Solange andere religiöse Symbole getragen werden, kann das Kopftuch nicht verboten werden.
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Religiöse Symbole am Arbeitsplatz sorgen immer wieder für Diskussionen. Meist geht es dabei aber nicht um christliche Kreuze an Wänden, sondern um muslimische Frauen, die Kopftücher tragen. Auch der Europäische Gerichtshof (EuGH) war in den vergangenen Jahren bereits mehrfach mit dieser Thematik befasst. Zuletzt erging im November ein Urteil, wonach Behörden das Tragen eines Kopftuchs im Dienst verbieten können.

Die Luxemburger Richterinnen und Richter des Europäischen Gerichtshofs begründen ihre Entscheidung damit, dass ein Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes den Grundsatz der Neutralität verfolge und daher "ein vollständig neutrales Verwaltungsumfeld" schaffen sollte. Folglich dürfe daher dem gesamten Personal – unabhängig davon, ob ein direkter Kontakt mit Kundinnen und Kunden besteht – das Tragen von Zeichen religiöser Überzeugungen untersagt werden.

Kaum heimische Judikatur

Hintergrund ist ein Fall aus Belgien. Die Stadt Ans hatte einer muslimischen Mitarbeiterin das Tragen eines Kopftuchs bei ihrer Arbeit im öffentlichen Dienst verboten, wogegen die Frau vor dem Arbeitsgericht in Lüttich wegen Diskriminierung und Verletzung ihrer Religionsfreiheit klagte. Dieses legte den Fall dem EuGH vor, um eine grundsätzliche Klärung herbeizuführen.

"In Österreich hält sich die Judikatur zu solchen Fällen in Grenzen", sagt Arbeitsrechtsexpertin Kristina Silberbauer. Einige Fälle seien jedoch schon in Verfahren vor der Gleichbehandlungskommission erledigt worden. Urteile des EuGH, mit denen europäische Richtlinien ausgelegt werden, seien auch in Österreich zu beachten, erklärt sie. Konkret bedeutet das: Die heimischen Gerichte müssen vergleichbare Fälle im Sinne der EuGH-Entscheidung beurteilen.

Kreuze und Kippas müssten auch verboten werden

Das betont auch der Verfassungsrechtsexperte Bernd-Christian Funk. Kopftuchverbote würden dadurch aber keinesfalls legal, sagt er. Solange andere religiöse Symbole getragen würden oder sonst in der Schule oder am Arbeitsplatz sichtbar seien, ergebe sich aus den EuGH-Sprüchen "eine Pattsituation". Fazit: Das Kopftuch bleibt, solange es Kreuze oder Kippas auch tun.

Damit, so Funk, habe etwa Oberösterreichs FPÖ-Chef und Landeshauptmann-Stellvertreter Manfred Haimbuchner schlechte Karten. Für ihn war das letzte EuGH-Urteil ein Anlass, um ein Verbot von Kopftüchern im öffentlichen Dienst in Österreich zu prüfen. In einer Presseaussendung betonte er die Identifikation der Bevölkerung mit "christlichen Traditionen". Funk: "Das reicht als Begründung keineswegs."

Wie aber ist es um das Recht von Dienstgebern bestellt, das Kopftuch zu verbieten? Grundsätzlich gibt das Gleichbehandlungsgesetz Diskriminierungsverbote vor, die bei Jobausschreibungen, Auswahlverfahren und Stellenbesetzungen einzuhalten sind. Diskriminierung liegt dann vor, wenn Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit, ihres Geschlechts, Religion oder Weltanschauung, des Alters oder der sexuellen Orientierung unmittelbar oder mittelbar diskriminiert werden.

Privatwirtschaft und öffentlicher Dienst

"Das Urteil betrifft gerade jene Richtlinie, die die Basis unserer Gleichbehandlungsgesetze ist", erläutert Arbeitsrechtsexpertin Silberbauer. Das Höchstgericht habe konkretisiert: Das Verbot, sichtbare Zeichen religiöser Überzeugungen am Arbeitsplatz zu tragen, sei laut EuGH keine unmittelbare Diskriminierung, weil es für alle Beschäftigten gilt und somit alle gleichbehandelt werden.

Dazu müssten aber alle Symbole fallen: Wenn das auf ersten Blick neutrale Verbot aber de facto Personen mit einer bestimmten Religion benachteilige, liege durchaus eine mittelbare Diskriminierung vor.

Auch Flora Alvarado-Dupy von der Gleichbehandlungsanwaltschaft betont, dass der EuGH ausdrücklich kein allgemeines Kopftuchverbot legalisiert habe. Er habe vielmehr die Tür für "ein allgemeines, undifferenziertes Verbot von allen religiösen und weltanschaulichen Zeichen" geöffnet – nicht nur in der Privatwirtschaft, sondern auch beim öffentlichen Dienst. "Wer das Kopftuch verbietet, muss also konsequenterweise auch die Kreuzkette untersagen."

Legitimer Zweck

Zudem bedürfe es eines legitimen Zwecks für ein Kopftuchverbot – beispielsweise könnte ein Unternehmen damit argumentieren, eine betriebsinterne Neutralitätspolitik zu verfolgen. Das aber müsse vorbereitet und kommuniziert werden: "Ein Arbeitgeber darf aber nicht einfach zu einer Mitarbeiterin gehen, die ein Kopftuch trägt, und sie auffordern, es abzulegen." Stattdessen brauche es verbindliche Richtlinien.

Bei der Gleichbehandlungsanwaltschaft würden immer wieder Fälle landen, bei denen Mitarbeiterinnen das Tragen des Kopftuchs verboten wurde, erzählt Alvarao-Dupy. Oft würden die Unternehmen erst im Nachhinein damit argumentieren, Neutralität umsetzen zu wollen. "Das ist keine Rechtfertigung. Wenn das Neutralitätsgebot zum Schein nachträglich konstruiert wird, geht es eigentlich um Diskriminierung." Das hätten neben der Gleichbehandlungsanwaltschaft auch schon manche Richterinnen und Richter so gesehen. Die Causen seien zugunsten der Klägerinnen ausgegangen. (Muzayen Al-Youssef, Irene Brickner, Anika Dang, 20.12.2023)