David Alaba Kreuzbandriss
Sonntag, 17. Dezember 2023, Real Madrid gegen Villarreal, die 32. Spielminute: David Alaba bleibt mit dem linken Fuß im Rasen hängen. Das Bein bleibt stehen, der Körper verdreht sich. Ein Kreuzbandriss-Klassiker.
EPA/Daniel Gonzalez

Christian Fink, Chirurg in der Tiroler Privatklinik Hochrum, hat schon zahlreiche Fußball- und Skistars nach Kreuzbandrissen und anderen Knieverletzungen operiert, u. a. die ÖFB-Teamspieler Xaver Schlager und Nicolas Seiwald. Fink (57) erinnert sich an ein Länderspiel zwischen Deutschland und Frankreich, "da hatte ich acht ehemalige Patienten auf dem Platz". Österreichs Teamkapitän David Alaba (31), der am Sonntag im Real-Madrid-Spiel gegen Villarreal einen Riss des vorderen Kreuzbands im linken Knie erlitt und um seine Teilnahme an der EM-Endrunde (ab 14. Juni) in Deutschland bangt, sollte ebenfalls sein Patient und noch am Dienstag von Fink operiert werden. Das Interview hatte der Mediziner dem STANDARD am Montag gegeben – mit einer kurzen Unterbrechung wegen eines Anrufs, den Fink aus Madrid erhielt. Die Rehabilitation, sagt der Arzt, sei mindestens so wichtig wie die Operation.

STANDARD: Ist es für Sie vorstellbar, dass David Alaba in sechs Monaten bei der EM für Österreich spielt? Oder ist das auszuschließen?

Fink: Ausschließen will ich nichts. Aber jetzt ist sicher nicht der Zeitpunkt, um darüber zu reden. Häufig hängt sehr viel davon ab, ob auch das Innenband betroffen ist, ob es Meniskus- oder Knorpelschäden gibt. Das ist, langfristig gesehen, oft entscheidender als der Kreuzbandriss selbst. Man kann David Alaba nicht besonders gut oder sozusagen besser als andere operieren, damit er schneller fit wird. Das Knie wird operiert wie jedes andere.

STANDARD: Xaver Schlager, den Sie nach einem Kreuzbandriss operierten, stand nach sechs Monaten wieder auf dem Platz. Zu früh?

Fink: Jedenfalls sehr früh. Aber Leistungssport ist immer die Suche nach dem besten Kompromiss, und Spitzensport an sich hat mit Gesundheit recht wenig zu tun. Oft sind es spezielle Überlegungen, die den Zeitpunkt eines Comebacks mitbestimmen. Steht vielleicht ein Großevent an? Das kann einen großen Unterschied ausmachen. Auch das Alter eines Spitzensportlers oder einer Sportlerin spielt mit. Wenn einer schon 35 ist und unbedingt noch einmal zu einer WM will, wird er vielleicht ein höheres Risiko eingehen als ein 19-Jähriger, der seine Karriere noch vor sich hat.

STANDARD: Stichwort Giorgio Chiellini.

Fink: Ja, den hab ich auch operiert. Chiellini hat als 35-Jähriger nach fünfeinhalb Monaten Verletzungspause wieder gespielt. Weil er unbedingt für Italien bei der EM dabei sein wollte. Er hätte sich, aber das wusste er natürlich nicht, sogar mehr Zeit lassen können, weil die EM dann um ein Jahr verschoben wurde. Chiellini hat mir vor seinem Comebackspiel geschrieben: "Christian, I am super careful." Ich hab dann ein Foto von diesem Spiel gesehen, natürlich hat er sich reingehaut wie immer, da hab ich ihm einen Smiley zurückgeschickt.

STANDARD: Wie hoch ist, wenn das Comeback früh erfolgt, das Risiko einer neuerlichen Verletzung?

Fink: Jeder Monat später verringert natürlich das Verletzungsrisiko. Die Rückkehr zu dem Risiko, dem man sich vor der Verletzung ausgesetzt hat, ist an sich schon das größte Risiko. Und dieses Risiko ist bei Kreuzbandrissen auch nach zwölf Monaten nicht gleich null. Das kann es schon deshalb nicht sein, weil es dieses Risiko auch vorher gegeben hat, sonst wäre ja auch keine Verletzung passiert. Ich muss immer schmunzeln, wenn mich ein Patient fragt, ob die Sportausübung "jetzt wieder sicher" wäre. Sicher war sie ja nie.

STANDARD: Können Sie ein Knie wieder so stark machen, wie es vor der Verletzung war?

