Rettungskräfte auf den Trümmern eines Gebäudes.
Die Rettungskräfte sind im Dauereinsatz.
AP

118 Tote – das ist bisher der Stand nach dem Erdbeben in China, das sich in der Nacht von Montag auf Dienstag ereignete. Mit einer Stärke von 6,2 bebte die Erde in der nordwestlichen Region Gansu. Das Zentrum lag etwa 100 Kilometer südwestlich der Millionenstadt Gansu im Kreis Jishishan. Dort seien mindestens 6000 Häuser eingestürzt und die Wasser- und Stromversorgung unterbrochen. Eine Bewohnerin schildert dem Staatsfernsehen, wie sie ihre Familie aufweckte und ins Freie flüchtete: "Ich wohne im 16. Stock und habe die Erschütterungen so stark gespürt. Ich weckte meine Familie, und wir stürmten in einem Atemzug alle 16 Stockwerke hinunter." Viele Menschen harren aktuell bei Minusgraden im Freien aus. Bilder des Staatsfernsehens zeigen, wie diese mit Suppenküchen versorgt werden. In der Nacht wurden minus 16 Grad gemessen.

Bewohner:innen wärmen sich an einem Lagerfeuer.
Im Erdbebengebiet hat es aktuell Temperaturen weit unter null Grad.
AFP/CNS/STR

Die staatlichen Medien widmeten dem Thema große Aufmerksamkeit. Präsident Xi Jinping sowie Premier Li Qiang betonten, den Opfern sofort alle nötige Hilfe zukommen zu lassen. Rund 2200 Rettungskräfte sollen aktuell in der Region sein, darunter auch Soldaten der Volksbefreiungsarmee. Das chinesische Katastrophenamt stellte umgehend 200 Millionen Yuan, rund 25 Millionen Euro, zur Verfügung. Gansu gilt als wirtschaftlich schwache Region und der Kreis Jishishan als abgelegen. Knapp 240.000 Menschen leben hier in einer Bergregion südlich des Gelben Flusses. Viele Häuser dürften von minderer Bauqualität sein.

Erinnerung an die Katastrophe von Sichuan

Erdbeben rund um das tibetische Plateau gibt es relativ häufig. Tektonisch trifft dort die Indische Platte auf die Eurasische Platte. Das Hochgebirge Tibets ist ein Ergebnis dieser Plattenverschiebungen. Dieses grenzt im Südosten an die bevölkerungsreiche Region Sichuan. Im Norden liegt die eher dünnbesiedelte autonome Region Gansu, die den Osten Chinas mit der Region Xinjiang verbindet. 2010 bebte die Erde in der angrenzenden Provinz Qinghai und forderte mehr als 100 Todesopfer. Dies ist aber kein Vergleich zu dem Desaster, das sich zwei Jahre zuvor ereignet hatte.

Die Nachricht von einem Erdbeben in China lässt schnell die Erinnerung an die Katastrophe von Sichuan 2008 wach werden. 70.000 Menschen kamen damals ums Leben, fünf Millionen Gebäude wurden beschädigt, knapp sechs Millionen Menschen wurden obdachlos. Nicht nur das – das Trauma wurde durch Staat und Behörden amplifiziert, die die wahren Todeszahlen zu verschleiern versuchten. Bei dem Beben waren ungewöhnlich viele Kinder ums Leben gekommen. Dies war auf die unzureichende Bauqualität der Schulen zurückzuführen. Die Katastrophe löste Proteste zahlreicher Eltern aus.

Unmut der Behörden

Der chinesische Künstler Ai Weiwei, damals noch halbwegs gelitten von der chinesischen Führung, begann in Sichuan zu toten Schulkindern zu recherchieren und dies künstlerisch zu verarbeiten. Damit zog er den Unmut der Behörden auf sich und ging später ins Exil.

Auch hinsichtlich des Sars-CoV-2-Virus war die Informationspolitik der chinesischen Führung opak. Anfangs wurden die Infektionszahlen heruntergespielt, bis schließlich ein Lockdown in Wuhan verhängt wurde. Zudem deuten zahlreiche Indizien darauf hin, dass das Virus in dem dortigen Labor künstlich erzeugt worden war.

Die hohe Aufmerksamkeit von Politik und staatlichen Medien dürfte aktuell auch darin begründet sein, diesem Eindruck entgegenzuwirken. Gleichzeitig sind Naturkatastrophen auch immer wieder Steilvorlagen für Politiker, sich als Retter zu inszenieren. Wie so oft bei Erdbeben dürfte die Zahl der Todesopfer in den kommenden Tagen noch nach oben korrigiert werden. (Philipp Mattheis, 19.12.2023)

"ZiB 9 Uhr": Tote bei Erdbeben in China
Bei einem Erdbeben in China sind mehr als hundert Menschen ums Leben gekommen. Nach dem Erdbeben der Stärke 6,2 wurden mehr als 2.000 Kräfte in das Katastrophengebiet entsandt.
ORF