Neugeborenes in den Händen des Vaters
Weihnachten gilt immer noch als Fest der Familie. Und der Jahreswechsel animiert dazu, sich beim Kinderwunsch unterstützen zu lassen, wenn es nicht von selbst klappt.
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Es ist ein idyllisches Familienbild: Der Christbaum erstrahlt im Kerzenglanz, und davor leuchten die Kinderaugen damit um die Wette. So oder so ähnlich ist die Vorstellung, die in vielen Köpfen zu Weihnachten herumgeistert. Durchaus kitschig, aber es hat auch was.

Dabei stellt es etwas dar, was für so manche Paare schwer erreichbar ist. Denn Nachwuchs ist nicht selbstverständlich, immer öfter werden Paare nicht mehr einfach schwanger. Fünf Prozent aller Kinder in Österreich werden nach einer In-vitro-Fertilisationsbehandlung (IVF) geboren, also nach künstlicher Befruchtung. Im Jahr 2022 waren das 4.132 Babys, und die Tendenz ist steigend.

Gerade rund um die Weihnachtszeit gehen deutlich mehr Paare, die sich Nachwuchs wünschen, den Weg in ein Kinderwunschzentrum, nie gibt es so viele Ersttermine wie im Dezember und Jänner. Warum das so ist, weshalb immer mehr Paare Unterstützung brauchen und wie das auch für Stress in der Partnerschaft sorgt, berichtet Andreas Obruca im STANDARD-Interview. Er leitet das Kinderwunschzentrum an der Wien und ist Präsident der österreichischen IVF-Gesellschaft.

STANDARD: Im Dezember und im Jänner herrscht eine enorme Frequenz in Kinderwunschzentren. Woran liegt das?

Obruca: Ja, rund um Weihnachten ist der Kinderwunsch am größten. Das liegt wohl auch daran, dass es immer noch als Familienfest gilt. Für so manche Paare ist das womöglich der Anstoß, sich Unterstützung zu holen. Der Kinderwunsch taucht dabei aber nicht aus dem Nichts auf, bei vielen Paaren steht das Thema schon länger im Raum, und wenn es bis zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht klappt, sind Weihnachten und der Jahreswechsel oft der Moment, in dem man sich dazu entschließt, sich Hilfe zu holen. Das zeigt sich eben in den steigenden Anfragen bei uns, auch die Anträge für Unterstützung beim IVF-Fonds steigen.

STANDARD: Spielt da womöglich der Wunsch mit, das nächste Weihnachten mit Kind zu feiern? Wie realistisch ist diese Möglichkeit?

Obruca: Eine Fruchtbarkeitsbehandlung braucht natürlich etwas Vorlaufzeit, das sind im Schnitt zwei Monate. Hat man vor Weihnachten den ersten Termin, kann man realistischerweise im Februar den ersten Versuch machen. Klappt es gleich, dann geht es sich aus. Ich glaube aber gar nicht, dass es um das Bild geht, gemeinsam mit dem Baby unterm Baum zu sitzen. Es ist einfach die Zeit, in der man sich stärker mit dem Thema Familie auseinandersetzt.

STANDARD: Wer kommt in ein Kinderwunschzentrum?

Obruca: Tatsächlich haben sich die Ursachen, warum Frauen und Paare zu uns kommen, verändert. Vor 30 Jahren waren verschlossene Eileiter bei 60 Prozent aller Kinderwunschbehandlungen die Ursache, und es waren vorwiegend jüngere Frauen. Das ist natürlich nach wie vor eine Ursache, aber nur noch bei rund 20 Prozent der Frauen. Mittlerweile können wir viel mehr Menschen helfen, weil wir bessere Therapiemöglichkeiten haben.

Und das Alter der Paare, die zu uns kommen, hat sich verändert. Heute sind die Hauptgründe, warum es nicht klappt, dass entweder die Frau schon über 35 ist oder dass der Mann ein schlechtes Spermiogramm hat.

Wir sehen außerdem viele Paare, und das ist gut so, die vor 30 Jahren noch gar nicht die Möglichkeit zu so einer Behandlung hatten, gleichgeschlechtliche Paare etwa und Transgenderpaare. Das sind Familienformen, die jetzt immer mehr in den Kinderwunsch hineinkommen und bei denen es ganz klar und natürlich ist, dass man den auch erfüllen will.