Fink: Wir sind sicher nicht besser als die Natur. Manche bilden sich das vielleicht ein – ich mir nicht. Leider oder Gott sei Dank lässt sich in der Medizin nicht alles planen. Und die Operation ist ja auch nicht der alleinige Schlüssel zum Erfolg. Sie soll schon passen, aber die Rehab ist extrem wichtig. Ich sage meinen Patienten immer, die Operation macht vierzig Prozent aus und das Danach sechzig Prozent. Der große Vorteil, den Spitzensportler haben: Sie müssen nicht darüber nachdenken, wie sie die Therapie in ihren Tagesablauf einbauen. Die Therapie ist ihr Tagesablauf.

STANDARD: Oft heißt es, dass jemand "gestärkt" aus einer Pause zurückkommt. Kann es das wirklich geben?

Fink: Es gibt schon Sportler, die in der Reha nach einer Verletzung extrem konsequent sind und die Zeit nutzen, um auch an ihren Schwächen zu arbeiten. Die kommen dann manchmal athletischer daher als vorher, weil sie auch den restlichen Körper auf einen Toplevel gebracht haben. Die Zeit für einen Kraftaufbau haben sie ja sonst kaum, weil sie permanent performen müssen. Es ist sehr cool zu sehen, wenn jemand wirklich die Zeit genützt hat.

STANDARD: Fußball und der alpine Skisport sind in unseren Breitengraden besonders populäre Sportarten, deshalb bekommt man schwere Knieverletzungen von Sportstars am ehesten mit. Aber sind diese Sportarten diesbezüglich auch tatsächlich besonders riskant?

Christian Fink
Der Chirurg Christian Fink hat schon viele Spitzensportlerinnen und Spitzensportler operiert. Und einmal auch zu hören bekommen: "Doc, you know, this is a very important knee."
Christian Brecheis / Gelenkpunkt

Fink: Sind sie. Wobei im Handball und im Basketball natürlich schon auch viel passiert. Aber, wie Sie sagen, das wird nicht so bekannt. Beim Skisport spielt natürlich die Geschwindigkeit eine große Rolle, bei den Ballsportarten ist es der Kontakt mit dem Gegner. Freilich gehen Verletzungen oft nicht auf einen unmittelbaren Kontakt zurück, sondern zum Beispiel darauf, dass sich ein Fußballer bei einem Kopfball auf alles konzentriert, aber garantiert nicht auf seine Landung. Und es gibt oft keine Rutschphase, das Bein bleibt stehen, aber der restliche Körper verdreht sich.

STANDARD: Lassen sich Knieverletzungen im Skisport und im Fußball vergleichen?

Fink: Wir haben sogar vor nicht allzu langer Zeit zu diesem Thema publiziert. Dabei wurden je 45 Verletzungen miteinander verglichen. Herausgekommen ist, dass die Komplexität mit Zusatzverletzungen im Fußball mindestens ebenso hoch ist wie im Skisport. Da ist nicht viel Unterschied.

STANDARD: Und die Zusatzverletzungen machen den Unterschied aus?

Fink: Die Diagnose wird immer besser. Wir sehen mehr, nicht zuletzt dank moderner MRT-Geräte, und wir wissen auch mehr. Über Kreuzbandverletzungen gibt es jährlich circa 2.000 Publikationen, viele behandeln die Peripherie, Zusatzverletzungen und das Wiederverletzungsrisiko.

STANDARD: Macht es für Sie einen Unterschied, ob ein Spitzensportler vor Ihnen auf dem Tisch liegt?

Fink: Das macht definitiv keinen Unterschied. Man soll bloß nicht versuchen, die Dinge besser zu machen, als man sie sonst macht. Da schlägt das Pendel meistens zurück.

STANDARD: Verspüren Sie mehr Druck, wenn Sie einen Fußballstar operieren, der vor einigen Monaten um, Hausnummer, dreißig Millionen Euro den Verein gewechselt hat?

Fink: Das blende ich aus. Es ist auch schon vorgekommen, dass ein Manager eines solchen Fußballers mir auf die Schulter geklopft und gesagt hat: "Doc, you know, this is a very important knee." Aber erstens braucht man mir das nicht sagen, das weiß ich auch so. Und zweitens weiß ich, dass das Knie vor allem für den Manager, der Provisionen kriegt, very important ist.

STANDARD: Sie führen 350 bis 380 Operationen im Jahr durch, 95 Prozent davon am Knie. Wie hoch ist der Anteil an Spitzensportlerknien?

Fink: Der wird mittlerweile bei fast 20 Prozent liegen.

STANDARD: Lässt sich da schon von einer gewissen Routine reden?

Fink: Von Routine rede ich nie. Ich tu mir auch mit dem Begriff "Routineeingriff" ganz schwer. Auch wenn man etwas schon oft gemacht hat – kein Eingriff sollte Routine sein. (Fritz Neumann, 19.12.2023)