Eine Pazifische Taschenmaus hockt im Sand vor einigen Getreidekörnern.
Diese nach dem britischen Schauspieler Sir Patrick Stewart benannte Pazifische Taschenmaus wurde im Februar Weltrekordhalter als älteste lebende Maus der Welt. Eine Wiener Hausmaus hatte weit weniger Glück.
APA / AFP / San Diego Zoo Wildlife A

Wien – Hinter manch erheiternd klingendem Strafverfahren steht eine ernste Geschichte, erkennt auch der Verfahrenshelfer, der Herrn K. vor dem Schöffensenat unter Vorsitz von Nicole Rumpl vertritt. "Als Wirtschaftsanwalt hat man mit so einem Sachverhalt seltener zu tun, vielleicht erleben Sie das öfters", wendet der Verteidiger sich entschuldigend an den Senat. Geht es doch um eine tote Maus. Die vom Angeklagten am 5. November des Vorjahres auf außergewöhnlich grausame Art getötet worden sein soll. Was dem 28-Jährigen nicht nur eine Anklage wegen Tierquälerei eingebracht hat, ihm droht darüber hinaus wegen seiner Gefährlichkeit die strafrechtliche Unterbringung in einem forensisch-therapeutischen Zentrum.

Dass er das von ihm gefangene Nagetier in einen Käfig gesperrt und mittels Feuerstößen aus einem entzündeten Deospray verbrannt hat, bestreitet K. nicht. "Dass das keine sozial adäquate Schädlingsbekämpfung ist, ist ihm bewusst", erklärt der Verteidiger im Eröffnungsplädoyer. "Es war der größte Fehler meines Lebens", sagt der unbescholtene Angeklagte selbst. Und: "Ich habe meine Lektion gelernt." Genau das glaubt der psychiatrische Sachverständige Siegfried Schranz nicht. Er hält den Österreicher für so gefährlich, dass er sich für seine Unterbringung ausspricht.

Hört man die Biografie des 28-Jährigen, versteht man die Bedenken des Experten. K. kennt seine leiblichen Eltern nicht, ist in Pflegefamilien und Wohngemeinschaften aufgewachsen, wo er nach eigenen Angaben sexuellen Missbrauch und Prügel erlitt. Er kam in die Sonderschule, mit 14 oder 15 habe er einen Igel mit einem Granitbrocken erschlagen, schilderte er Schranz bei der Untersuchung. Es folgten der Konsum von Alkohol und illegalen Suchtmitteln, eine abgebrochene Lehre, mehrere stationäre Aufenthalte in psychiatrischen Abteilungen, nun lebt der Arbeitslose in einer Wohnung des Vereins Lok.

Schwere kombinierte Persönlichkeitsstörung

Laut Expertise leidet K. an einer "schweren kombinierten Persönlichkeitsstörung mit antisozialen, histrionischen und sadistischen Komponenten", referiert Schranz vor Gericht. Der Angeklagte sei zwar zurechnungsfähig, aber gefährlich. Nach stundenlangen Tests sei K. auf einer neunstufigen Skala des Gefährlichkeitsrisikos auf Stufe sieben eingeordnet worden – innerhalb einiger Monate bis zu zwei Jahren sei zu befürchten, dass er Aggressionen an Menschen auslasse.

Der Verteidiger sieht das nicht so: Die Untersuchung für das Gutachten habe im Sommer stattgefunden, seither sei nichts mehr geschehen. Und selbst die Tötung der Maus sei nur bekannt geworden, da sein Mandant von sich aus am 13. Februar bei einer Polizeiinspektion erschien, gestand und auch ein damals von ihm aufgenommenes Video präsentierte. Für die Staatsanwältin hat dieser Umstand wenig Beruhigendes: Schließlich habe K. im Februar zu den Beamten auch gesagt, er habe die Maus getötet, damit er nichts Schlimmeres mache.

