"Fälschung" und '"Wie lange noch?" steht auf den Plakaten der Protestierenden.
AP/Darko Vojinovic

"Diebe! Diebe!", riefen die Studenten und Studentinnen am Dienstagabend vor dem Gebäude der Wahlkommission in der serbischen Hauptstadt Belgrad und forderten von der Kommission wegen zahlreicher Unregelmäßigkeiten und möglichen Wahlbetrugs die Annullierung der Lokalwahlen in Belgrad. Obwohl der Smog in Belgrad am Dienstag – wie oft im Winter – schon sehr gefährliche Werte erreichte, harrten die Demonstranten aus.

"Vučić wird wie Milošević enden! Die Leute werden Widerstand leisten!", war auf Transparenten zu lesen. Damit sollte daran erinnert werden, dass die serbische Demokratiebewegung im Jahr 2000 durch Proteste den Rücktritt des damaligen Autokraten Milošević erreicht hatte. Nun geht es um das Regime des autoritär regierenden Präsidenten Aleksandar Vučić, der am vergangenen Sonntag unnötigerweise Parlamentswahlen angesetzt hatte, um seine Macht zu konsolidieren. Die letzten Wahlen hatten erst im Vorjahr stattgefunden.

Enttäuschte Hoffnung

Am Sonntag hatten aber auch in 65 Gemeinden in Serbien, etwa in Belgrad, Lokalwahlen stattgefunden. Das Oppositionsbündnis "Serbien gegen Gewalt" (SPN) hatte sich in der Hauptstadt einen Sieg über die regierende rechtspopulistische Fortschrittspartei SNS von Vučić erwartet. Den Ergebnissen der Wahlkommission zufolge gewann die SNS in Belgrad jedoch 49 Sitze, die SPN 42 Sitze. Drei weitere Listen schafften es ebenfalls in das Parlament.

Die Wahlbeobachtungsmission der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) und des Europaparlaments kritisierte bei den Wahlen am Sonntag "den Missbrauch öffentlicher Mittel, die mangelnde Trennung zwischen offiziellen Funktionen und Wahlkampfaktivitäten sowie Einschüchterung und Druck auf Wähler, darunter auch Fälle von Stimmenkauf". "Das entscheidende Engagement des Präsidenten dominierte den Wahlprozess, und die Verwendung seines Namens durch eine der Kandidatenlisten sowie die Voreingenommenheit in den Medien trugen zu ungleichen Wettbewerbsbedingungen bei", sagte der österreichische Politiker Reinhold Lopatka, der Leiter Mission.

Kritisiert wurden von den Beobachtern auch die fehlende Medienfreiheit, Informationsmanipulation und die "Kultur der vorgezogenen Wahlen", "die das Vertrauen der Öffentlichkeit in den demokratischen Prozess und die ihn steuernden Institutionen schmälerte", die persönliche Diskreditierung von Gegnern und die harte Rhetorik im Wahlkampf.

Regierungsbildung

Nach den Wahlen könnten nun beide großen Parteien in Belgrad, die SNS sowie auch das Oppositionsbündnis (SPN), nur gemeinsam mit der Partei des politischen Newcomers und Youtube-Stars Branimir Nestorović eine Regierung bilden. Der Arzt, Impfgegner und Verschwörungstheoretiker Nestorović gab bekannt, dass er die Fortschrittspartei und deren Koalitionspartner "bei einigen Vorschlägen" unterstützen werde. Seine Partei "Wir, die Stimme aus dem Volk" wolle aber keiner Koalition beitreten. Es dürfte also zu einer Minderheitsregierung der Fortschrittspartei und ihrer Koalitionspartner mit Unterstützung von Nestorović kommen, andernfalls könnten Neuwahlen in Belgrad stattfinden.

Die Oppositionspolitiker von der SPN, Marinika Tepić und Miroslav Aleksić, setzen indes ihren Hungerstreik fort. Aleksić sagte, dass ihr Bündnis die Studenten und die Proteste unterstütze. Er forderte die Wahlkommission und die Staatsanwälte auf, sich zu den Vorwürfen des Wahlbetrugs zu äußern, und zeigte Bilder von Politikern aus dem Nachbarstaat Bosnien und Herzegowina, die in Belgrad gewählt hatten.

Die serbische Verwaltung verteilte in den letzten Jahren massenhaft Staatsbürgerschaften in den Nachbarstaaten. Am Sonntag wurden dann Leute mit serbischen Staatsbürgerschaften aus den Nachbarstaaten nach Serbien gekarrt, um dort zu wählen. Es ging dabei auch um eine politische Botschaft: Alle Serbinnen und Serben sollten – unter Missachtung der Staatsgrenzen und der Souveränität der Nachbarstaaten – in Serbien wählen, um eine Art Großserbien zu demonstrieren. (Adelheid Wölfl, 20.12.2023)