Weihnachtsbaum und Rednerpult mit der Aufschrift
Am 20. feiern die Insassen der Justizanstalt Sonnberg in zwei Tranchen Bescherung mit Ansprachen, Musik und Kekserln.
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St. Pölten – "Draußen ist es die schönste Zeit im Jahr, herinnen ist es eher eine nachdenkliche Zeit", sagt der 46-Jährige über Weihnachten. Mit "herinnen" meint der Familienvater die Justizanstalt Sonnberg bei Hollabrunn, wo er seit zweieinhalb Jahren seine Haftstrafe verbüßt. Seine dritten Feiertage als Verurteilter wird er aber nicht in der Zelle verbringen müssen – er hat über Weihnachten Ausgang und kann mit seiner Gattin und seinen Kindern zu den Eltern fahren.

Eine Ausnahme; die meisten der aktuell 360 Insassen im Gefängnis erleben den 24. Dezember hinter Stacheldraht und Gittern, sagt René Zeitlberger, Mediensprecher der Justizanstalt. Gänzlich verzichten müssen die Gefangenen auf eine Bescherung aber nicht: Am 20. Dezember wird zu Mittag in einem Saal des Wasserschlosses aus der Spätrenaissance die Weihnachtsfeier für die Insassen abgehalten. Genau genommen sind es sogar zwei, da nur je 70 bis 80 Personen Platz haben.

An der Wand des Festsaals der JA Sonnberg klettert ein Weihnachtsmann an der Wand.
Auch wenn der kaminliebende Herr Geschenke bringt – Besitzstörung begeht er dennoch eigentlich.
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Der Raum ist bereits geschmückt, neben dem Christbaum steht eine von Insassen gebaute Krippe. An der Wand klettert ein Weihnachtsmann hoch, dessen berufliche Tätigkeit man juristisch gesehen eigentlich als Besitzstörung sehen muss. "Die Weihnachtsfeier ist eine liebgewonnene Tradition in Sonnberg", erzählt Zeitlberger. Etwa eine Stunde lang gibt es Ansprachen, Insassen musizieren, auf den Tischen stehen Häferln mit Keksen und Getränke.

"Die zahlt der Häftlingsunterstützungsverein", verrät der Justizwachebeamte, die Erlöse eines Adventmarkts würden dafür verwendet. Der Verein kümmert sich auch um mittellose Häftlinge ohne Angehörige: "Für diese Gruppe werden kleine Unterstützungspakete gemacht", sagt Zeitlberger.

"Minimaler Prozentsatz" ausgeschlossen

Grundsätzlich könne jeder Insasse zur dezent von der Einsatzgruppe bewachten Weihnachtsfeier kommen, gezwungen werde aber niemand. "Nicht alle wollen teilnehmen, einen minimalen Prozentsatz würden wir nicht teilnehmen lassen", erläutert der Beamte. Konfessionelle Unterschiede würden nicht gemacht: "Alle singen 'Stille Nacht', auch Muslime", bestätigt Gabriele Weghaupt, Leiterin des psychologischen Dienstes in Sonnberg.

Ihr ist bewusst, dass die Feiertage für die Häftlinge eine Belastung sind. "Das Hauptproblem ist, dass Weihnachten als Familienfest gesehen wird. Und die Familie haben sie in Haft nicht." Die Folgen seien schwere Traurigkeit bis hin zu Depressionen, auch Aggressionen können ausbrechen. "Wir bemühen uns, den Druck zu nehmen", ist Zeitlberger die Situation bewusst. Am 24. haben die Insassen die Möglichkeit, mit Angehörigen zu telefonieren, über die arbeitsfreien Feiertage wird für Freizeitgestaltung gesorgt.

