Wer die Jolly-Fabrik in Graz-Gösting betritt, begibt sich auf eine Zeitreise. Seit Jahrzehnten rollen hier Buntstifte von denselben Maschinen. Es dampft und zischt, die Luft ist in einen Wachsgeruch getränkt. In rund 40 Arbeitsschritten werden hier die bekannten Buntstifte hergestellt, aber auch Wasserfarben und andere Produkte der Marke Jolly. Dabei ist viel Handarbeit involviert – etwa bei der farblichen Sortierung der Stifte in die Schachteln. Bis diese dort landen, müssen die rund 90 Farben angerührt und die Mine eingelegt werden, bevor ein Stift insgesamt acht Mal lackiert und schließlich noch gespitzt wird. Geleitet wird das steirische Werk seit 16 Jahren von Walter Rabitsch. Er erzählt, wie die Digitalisierung die Stiftbranche verändert hat und warum es auch bei Buntstiften Farbentrends ähnlich wie in der Modewelt gibt.

STANDARD: Eine grundlegende Frage gleich zu Beginn: Welche ist Ihre Lieblingsfarbe?

Rabitsch: Ganz klar: Smaragdgrün.

STANDARD: Welche Farbnummer hat die bei Jolly?

Rabitsch: 17.

STANDARD: Und schreiben Sie im Alltag auch mit Nummer 17?

Rabitsch: Ich nehme, was ich am Schreibtisch erwische. Das hat sich aber leider sehr verändert. Es wird immer mehr digital getippt, statt dass wir zum Stift greifen.

Walter Rabitsch vor der Maschine, die die Minen in die Holzbrettchen einlegt. Im Anschluss werden die Stifte lackiert, gespitzt und verpackt.
Alexander Danner

STANDARD: Den Standort der Fabrik gibt es seit knapp hundert Jahren. Damals hatten Papier und Stift noch einen ganz anderen Stellenwert. Was macht die Digitalisierung mit einem Buntstiftbetrieb?

Rabitsch: Sie bringt auf jeden Fall einige Einschnitte. Gegenüber meiner Schulzeit hat sich vieles verändert, das Mitschreiben wird zum Beispiel weniger. Es gibt jetzt viel mehr Vordrucke und Ausfüllhilfen. In der ersten und zweiten Klasse wird noch viel geübt, darüber hinaus hat der Gebrauch abgenommen. Insgesamt wird der Zeitraum, in dem Kinder Stifte verwenden, kürzer. Das digitale Zeitalter geht ab zehn, zwölf Jahren auch in der Schule los. Da wir sehr viel in diesen Bereichen liefern, merken wir das natürlich. Aber wir haben es auch geschafft, mehr Richtung Kindergarten vorzurücken. Da werden Stifte bleiben, weil es auch für die Motorik wichtig ist.

STANDARD: Merken Sie das auch an der Nachfrage?

Rabitsch: Das Produktportfolio hat sich auf jeden Fall gestrafft, Eigenmarken sind nicht mehr so präsent. Die Werbemittelbranche hat sich auch stark verändert, das spüren wir. Früher haben sich viele Firmen das eigene Logo auf den Stift prägen lassen. Wir haben uns aber auch von einigen Aufträgen verabschiedet, die zwar eine gute Werksauslastung brachten, aber kostendeckend war das nicht.

STANDARD: Wie läuft der Produktionsprozess eines Buntstifts ab?

Rabitsch: Stifte machen ist nichts anderes als Kekse backen: Gesteinsmehl, Fett, Bindemittel, Pigment. Da wird abgewogen und in der richtigen Reihenfolge zusammengegeben. Die Masse wird durchgeknetet und erwärmt. Und dann ist es wie beim Kekseausstechen, da wird alles in Form gebracht. Vier Gramm Minenmasse landen in jedem Stift. Kekse müssen mürbe werden, und die Minenmasse muss auch nachreifen – 14 Tage bis sechs Wochen dauert das, damit sie die Feuchtigkeit verlieren. Insgesamt sind das über 40 Handgriffe. Und wir haben knapp 90 Rezepturen bei unseren Buntstiften.

STANDARD: Und woraus bestehen Buntstifte?

Rabitsch: Wir haben eine Mine innendrin, einen Holzmantel, einen Lack und eine Prägung. Das sind die vier Aufbaustufen. Im Prinzip ist es nichts anderes als zwei Holzbretter, in die wir Rillen hineinfräsen. In jede Vertiefung kommt ein Minenleim hinein, dann die Mine und anschließend wieder ein Brettchen drauf. Der fertige Stift ist dann wie ein Sandwich. Das hat sich seit einem Jahrhundert eigentlich nicht verändert.

Die Maschinen, mit denen die Stifte produziert werden, sind teilweise mehrere Jahrzehnte alt.
Alexander Danner

STANDARD: Stichwort Veränderung: Gibt es so etwas wie Farbentrends in der Stiftewelt?

Rabitsch: Ja. Wir erleben das tagtäglich in der Mode, in der Kosmetik, beim Autokauf: Da gibt es Farbentrends. Die schwappen auch zu uns über. Zurzeit sind Erdtöne und Pastelltöne in. Neon geht immer gut, Metallic kommt schon langsam wieder. Das ist ein Auf und Ab, aber es wiederholt sich. Unser meistverkauftes Produkt ist die Zwölferbox. Damit deckt man mehr oder weniger die ganze Farbpalette ab.

STANDARD: Sie produzieren aber mehr Farben.

