Menschen halten eine riesige Chile-Fahne
In Chile ergab ein Referendum eine Mehrheit für die aktuell gültige Verfassung.
REUTERS/RODRIGO GARRIDO

Santiago de Chile – In Chile ist der zweite Anlauf für eine neue Verfassung in weniger als eineinhalb Jahren gescheitert. Bei einem Referendum in dem südamerikanischen Land sprachen sich nach Angaben der Wahlbehörde gut 55 Prozent der Teilnehmer gegen den konservativ geprägten Verfassungsentwurf aus. Dieser sollte die Verfassung von 1980 aus der Zeit der Pinochet-Diktatur durch ein neues Grundgesetz ersetzen.

Der linksgerichtete Präsident Gabriel Boric hatte im Vorfeld angekündigt, dass der vorliegende Entwurf der letzte Versuch sein werde, die Verfassung zu reformieren. "Unter diesem Mandat ist der Verfassungsprozess abgeschlossen. Es gibt andere Dringlichkeiten", sagte Boric nun in einer Rede im Präsidentenpalast. "Unser Land wird mit der aktuellen Verfassung weitermachen, denn nach zwei Verfassungsvorschlägen, die einem Referendum unterzogen wurden, hat es keiner geschafft, Chile in seiner schönen Vielfalt zu repräsentieren oder zu vereinen."

Schärferes Asyl- und Abtreibungsrecht gescheitert

Im September 2022 hatte sich in einer Volksabstimmung eine deutliche Mehrheit von rund 62 Prozent der Chilenen gegen einen progressiven Textentwurf für eine neue Verfassung ausgesprochen, der unter anderem mehr Umweltschutz und mehr Rechte für die indigene Bevölkerung vorsah. Dies war eine herbe Niederlage für Boric, der 2021 im Alter von 35 Jahren an die Macht gekommen war.

Der neue Text, der am Sonntag zur Wahl stand, war deutlich konservativer ausgerichtet. Erarbeitet worden war er von einem von der rechtskonservativen Opposition dominierten Gremium. Der Text hätte unter anderem eine Verschärfung im Umgang mit illegaler Einwanderung festgeschrieben und auch zu einer Verschärfung des Abtreibungsrechts führen können.

"Wir haben es nicht geschafft, die Chilenen davon zu überzeugen, dass diese Verfassung besser ist als die derzeitige und dass sie der sicherste Weg ist, die politische, wirtschaftliche und soziale Unsicherheit zu beenden", sagte der ultrakonservative Oppositionspolitiker José Antonio Kast, der im Dezember 2021 bei der Präsidentschaftswahl gegen Boric angetreten war.

"Es gibt nichts zu feiern", fuhr Kast fort. "Und nicht nur wir können nicht feiern, sondern auch die Regierung und die Linke können sich nicht freuen, weil die Schäden, die Chile in den letzten vier Jahren erlitten hat, enorm sind und mehrere Jahrzehnte zur Reparatur notwendig sein werden."

Schieflage hängt mit Verfassung zusammen

Mit dem Scheitern des zweiten Entwurfs bleibt die während der Diktatur von Augusto Pinochet beschlossene Verfassung in Kraft. Der General hatte Chile nach dem Putsch gegen den linken Präsidenten Salvador Allende zwischen 1973 und 1990 mit harter Hand regiert. Nach der Rückkehr des Landes zur Demokratie wurde die Verfassung bereits an einigen Stellen reformiert.

Die sozialen Unruhen im Jahr 2019 führten dann zu Versuchen, dem Land eine neue Verfassung zu geben. Viele Menschen führten die gewachsenen gesellschaftlichen Ungleichheiten auf die alte Verfassung zurück, die der Privatwirtschaft in vielen Bereichen freie Hand lässt.

In einem Referendum im Oktober 2020 sprach sich eine klare Mehrheit der Teilnehmer für die Ausarbeitung einer neuen Verfassung aus. Die Versuche, wirklich ein neues Grundgesetz einzuführen, sind jetzt aber zweimal gescheitert. (APA, red, 18.12.2023)