des Angeklagten.

Außerdem seien der Verteidigung immer wieder Beweismittel vorenthalten worden. Die Bemühungen des Papstes, beim Finanzgebaren des Kirchenstaats Transparenz zu schaffen, Korruption und Vetternwirtschaft zu bekämpfen und künftige Verlustgeschäfte zu vermeiden, verdient zweifellos Anerkennung – beim Prozess gegen Becciu bleibt aber der fatale Eindruck zurück, dass zu einem guten Zweck ein ungutes Exempel statuiert werden sollte. (Dominik Straub, 17.12.2023)