STANDARD: Das heißt, die Tatsache, dass viele Frauen ihren Kinderwunsch deutlich später erfüllen wollen als noch vor 30, 40 Jahren, ist definitiv ein Problem?

Obruca: Ja, das Alter ist ein Riesenthema für die Fruchtbarkeit. Die Fertilität verändert sich sowohl beim Mann als auch bei der Frau im Laufe des Lebens. Das ist eine biologische Tatsache, die wir vor allem beim Mann lange so nicht wahrhaben wollten. Die Fruchtbarkeit geht ja auch nicht so abrupt runter, das passiert schleichend.

STANDARD: Erzeugen Männer nicht ihr ganzes Leben lang Spermien?

Obruca: Ja, unter der Voraussetzung, dass die Hoden intakt sind. Der Mann wird nicht an sich unfruchtbar, theoretisch produziert er auch mit 90 noch Spermien und ist zeugungsfähig. Aber wir wissen heute, dass Väter, die über 50 sind, nicht nur einen schlechteren Samen haben. Sie können ihren Kindern auch langfristig Probleme mitgeben, die nicht so klar sind. Autismus etwa, aber auch andere, eher unspezifische Gesundheitsthemen.

STANDARD: Und wie nimmt die Fruchtbarkeit bei der Frau ab?

Obruca: Wenn ein Mädchen auf die Welt kommt, sind alle Eizellen im Eierstock als Paket bereits vorhanden. Ab dem Moment der Geburt beginnen deshalb die Eizellen zu altern. Biologisch gesehen ist die Hochzeit der Eizelle im Alter zwischen 15 und 25 Jahren. Je älter man wird, desto mehr Eizellen gehen zugrunde oder haben genetische Defekte, das kann man relativ linear nachweisen. Das heißt, mit 35 Jahren sind rund die Hälfte der verbleibenden Eizellen genetisch defekt. Mit 40 sind es etwa zwei Drittel, und mit 45 Jahren sind es über 90 Prozent. Dadurch verringert sich ab Mitte 30 die Wahrscheinlichkeit, schwanger zu werden, schon deutlich.

STANDARD: Gilt das auch bei einer künstlichen Befruchtung?

Obruca: Ja, mit einer defekten Eizelle kann eine Frau nicht schwanger werden. Das Durchschnittsalter unserer Patientinnen liegt bei 37 Jahren, da muss man dann schon ganz klar sagen, sie sind in einem Alter, in dem es nicht mehr automatisch klappen muss. Wir können mit Technik und unterschiedlichen Methoden einiges kompensieren. Aber die Grundidee, dass die Fertilität eine abnehmende Kurve darstellt, ist eine Tatsache, die man nicht umgehen kann.

STANDARD: Es gibt zahlreiche Kinderwunschzentren in Österreich, offensichtlich besteht hier großer Bedarf. Bei wie vielen Babys wird nachgeholfen?

Obruca: Etwa bei jedem vierten Paar, das versucht, schwanger zu werden, gelingt das nicht spontan, und es wird irgendeine Art von Hilfe in Anspruch genommen. Das ist nicht immer gleich künstliche Befruchtung, das kann auch eine Beratung sein, eine Hormonbehandlung oder anderes. Aber etwa fünf Prozent aller Kinder in Österreich kommen nach einer Kinderwunschbehandlung zur Welt. Das ist kein kleiner Anteil, und die Tendenz ist steigend. Insgesamt werden in Österreich, je nachdem welche Zahlen man heranzieht, zwischen 12.000 und 18.000 Behandlungen zur künstlichen Befruchtung durchgeführt jedes Jahr.

STANDARD: Und wie viele Behandlungen davon sind erfolgreich?

Obruca: Etwa jede dritte Behandlung. Aber das ist natürlich sehr altersabhängig. Bei jüngeren Frauen ist der Prozentsatz deutlich höher, bei älteren sinkt er dramatisch ab.

STANDARD: Also mit im Schnitt drei Behandlungen geht man auch tatsächlich mit einem Kind nach Hause?

