Ein Paketbote nimmt Pakete aus einem Wagen heraus.
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Die Arbeitsbedingungen vieler Paketboten sind prekär, zeigt eine Studie der Uni Wien auf.
APA/KEYSTONE/MICHAEL BUHOLZER

Die Arbeitsbedingungen in der Paketbranche sind prekär und teilweise von Ausbeutung geprägt, vor allem Geflüchtete stehen unter hohem Druck. Das geht aus einer Studie der Universität Wien hervor, die von der Arbeiterkammer (AK) gefördert wurde. Verbesserungen sind nicht in Aussicht.

"Es ist eine Pyramide – der Druck kommt von oben nach unten" ist der Titel der Studie. Eben so beschrieb einer der befragten Paketboten das Branchensystem den Forschenden der Uni Wien, schildert Studienautorin Johanna Neuhauser am Montag in einer Pressekonferenz der AK. Gemeint ist eine weitgreifende Fragmentierung in der Branche: große Paketdienstleiter lagern Zustellung und Verteilung an Sub-Subunternehmen aus. "Es zeigt sich, dass der Druck in der Paketlogistik von oben nach unten an die Schwächsten in der Kette weitergegeben wird, nämlich Migranten in prekären Lebenslagen", sagt Neuhauser. Für die Untersuchung wurden einerseits vorhandene Daten analysiert, andererseits wurden Interviews mit 43 Beschäftigten in der Paketlogistik und mit Experten geführt.

"Im Dienstvertrag steht Vollzeit, aber auf dem Lohnzettel stehen andere Zahlen"

Seit 2015 hat die Menge der Paketsendungen um 125 Prozent zugenommen. "Die Branche ist eine der am schnellsten wachsenden überhaupt", hält Neuhauser fest. Im selben Zeitraum sei die Zahl der eigenen Mitarbeitenden bei den Unternehmen aber nicht wesentlich gestiegen, dafür gab es immer mehr Leiharbeiter und geringfügig Beschäftigte bei Subunternehmen. Die Paketboten würden dabei nicht nach Stunden, sondern pro zugestelltem Paket bezahlt. Teilweise betrage der Lohn nur 80 Cent pro Lieferung, an einem guten Tag sind das um die 80 Euro. Auch die Arbeitszeiten seien nicht fest, Touren würden spontan verlängert. Wenn ein hohes Paketaufkommen herrsche, wie in der Vorweihnachtszeit, könne ein Arbeitstag bis zu 15 Stunden dauern. Dabei bleibe den Beschäftigten oft nicht mal Zeit, um aufs Klo zu gehen.

Vor allem die Leiharbeiter stünden demnach unter permanentem Kündigungsdruck, auch nach dem brummenden Weihnachtsgeschäft gebe es im Jänner eine Kündigungswelle. Die Kündigungen in den Verteilzentren würden aber das ganze Jahr über nach dem Bedarf an Arbeitskräften ausgesprochen. "Du gehst in die Arbeit und weißt nicht, ob vielleicht heute dein Tag sein könnte, an dem du gekündigt wirst", schilderte einer der Befragten die Situation den Forschenden. So baue sich ein enormer Druck auf, der unter anderem dazu führen kann, dass sich manche Angestellten nicht trauen, in den Krankenstand zu gehen. Bei Leiharbeitern würden Übernahmehoffnungen gar zu Selbstausbeutung führen, schließt die Studie.

Um Kündigungsfristen und weitere Ansprüche zu umgehen, drängen die Arbeitgeber auf eine einvernehmliche Vertragsauflösung. Die Arbeitsrechte würden oft ignoriert, sagt Matthias Piffl-Stammberger, Leiter der Abteilung Rechtsschutz bei der AK Wien. Überstunden und der Lohn, der im Vertrag steht, würden teilweise nicht gezahlt. "Jede Firma hat einen anderen Weg, dich auszunutzen. Im Dienstvertrag steht Vollzeit, aber auf dem Lohnzettel stehen andere Zahlen", gab etwa ein Arbeiter einer Zustellfirma zu Protokoll.

Viele der Angestellten und Leiharbeiter in der Branche haben eine Migrations- oder Fluchtgeschichte. Geflüchtete "haben kaum Alternativen", sagt Neuhauser. Denn ihre Aufenthaltstitel und Perspektiven auf eine Staatsbürgerschaft sind oft an den Job gebunden. Zudem kennen viele ihre Arbeitsrechte nicht ausreichend. "Um den Job zu behalten, wird alles hingenommen", betont Silvia Hofbauer von der AK Wien. Geflüchtete und Migranten würden unter einer mehrfachen Prekarität leiden: "Eingeschränkte Sozialleistungen, beengte Wohnverhältnisse, zu wenig Angebote, um Deutsch zu lernen, oder die fehlende Anerkennung ihrer Ausbildungen. Diese Notlagen führen dazu, dass Migranten oft in der Paketlogistik landen, obwohl sie höher qualifiziert wären", sagt sie. Ein großer Teil der für die Studie befragten Paketzusteller hat eine Matura oder ein Studium abgeschlossen.

Forderung nach Auftraggeberhaftung

"Die Erkenntnisse der Studie decken sich mit den Erfahrungen unserer Beratungen", sagt Piffl-Stammberger. Der Arbeitsdruck sei immens, hinzu komme die Angst, den Arbeitsplatz zu verlieren, erklärt er und fügt hinzu: "All das sind keine Einzelfälle." In der Branche werde nichts getan, im Gegenteil, man versuche sich der Verantwortung zu entziehen. Das Problem liege also nicht an einzelnen Unternehmen, sondern am System.

Daher fordert die AK unter anderem eine Erstauftraggeberhaftung für die Löhne der Angestellten, auch bei Sub-Subunternehmen. So könnten die großen Unternehmen, die die Logistik auslagern, zur Rechenschaft gezogen werden, wenn Löhne nicht vollständig bezahlt werden, heißt es. "Die Verantwortung wäre wieder bei denen, die von diesem System profitieren", erklärt Piffl-Stammberger. Allerdings hängt diese Forderung momentan in der Luft, es gebe keine laufenden Gespräche in der Sozialpartnerschaft, heißt es von der AK.

Karl Delfs vom österreichischen Gewerkschaftsbund (ÖGB) unterstützt die Forderung der AK. "Es braucht eine Regelung für die gesamte Branche", sagt er. Von der Politik käme allerdings keine große Bewegung, dort setze man auf das kommende EU-Lieferkettengesetz, mutmaßt er. Die Sozialpartnerschaft werde sich aber sicher zusammensetzen und den Vorschlag besprechen. Ein Problem könne aber sein, dass die Finanzpolizei zu dünn besetzt ist, gibt er zu bedenken. Die Kontrolle von neuen Regeln könnte von dem vorhandenen Personal möglicherweise nicht gestemmt werden.

Hofbauer fordert auch, dass das Potenzial der bereits hier lebenden Zugewanderten besser genutzt werden soll, anstatt weitere Drittstaatangehörige anzuwerben. "Es braucht eine stärkere Aufklärung über Rechte und Pflichten, eine gezielte Förderung von migrantischen Arbeitskräften und eine raschere Anerkennung ausländischer Abschlüsse", schließt sie. (noma, 19.12.2023)