Rabitsch: Ja, deutlich. Rein sortiert in Farben sind es 48, aber mit den Sonderfarben sind wir bei knapp 90 verschiedenen Farben.

STANDARD: Welche davon wird am häufigsten verkauft?

Rabitsch: Kirschrot. Das ist natürlich eine Farbe, die zum Korrigieren verwendet wird, sie hat aber auch eine starke Signalwirkung. Warum es immer Rot ist, weiß ich nicht. Dann kommen bald Blau und Grün. Weil was malen Kleinkinder? Ein Haus, eine Wiese, einen Himmel. Und dann kommen noch Einhorn und Engelchen dazu, da braucht man Rosa, Gold und Silber.

STANDARD: Statt der klassischen Hautfarbe haben Sie mittlerweile mehrere Variationen.

Rabitsch: Ja, da ist jetzt auch Crème oder Ocker dabei. Wir haben immer wieder Diskussionen über Namensgebungen. Darf man zum Beispiel noch Fleischfarbe sagen? Die heißt bei uns jedenfalls auch weiter so.

STANDARD: Können und wollen Kinder noch zeichnen oder nur mehr am Smartphone wischen?

Rabitsch: Ich denke schon, dass sie malen wollen. Wichtig ist, dass ihnen eine Begeisterung von Lehrpersonen vermittelt wird. Dann werden die Kinder auch malen. Es ist aber auch ein notwendiges Übel, wir werden Stifte immer brauchen. Deshalb haben wir auch den Jolly drauf: einen Hofnarren, der Späße macht, aber auch die Ernsthaftigkeit erklären durfte. Es soll Spaß machen, die Wissensvermittlung ist aber auch ernst. Da muss man eine Balance finden.

Bevor die nächste Farbe produziert wird, müssen die Maschinen gereinigt werden. Vor allem bei der Produktion von weißen Stiften ist das wichtig.
Alexander Danner

STANDARD: Werden Kinder auch in die Entwicklung neuer Produkte einbezogen?

Rabitsch: Ja, das machen wir im Burgenland, wo unser Marketing sitzt. Wenn wir eine neue Idee haben, machen wir dort eine Testgruppe. Vor der Pandemie gab es außerdem einen regen Austausch über Schulführungen. Wir haben drei, vier Schulklassen pro Woche durchs Haus geschleust. Da haben Kinder auch Inputs geliefert. Und auch darüber hinaus sind wir im Austausch mit Pädagogen.

STANDARD: Nicht nur Kinder zeichnen, auch Erwachsene greifen zum Buntstift. Hat sich Ihre Zielgruppe dadurch verschoben?

Rabitsch: Ein wenig. Vor drei, vier Jahren war Zeichnen ein großer Hype bei Erwachsenen. Eine Zeitlang ging das relativ gut. Die Entdigitalisierung durch Analogisierung – sprich Mandalas malen. Das ist überraschend schnell gekommen, war aber genauso schnell wieder weg.

STANDARD: Stifte bestehen zum Großteil aus Holz. Hat sich der starke Preisanstieg am Rohstoffmarkt auf Ihren Betrieb ausgewirkt?

Rabitsch: Wir haben es indirekt gespürt: Wir haben eher die gestiegenen Kosten von Energie und Transport gemerkt. Wir verwenden Kiefernholz für unsere Stifte. Wir haben Holz aus Polen, Tschechien, Deutschland und Kroatien. Der Rohstoff ist zwar aus Europa, wird da geschlagen und ist auch zertifiziert. Die Fertigung wird aber in Billiglohnländern gemacht, das Holz kommt dann als fertige Brettchen zurück zu uns.

STANDARD: Hat die Teuerung auch auf die Preise durchgeschlagen?

Rabitsch: Wir müssen auch unsere Preise moderat erhöhen. Die Frage, ob wir die höheren Kosten auch immer am Markt unterkriegen, ist eine andere. Es ist alles signifikant teurer geworden. Für uns ist gerade die große Frage, wohin sich der Markt entwickelt – und welche Rohstoffe wir in Zukunft noch haben werden. Es gibt ein großes Sterben bei Rohstofflieferanten. Wir haben eine Vorlaufzeit von 18 bis 24 Monaten, bis wir ein neues Produkt auf den Markt bringen. Da brauchen wir Planungssicherheit.

STANDARD: Im Handel gibt es mittlerweile eine breite Palette an Stiften. Sind Produkte aus Asien eine große Konkurrenz?

Rabitsch: Seit der Jahrtausendwende kommen vermehrt fernöstliche Produkte rein. Wir versuchen uns dadurch abzuheben, dass wir qualitativ besser sind. Und wir legen auch viel Aufmerksamkeit auf die Sortierung. Da wird jeder Stift auf Makel überprüft, schlechte werden aussortiert. Das Know-how liegt bei den Mitarbeitern.

STANDARD: Wie viele Kilometer kann man mit einem Buntstift eigentlich schreiben?

Rabitsch: Wir sprechen von einigen Kilometern, genau kann ich es Ihnen nicht sagen. Nur so viel: Wir haben eine Abschreibmaschine, die ein Stück Papier bewegt. Darüber steckt ein Stift im 75-Grad-Winkel. Dann geben wir oben 100 Gramm Gewicht drauf – das ist ungefähr das Gewicht einer Kinderhand mit dem Druck. Die Maschine dreht sich und dreht sich, und es wird mitgezählt. Bis nur die Spitze einmal abgeschrieben ist, sind es 700 Meter. (Nora Laufer, 24.12.2023)