Obruca: Nein, das kann man so nicht sagen, das ist nur ein Durchschnittswert. Es ist eben sehr altersabhängig. Bei einer 30-Jährigen sind im Schnitt 1,5 Versuche nötig, bei einer 40-Jährigen muss man fünf Versuche kalkulieren. Aus Deutschland gibt es dazu sehr gute Daten, die kann man durchaus auf Österreich umlegen. Man hat berechnet, wie viele Paare nach einem Versuch schwanger sind, nach zwei, drei oder vier. Und es zeigt sich, dass nach drei Versuchen rund 70 Prozent aller Paare schwanger sind. Das ist eine schöne Anzahl. Aber bei den restlichen 30 Prozent wird es immer schwieriger, weil da oft auch medizinische Probleme ein Thema sind.

STANDARD: Aber man hat eine gute Chance, mit künstlicher Befruchtung schwanger zu werden?

Obruca: Ja, die hat man. Nur darf man nicht alle über einen Kamm scheren, sondern muss individuell aufklären. Haben wir eine Anfrage einer 33-Jährigen mit einigermaßen normalen Hormonwerten, traue ich mir zu sagen, ja, wir schaffen es, dass Sie schwanger werden. Kommt diese Anfrage von einer 44-Jährigen, die wahrscheinlich schon eingeschränkte Reserven hat, und wir können nur noch wenige gesunde Eizellen bekommen, ist die Wahrscheinlichkeit, dass es klappt, leider sehr gering. Da wäre womöglich nur noch eine Eizellspende eine Option.

STANDARD: Ist die Eizellspende in Österreich erlaubt?

Obruca: Ja, ist sie, aber nur als altruistische Spende. Das heißt, eine Spenderin darf dafür kein Geld bekommen, außer für belegbare Auslagen. Es gibt auch keine Aufwandsentschädigung. In anderen Ländern ist es erlaubt, für Stimulation und Punktion eine Entschädigung zu zahlen. Hat ein Paar im eigenen Umfeld die Möglichkeit einer Spende, machen wir das auch. Aber ohne Spenderin ist es in Österreich sehr schwer.

STANDARD: Wie sieht es mit der Kryokonservierung aus, also dem Einfrieren der unbefruchteten Eizelle? Das wäre ja eine gute Möglichkeit, das Risiko zu umgehen, dass man womöglich schon älter ist, wenn man den richtigen Partner findet ...

Obruca: Das geht in Österreich nicht, hier ist nur das Medical Freezing erlaubt, also dass man die Eizellen aus gesundheitlichen Gründen kryokonserviert. Vor einer Chemotherapie etwa, die den Eizellreserven potenziell sehr schaden kann. Das ist aber natürlich ein wichtiges Thema, denn eigentlich sollte es jeder Frau freistehen zu entscheiden, ob sie das machen will und so ihre persönliche Fertilität selbst in die Hand nimmt.

STANDARD: Was bewegt die Paare, die zu Ihnen kommen? Welche Sorgen und Herausforderungen bringen sie mit?

Obruca: Die sind ganz unterschiedlich. Eine Kinderwunschbehandlung ist definitiv kein leichter Schritt, der passiert nicht von heute auf morgen. Wenn die Paare zu uns kommen, hat also schon ein längerer Entscheidungsprozess stattgefunden. An diesem Prozess sind zwei Personen beteiligt, je nach Konstellation Mann und Frau oder Frau und Frau. Da ist natürlich eine Dynamik drin, das Thema belastet die einzelnen Personen unterschiedlich. Oft sind die Frauen eher bereit, diesen Weg zu gehen, die Männer brauchen ein bisschen länger. Es kann also sein, dass eine Person noch etwas Überzeugungsarbeit bei der anderen leisten muss. Und da kommt sozusagen der Weihnachtsbonus und die Grundidee vom Jahreswechsel als Neuanfang ins Spiel. In der Adventzeit und zu Weihnachten kommt ja oft auch die geballte Ladung an Fragen aus der Familie, wann es denn endlich so weit sei.

STANDARD: Ein unerfüllter Kinderwunsch belastet eine Beziehung oft sehr. Woran liegt das?

