Bis zuletzt stand nicht einmal fest, ob die Präsidenten- und Parlamentswahlen in der Demokratischen Republik Kongo (DRC) zum vorgesehenen Termin überhaupt stattfinden können. Bürgerkrieg im Osten des Landes, Wählerausweise, deren Schrift wegen der minderwertigen Tinte verblasst, Millionen an Flüchtlingen, die über gar keinen derartigen Wählerausweis verfügen, und ein über das ganze Land verteiltes Organisationschaos drohten den Urnengang zum Scheitern zu bringen. "Die schlimmsten Wahlen überhaupt", schimpft der Chef einer kirchlichen Beobachtergruppe, Eric Nsenga.

Trotzdem wird die Wahlkommission die Abstimmung durchziehen: Allein schon, weil es Präsident Félix Tshisekedi so will. Entspannte Wahlbedingungen gab es in dem zentralafrikanischen Riesenreich ohnehin noch nie. Und die Wahlverlierer werden im Nachhinein sowieso wieder behaupten, dass die Abstimmung gezinkt war.

Wahlplakat von Präsident Felix Tshisekedi
Präsident Félix Tshisekedi hat alles für eine Wahl im eigenen Sinne in die Wege geleitet.
REUTERS/ZOHRA BENSEMRA

Gemessen an seinen Vorgängern wird der Urnengang am Mittwoch womöglich sogar ruhig verlaufen. Falls es nach der 32 Jahre langen Diktatur Mobutu Sese Sekos überhaupt Wahlen gab, führten diese wie im Jahr 2006 zu einem Wiederaufflammen des Bürgerkriegs oder endeten wie vor fünf Jahren in einer Farce. Damals siegte Oppositionskandidat Martin Fayulu mit 59 Prozent der Stimmen, wie das später der Öffentlichkeit zugespielte Ergebnis ergab.

Keine "Absolute" nötig

Doch der scheidende Präsident Joseph Kabila und der Sohn des oppositionellen Urgesteins Étienne Tshisekedi schneiderten sich ihr eigenes Resultat zusammen. Danach erhielt Félix Tshisekedi mehr als das Doppelte seiner 19 Prozent, Fayulu wurde mit weniger als 35 Prozent zum Verlierer geschoren.

Jetzt will der 60-Jährige seinen anrüchigen Triumph in einen glaubwürdigen verwandeln. Weil es den 23 Herausforderern nicht gelang, sich auf einen Kandidaten zu verständigen, könnte ihm das auch durchaus gelingen. Das Wahlrecht macht im Kongo jenen zum Sieger, der die meisten Stimmen erhält: Eine absolute Mehrheit und ein eventueller zweiter Wahlgang sind nicht nötig. Mit der geballten Staatsmacht hinter sich wird Tshisekedis Wunsch vermutlich in Erfüllung gehen: Wenn nicht, wird die von ihm handverlesene 15-köpfige Wahlkommission wie vor fünf Jahren schon eingreifen.

Bei seiner Amtseinführung wäre der neue Präsident damals beinahe in Ohnmacht gefallen. Mit Schweißperlen auf der Stirn musste er sich setzen, die Fernsehübertragung wurde abgebrochen. Ob es die Hitze, die zu enganliegende kugelsichere Weste oder die schiere Aufregung war, wurde niemals geklärt.

Zwei Euro pro Tag

Der Chef der von seinem Vater gegründeten Union pour la Démocratie et le Progrès Social (UDPS) gab sich danach alle Mühe, aus dem Schatten des Papas herauszutreten – was ihm überraschend gut gelang. Schon bald gelang es dem "Wolf im Schafspelz", dem Einfluss seines Vorgängers und Königmachers zu entkommen: Tshisekedi bewegte einen Großteil der Abgeordneten der Kabila-Partei zum Übertritt, ihr Chef verschwand in der Versenkung.

Bei der Führung des Landes, das er nach eigenen Worten zu "Afrikas Deutschland" machen wollte, war der neue Staatschef wenig erfolgreich. Noch immer müssen mehr als 60 Prozent der Bevölkerung mit weniger als zwei Euro pro Tag auskommen, der mit riesigen Rohstoffvorräten gesegnete Staat zählt zu den zehn ärmsten Nationen der Welt. An den Bodenschätzen bereichern sich nach wie vor korrupte Politiker, Minenmultis wie der Schweizer Konzern Glencore, chinesische Staatsbetriebe und etwa der israelische Milliardär Dan Gertler.

Auch den seit drei Jahrzehnten im Osten des Landes tobenden Bürgerkrieg vermochte Tshisekedi nicht zu stoppen. Im Gegenteil: Der Konflikt flammte vor wenigen Wochen ein weiteres Mal auf. Wegen der Kämpfe werden 1,7 der rund 40 Millionen wahlberechtigten Kongolesen und Kongolesinnen ihre Stimme nicht abgeben können – abgesehen von den sieben Millionen Flüchtlingen, die sich für die Wahl nicht registrieren konnten. Allein das ein überzeugender Grund, das Wahlergebnis später anfechten zu können.

Drei "echte" Gegenkandidaten

Von den 23 Herausforderern Tshisekedis sind zumindest drei ernst zu nehmen. Der Gynäkologe Denis Mukwege, der aus der vom Bürgerkrieg verheerten Provinz Süd-Kivu kommt: Dort machte er sich mit der Behandlung Tausender von Vergewaltigungsopfern einen Namen und wurde 2018 mit dem Friedensnobelpreis geehrt. Im Osten des Kongos verehrt und im Ausland geachtet, ist Mukwege im Rest des Landes allerdings kaum bekannt: Seine Chancen auf einen Wahlsieg gelten als äußerst gering. Auch der ehemalige Mobil-Exxon-Direktor Martin Fayulu wird es schwer haben: weniger, weil seine Stimmen wie vor fünf Jahren schon unter den Tisch fallen könnten. Eher, weil ihm Moïse Katumbi das Wasser abgräbt.

Der 59-jährige Ex-Gouverneur der rohstoffreichen Katanga-Provinz gilt als Favorit unter den Herausforderern. Der Multimillionär und Besitzer des erfolgreichen Fußballklubs TP Mazembe wollte schon an den vergangenen Wahlen teilnehmen, wurde jedoch nach einem Auslandsaufenthalt daran gehindert, nach Hause zurückzukehren. Auch dieses Mal sollte er mit einer ins Parlament eingebrachten Gesetzesnovelle an einer Kandidatur gehindert werden: Danach sollen nur Personen, deren Eltern beide kongolesisch sind, das Amt des Staatspräsidenten ausüben können. Der Minenmagnat ist der Sohn einer Kongolesin und eines in Griechenland geborenen Juden – doch die Gesetzesnovelle schaffte es nicht schnell genug durchs Abgeordnetenhaus.

Sollte Katumbi tatsächlich die meisten Stimmen erhalten, wird die von dem Tshisekedi-Vertrauten Denis Kadima geleitete Wahlkommission wieder alle Hände voll zu tun bekommen. Dass es in diesem Fall nicht unbedingt friedlich bleiben wird, deutete sich bereits bei der letzten Wahlkundgebung Katumbis in Tschisekedis Hochburg, der Kasai-Provinz, an. Dort kam es zu Schießereien mit Dutzenden von Verletzten – nur ein Vorgeschmack darauf, was kommen könnte. (Johannes Dieterich, 19.12.2023)