Wenn Tiere nach längerer Zeit der Trennung wieder auf ihre früheren menschlichen Bezugspersonen treffen, dann kann das mitunter ordentlich zu Herzen gehen. Eines der bekannteren Beispiele: Das Wiedersehen zwischen Christian, einem erfolgreich ausgewilderten Löwen, und seinen früheren britischen Besitzern, die das inzwischen erwachsene Tier bei Harrods in London gekauft, dort aufgezogen hatten und nach einem Jahr in seinem Reservat in Kenia besuchten – hier in einer Kurzversion, die auch aufgrund der Musikuntermalung besonders auf die Tränendrüse drückt:

Christian the Lion
Wiedersehen mit einem inzwischen ausgewachsenen Löwen, ein Jahr nach dessen Auswilderung.
SP Withrow

Viele Tierarten scheinen mithin ein ziemlich gutes Erinnerungsvermögen zu besitzen, wenn es um das Wiedererkennen von Menschen oder auch Artgenossen geht, mit denen sie früher einmal eine enge Beziehung hatten. Doch wie lange hält dieses "soziale Langzeitgedächtnis" an?

Das hängt natürlich auch von der Lebenserwartung der Tiere ab. Aber von so gut wie allen Spezies, die als besonders intelligent gelten – also Elefanten, Menschenaffen, Raben oder Delfinen – sind zumindest anekdotisch Erinnerungen an Vorfälle bekannt, die viele Jahre zurückreichen.

Längste Gedächtnisleistung

Den bisherigen "Weltrekord" nichtmenschlicher Tiere beim Wiedererkennen von Artgenossen hielten bisher Delfine: Tiere, die in Zoos lebten, reagierten aufgeregt auf Stimmen von Artgenossen, die sie 20 Jahre zuvor zuletzt gehört beziehungsweise gesehenen hatten, wie eine Studie 2013 berichtete. Dieser Rekord wurde nun aber von unseren engsten lebenden Verwandten in den Schatten gestellt.

Ein internationales Forscherteam um die vergleichende Psychologin Laura Simone Lewis (University of California, Berkeley) konnte zeigen, dass Schimpansen und Bonobos Gruppenmitglieder wiedererkennen können, die sie bis zu 26 Jahren lang nicht gesehen haben. Das ist die nunmehr längste nichtmenschliche Gedächtnisleistung, die bisher jemals wissenschaftlich dokumentiert wurde.

Schimpansen können sich allem Anschein nach ähnlich lange an Familienmitglieder und Freunde erinnern wie Menschen.
Johns Hopkins University

Lewis' Projekt und die neue Publikation im Fachblatt "PNAS" entstand aus einer langjährigen Beobachtung von Primatologinnen und Primatologen, die von ihnen untersuchte Tiere oft erst nach Monaten oder Jahren der Abwesenheit wiedersahen; doch wenn sie zurückkehrten, verhielten sich Bonobos (also Zwergschimpansen) und Schimpansen so, als würden sie genau dort weitermachen, wo sie aufgehört hatten. Also versuchte das Team um die Postdoktorandin Lewis, diese Vermutung mittels eines Experiments zu bestätigen, konkret: im Hinblick auf Erinnerungen an Artgenossen der Menschenaffen.

Aufwendige Vorrecherchen

Für die Untersuchung mussten die Forschenden zunächst einmal in Zoos geeignete Bonobos und Schimpansen finden, die vor vielen Jahren von ihresgleichen getrennt worden waren, über die es Aufzeichnungen und Fotos gab. Das Team war schließlich in der Lage, 26 Bonobos und Schimpansen im Zoo von Edinburgh in Schottland, im Zoo von Planckendael in Belgien und im Kumamoto Sanctuary in Japan in die Untersuchung einzubeziehen. Manchmal waren diese ihnen nahestehenden Affen in andere Zoos umgesiedelt worden; in anderen Fällen war ein Geschwister- oder Elternteil gestorben, während sie zusammengelebt hatten.

Im nächsten Schritt sammelten die Forschenden Informationen über die Beziehungen, die jeder teilnehmende Menschenaffe zu seinen früheren Gruppenmitgliedern hatte, also etwa auch, ob es positive oder negative Interaktionen zwischen ihnen gegeben hatte. Für die konkrete Überprüfung der Forschungsfrage wurden den Bonobos oder Schimpansen schließlich Fotos sowohl von fremden Artgenossen vorgelegt wie auch von solchen, mit denen die Menschenaffen zumindest ein Jahr oder länger zusammengelebt hatten.

Schimpanse Erinnerung
Ein Schimpanse nimmt an dem Erinnerungstest teil. Kameras messen seine Augenbewegungen.
Fumihiro Kano

Kameras überwachten, wohin die Augen der Tiere wanderten, wenn sie die Fotos eingespielt bekamen. Und der Computer zeichnete die Zeit auf, die pro Bild verbracht wurde. "Es war ein wirklich einfacher Test: Schauen sie länger auf ihren vorherigen Gruppengenossen, oder schauen sie länger auf den Fremden?", erläutert Lewis. Das Hauptergebnis der Untersuchung in den Worten der Forscherin: "Wir fanden heraus, dass sich die Schimpansen und Bonobos die Bilder ihrer früheren Gruppenmitglieder deutlich länger ansahen."

Erinnerung eher an Freunde

In einem Fall hatte ein Bonobo namens Louise ihre Schwester Loretta und ihren Neffen Erin seit über 26 Jahren nicht mehr gesehen. Doch als die Forschenden dem Bonobo-Weibchen die Bilder zeigten, richteten sich seine Augen auf die Fotos der beiden Verwandten. Zudem zeigte sich, dass die Menschenaffen grundsätzlich länger auf Fotos von Individuen, mit denen sie eher positive als negative Beziehungen hatten. Anders formuliert: Sie schienen Freunde eher zu erkennen als Feinde – auch das weist auf Ähnlichkeiten des Gedächtnisses der Menschenaffen mit dem von uns Menschen hin.

Unklar ist freilich, um welche Art von Erinnerungen es sich bei den Menschenaffen handelte. Könnte es sich um reichhaltige, episodische Erzählungen handeln, wie sie bei Homo sapiens üblich sind? Oder war es "nur" eine flüchtige Neugier, warum sie sich die Fotos der bekannten Artgenossen länger ansahen? Und können sie darauf schließen, wie diese Verwandten heute aussehen würden?

Dies sind auch die nächsten Forschungsfragen für Lewis, die dabei klären will, was uns Menschenaffen über uns und unser Gedächtnis lehren können. Die Forscherin leitet aus diesen ersten Untersuchungsergebnissen jetzt schon zwei Schlussfolgerungen ab: "Diese Studie erinnert uns daran, wie ähnlich wir anderen Spezies sind, die auf diesem Planeten leben", sagt Lewis. "Und wie wichtig es daher ist, sie zu schützen." (tasch, 19.12.2023)