Obruca: Ab einem gewissen Zeitpunkt ändert sich dadurch oft die Paardynamik stark, das unbeschwerte Miteinander wird irgendwann sehr schwer. Das fängt schon an, wenn eine Schwangerschaft auf natürlichem Weg nicht klappt. Das wird fast immer auch als persönliches Versagen gesehen, man schafft das, was die Natur vorgesehen hat, nicht. Besonders schlimm ist es, wenn es klar einer Person zugeordnet werden kann. Früher war ja immer automatisch die Frau schuld, das war recht praktisch für den Mann. Aber es ist ja genauso oft der Mann, weil die Samenqualität nicht passt. Im Prinzip ist das aber gar nicht wichtig, denn das Thema betrifft immer das Paar.

Dazu kommt dann, dass es oft keine natürlich gelebte Sexualität mehr gibt, die konzentriert sich auf die fruchtbaren Tage. Ist man dann nicht schwanger, kommt der Frust. Und je länger man es probiert, desto stärker prägt sich das aus. Klappt eine künstliche Befruchtung nicht, ist die Enttäuschung noch größer, als wenn man einfach die Blutung bekommt. Und am schlimmsten ist es, wenn eine Schwangerschaft nicht gutgeht, das kommt ja auch bei künstlicher Befruchtung vor. Wenn ein Paar endlich schwanger ist und dann in der achten Woche einen Abort hat, ist das besonders bitter und extrem belastend.

STANDARD: Ist es sinnvoll, sich dann psychologische Unterstützung zu holen?

Obruca: Ja, und die bieten wir auch ganz niederschwellig an, um die Paare aufzufangen, das ist ja eine ziemliche Krise. Wir bieten generell psychologische Begleitung an und empfehlen das auch, wenn es länger nicht klappt. Weil wir wissen, je früher sich ein Paar unterstützen lässt, desto besser bewältigt es die Herausforderungen im Normalfall.

Außerdem gibt es ja auch Paare, denen wir leider nicht helfen können. In diesen Fällen ist die Unterstützung besonders wichtig. Das kann sein, dass man Alternativen aufzeigt, Adoption etwa oder Eizellspende. Oder man bespricht, wie ein Leben ohne Kind aussehen kann.

STANDARD: Was sollte man in Bezug auf Kinderwunsch unbedingt wissen?

Obruca: Wie stark die Fruchtbarkeit abnimmt. Das ist vielen einfach nicht klar. Darum ermutigen wir die Paare immer dazu, einen unerfüllten Kinderwunsch so früh wie möglich medizinisch abzuklären beziehungsweise sich Unterstützung zu holen. Ab einem gewissen Alter wird es einfach schwierig. Wir wollen da natürlich niemanden hineindrängen, aber es ist wichtig, darauf aufmerksam zu machen. Wenn etwa der Samen hochgradig eingeschränkt ist, macht es keinen Sinn, ewig weiterzuprobieren. Ein Spermiogramm tut nicht weh und sorgt schnell für Klärung.

Das hat auch einen doppelten Nutzen, die Samenqualität ist ein guter Gesundheitsparameter. Der Lifestyle wirkt sich da ja sehr stark aus, Stress, Ernährung, Schlafqualität, aber auch Alkohol-, Zigaretten- oder Cannabiskonsum können die Qualität massiv nach unten drücken. Auch Anabolika, etwa im Fitnesscenter, sind ein Thema. Im Umkehrschluss heißt das aber auch, dass man da viel tun kann.

Wir finden es außerdem vernünftig, wenn jede Frau, ganz unabhängig vom akuten Kinderwunsch, schon in jungen Jahren ihre Fruchtbarkeit testet. Das geht ganz einfach, indem man den Wert des Anti-Müller-Hormons, des AMH, im Blut bestimmt. Das zeigt an, wie groß die Eizellreserven sind. Denn es gibt sehr wenige Frauen, die bereits in ihren Zwanzigern nur noch wenige Eizellreserven haben, etwa drei Prozent. Mit diesem Wissen könnten sie ihre Familienplanung ganz anders gestalten und beispielsweise Eizellen kryokonservieren. In diesem Fall ist es nämlich erlaubt. (Pia Kruckenhauser, 26.12.2023)