Altbau der Justizanstalt Sonnberg
Das ehemalige Wasserschloss aus der Spätrenaissance wurde erst 1955 von einem Mitglied der Familie Habsburg an die Republik verkauft.
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Die Haftstrafen, die die Männer hier verbüßen, betragen 18 Monate bis 20 Jahre, ein Schwerpunkt liegt bei Sexualdelikten. "Wenn jemand Bedürfnis für Kommunikation hat, bekommt er die auch", sagt Psychologin Weghaupt, Entlastungsgespräche seien in dieser Jahreszeit häufiger. Dabei werde man auch selbst aktiv: "Wir arbeiten sehr gut mit der Justizwache zusammen, denen ja auffällt, wenn ein Insasse verschlossener wird. Wir sind da in der Emotionalität, die Insassen sind dann ganz normale Menschen, die traurig sind."

Jonathan Werner, als leitender Anstaltsseelsorger quasi der Österreich-Chef der spirituellen Betreuung hinter Gittern, kennt die emotionale Aufladung des Weihnachtsfests durch den gesellschaftlichen Druck ebenso. Allerdings, gibt er zu bedenken, hatten viele Insassen auch "draußen" keine "heile Welt" mit schönen Erinnerungen. Auch Psychologin Weghaupt sieht das so. Viele Biografien von Straftätern zeigen eine triste Kindheit voller Traumatisierungen.

Weihnachtskrippe neben dem Christbaum.
Die Krippe im Festsaal ist ein Produkt der Insassen.
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Auch der Häftling, der aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes anonym bleibt, unterstreicht diese Ansicht. "Ich glaube nicht, dass sehr viele Insassen draußen sehr viele Geschenke bekommen haben", meint der 46-Jährige. Dennoch: "Für Leute mit Kindern ist die Zeit hart", ist er überzeugt. Auch die Einzelzelle, sonst als Privileg wahrgenommen, sei im Dezember weniger beliebt, manche würden sich da über Mithäftlinge freuen. Die Mutter eines Mitinsassen sei vor zwei Monaten verstorben, "dann ist Weihnachten schmerzhaft", sagt er.

Das Wachpersonal sei aber bemüht, ein wenig Stimmung zu verbreiten. In jeder Abteilung stehe ein eigener Weihnachtsbaum, "in meiner alten Abteilung hat der Leiter sogar privat einen größeren gekauft", schildert der Häftling. Auch die Feierstunde am 20. findet er nett. "Man freut sich über die Kekserln", erinnert er sich. "Man ist als Straftäter natürlich ein bissl in der Rolle des Ausgestoßenen, da nimmt man auch kleine Gesten dankbar an."

Kardinal hinter Gittern

Mitunter sind sie sogar etwas größer, erzählt Seelsorger Werner. Am 19. Dezember feiert Christoph Kardinal Schönborn, der Erzbischof von Wien, in der Justizanstalt Josefstadt, dem größten Gefängnis des Landes, mit den Häftlingen Weihnachten, am 21. beehrt der Linzer Bischof Manfred Scheuer aus diesem Anlass die Justizanstalt Garsten.

Die kleinen Gesten werden in Sonnberg mitunter auch improvisiert, schildert Psychologin Weghaupt. Über die Hauspost werden Weihnachtskarten verbreitet – "da die nicht immer vorrätig sind, hat mir ein Insasse einmal eine Osterkarte geschickt", erzählt sie lächelnd. Manchmal tauschen die Häftlinge auch untereinander selbstgebastelte Geschenke aus.

Denn mitunter gibt es "draußen" auch Familien, die keinen Kontakt mit den Verurteilten mehr wollen. Jüngst habe ein Häftling das Telefon zerstört, da ihn seine Ex-Frau bei vier Anrufen auf die Mailbox umgeleitet hat. "Ich habe ihm dann erklärt, dass sie nicht verpflichtet ist, mit ihm zu sprechen, da sie ja geschieden sind", erinnert Weghaupt sich. Die Feiertage seien aber eher kein Auslöser für das Scheitern von Beziehungen, glaubt der Häftling. "Meistens zerbricht es mit dem Haftantritt oder kurz danach." (Michael Möseneder, 19.12.2023)