"Es war ziemlich ungeschickt von mir, so damit umzugehen", sagt der Angeklagte dem Gericht zu seiner damaligen Gemütslage. "Aber ich habe mich zwischen Drogen und Aggression entscheiden müssen", sagt der stark sedierte Twen, der seit Dienstag wieder stationär im Spital ist. Ein Punkt ist K. noch wichtig: "Ich habe die Maus danach zumindest bestattet."

Definition als Transperson 

Als Entlastungszeugen hat der Rechtsvertreter einen Betreuer des Vereines mitgebracht, der sich um den Angeklagten kümmert. Er sorgt zunächst für gewisse Verwirrung, da er konsequent von "Frau K." und "ihr" spricht. Der Zeuge löst das dann auf: "Sie definiert sich mittlerweile als Transperson und möchte eine Frau werden. Das ist aber ein langwieriger Prozess, der vorerst unterbrochen wurde, da sie sich auf diesen Prozess konzentrieren wollte."

Grundsätzlich habe er K. in den vergangenen gut zwei Jahren als "herzensguten Menschen" kennengelernt, der großen Redebedarf habe. Aggressionen seien zwar ein Thema gewesen, das liege aber an der Krankheit. "Was hat K. denn?", will Sachverständiger Schranz vom Zeugen wissen. "Eine dissoziale Persönlichkeitsstörung", antwortet der. "Nimmt er bei Ihnen Medikamente?" – "Ja, er muss dreimal am Tag welche nehmen." – "Wird bei Ihnen sichergestellt, dass er sie auch nimmt?" – "Ja, er kommt einmal täglich in der Früh und holt seine Dosis ab." – "Dann wissen Sie aber nicht, ob er die mittags und abends auch nimmt?" – "Das ist richtig. Aber jetzt klappt es mit den Medikamenten erstaunlich gut", sagt der Zeuge, der nicht von möglichen Gewaltdrohungen des Angeklagten gegen andere weiß.

Schranz berichtet aufgrund der ihm übermittelten Unterlagen anderes: Im Dezember 2017 sei K. in eine Klinik gebracht worden, nachdem er Mitpatienten mit einem Messer bedroht haben soll. Anzeige wurde damals offenbar keine erstattet. Bei einer anderen Gelegenheit habe der Angeklagte sich selbst eingewiesen, da er geträumt hatte, eine Mitpatientin zu verletzen, im Vorjahr sagt er einmal, er müsse sein eigenes Blut trinken, da er fürchte, sonst zu sterben.

Skeptischer Sachverständiger

Vorsitzende Rumpl will vom Gutachter wissen, ob auch eine bedingte Einweisung infrage komme, wenn das Gericht K. Auflagen erteilen würde. Schranz ist skeptisch, da das sehr viele sein müssten: "Er müsste engmaschig fachärztlich in einer spezialisierten Einrichtung betreut werden, eine Depotinjektion von Medikamenten wäre angebracht, der Medikamentenspiegel müsste regelmäßig kontrolliert werden, ein wöchentlich kontrolliertes absolutes Alkohol- und Drogenverbot, eine intensive Psychotherapie, Antiaggressionstraining und schließlich Bewährungshilfe sind notwendige Weisungen", fasst der Psychiater zusammen. "Und er müsste in einer geeigneten Einrichtung wohnen, der Verein Lok ist dafür äußerst ungünstig", fürchtet er eine zu lasche Kontrolle dort. K. wäre mit all dem einverstanden.

In den kommenden fünf Jahren kann er beweisen, ob er sich daran hält. Wegen Tierquälerei verurteilt ihn das Gericht rechtskräftig zu sechs Monaten bedingt und verfügt zusätzlich eine bedingte Unterbringung, so er sich an alle Weisungen hält. "Haben Sie das Urteil verstanden?", will Rumpl von K. wissen. "Ja, ich danke Euch, Euer Ehren!", antwortet der zackig und erleichtert. (Michael Möseneder, 18.12.2023)