Erwin ist 61 Jahre alt. Neben der Diagnose Trisomie 21 leidet er an Alzheimer-Demenz. Marianne Wilfling, Fachfrau für Behinderung und Demenz bei LebensGroß in der Steiermark, begleitet Erwin seit vielen Jahren. Sie erzählt:

"Viele Jahre hat Erwin in einer produktiven Werkstätte gearbeitet. 2017 ist er in das Tageszentrum für beeinträchtigte Senior:innen gewechselt. Gewohnt hat er immer schon in einem dem Tageszentrum und der Werkstätte angeschlossenen Wohnheim. Die ersten kognitiven Einschränkungen, zusätzlich zu jenen, die Trisomie 21 mit sich bringt, wurden 2022 merkbar. Mir ist aufgefallen, dass er nicht mehr verstanden hat, weshalb er ins Tageszentrum gehen soll. Im Gespräch hat er dann mit fester Überzeugung erklärt, dass es Sonntag ist und das Tageszentrum daher geschlossen ist. Tatsächlich war es aber Mittwoch. Erwin hat sich mit der zeitlichen und örtlichen Orientierung zunehmend schwer getan, hat immer öfter Wochentage verwechselt. Die Versuche von Mitarbeiter:innen, Erwin davon zu überzeugen, dass er im Unrecht ist, haben eine massive Abwehr ausgelöst. Erwin ist verbal und auch körperlich aggressiv geworden, er hat um sich geschlagen und viele Schimpfwörter benutzt. Ich habe begonnen, diese Veränderungen zu beobachten, und versucht, in der Interaktion mit Erwin anders zu reagieren. Ich habe eine validierende Haltung Erwin gegenüber eingenommen, und die aggressiven Tendenzen haben sich schlagartig geändert. Bis zu diesem Zeitpunkt war eine mögliche Demenzerkrankung für uns Betreuende nicht vorstellbar gewesen."

Schwierigkeit bei Diagnosestellung

In Österreich leben etwa 9.000 Menschen mit der Diagnose Trisomie 21. Die Wahrscheinlichkeit dieser Menschen, an Alzheimer-Demenz zu erkranken, liegt bei über 90 Prozent, Wissenschafter:innen sprechen daher auch von einer "genetischen Form der Demenz". Trotzdem gibt es wenig adäquate Diagnostikverfahren, um eine Demenz festzustellen. "Natürlich ist die Diagnostik nicht ganz einfach, weil die Skalen und Instrumente nicht unbedingt von vornherein auf diese Patientengruppe abgestimmt sind. In der englischen Literatur gibt es mehr angepasste Instrumente. Es geht also in Zukunft darum, die Testinstrumente auszutauschen und anzupassen", berichtet Josef Marksteiner von der Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie des Landeskrankenhauses Hall in Tirol. Er betont, dass die Beobachtungen von Betreuer:innen und der Familie in der Diagnostik daher eine wichtige Rolle spielen.

Paar tanzt
Obwohl die Wahrscheinlichkeit, an Alzheimer-Demenz zu erkranken, für Menschen mit Trisomie 21 äußerst hoch ist, gibt es wenige adäquate Diagnostikverfahren.
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Erwin entwickelte, wie alle Patient:innen mit Trisomie 21 und Alzheimer-Demenz, massive epileptische Anfälle. Wilfling erzählt: "Nach seinem ersten epileptischen Anfall im August 2022 hat sich sein Zustand sehr rasch verändert. Erwin war bis dahin mittels Rollator selbstständig im Haus unterwegs. Aufgrund der Schwere des Anfalls war eine Remobilisation nur bedingt möglich, und der Rollator musste gegen einen Rollstuhl ausgetauscht werden. Die Begleitung hat sich dahingehend verändert, dass viel mehr Zeit für jegliche Tätigkeit notwendig wurde, und für mich traten die ersten Fragen einer weiteren optimalen Begleitung für ihn auf."

In Ausbildung ausgeklammert

Fehlende Fachkenntnisse zu Demenz und deren Entwicklung, emotionale Erschöpfung und Stress führen bei Begleit- und Betreuungspersonen von Menschen mit Trisomie 21 und Demenz häufig zu Überforderung. Die kognitiven Veränderungen und die Symptome (Verwirrtheit, Gedächtnisstörungen, Kommunikationsschwierigkeiten et cetera) wirken sich dabei besonders belastend auf die Beziehung zwischen der Begleitperson und der demenzkranken Person aus. In den Curricula der Ausbildungen im Gesundheits- und Sozialbereich ist dem Thema Demenz bei Menschen mit Behinderung (noch) kein Platz eingeräumt.

Elisabeth Stögmann von der Ambulanz für Gedächtnisstörungen und Demenzerkrankungen am AKH Wien sieht diesen Umstand als schwierig an, da die Lebenserwartung von Menschen mit Trisomie 21 steigt und die Versorgung und Begleitung bei einer Demenz zunehmend Thema wird. "Daher müssen wir auch überlegen, wie viele Patienten mit Downsyndrom dement werden und wie wir sie versorgen. Aber solche Überlegungen speziell zur Versorgung von Patienten mit Downsyndrom hinsichtlich Demenz sind mir nicht bekannt", führt Stögmann aus. Dabei stellt die Demenz für Menschen mit Downsyndrom ein zunehmendes Problem dar: So ist die Sterblichkeit demenzerkrankter Menschen mit Downsyndrom gegenüber Nichterkrankten um das Vierfache erhöht. Dies ist von höchster Relevanz für die etwa 60 Prozent der Menschen mit Downsyndrom jenseits des 60. Lebensjahres, die an einer Demenz erkranken.

"Erwin lebt jetzt in seiner eigenen Welt"

Erwin ist mittlerweile bettlägerig geworden. Wilfling erzählt: "Die ersten Schluckbeschwerden traten im Frühjahr 2023 auf. Das Essen musste ab diesem Zeitpunkt püriert werden, und auch beim Trinken war ein Eindicken nötig. Im September 2023 hat Erwin aufgehört zu sprechen, und seine Mimik wirkt seitdem starr. Es folgten innerhalb kurzer Zeit weitere epileptische Anfälle, und ich konnte nach jedem Anfall einen weiteren Abbau feststellen. Daraufhin haben wir beschlossen, dass Erwin in seinem Zimmer im Wohnhaus bleiben kann und er eine 1:1-Begleitung erhält. Meine Begleitung bei Erwin ist auf seine Tagesverfassung abgestimmt, hat er einen guten Tag (das heißt, er ist wach), dann kann er sein Schaumbad genießen. Ist der Tag nicht so gut, dann bleibt Erwin im Bett und hat durch Nestlagerung die Möglichkeit, sich spüren zu können. Erwin lebt jetzt in seiner eigenen Welt. Wenn ich diese betrete, dann reagiert er auf mich, indem er mich anschaut und an guten Tagen ein paar wenige, unverständliche Laute von sich gibt."

Benachteiligung von Menschen mit Trisomie 21

Bisher gibt es zu Alzheimer bei Trisomie 21 keine Medikamentenstudien. In den meisten Studien zu Medikamenten, die bei Alzheimer-Demenz oder anderen Demenzformen wirken sollen, werden Menschen mit Trisomie 21 oder anderen Behinderungen sogar explizit ausgeschlossen. Gemeinsam mit den unzureichenden Diagnostikverfahren führt dies zu einer Benachteiligung von Menschen mit Trisomie 21 in der medizinischen Versorgung.

Dazu sagt Georg Nübling, Neurologe in der Ambulanz für Alzheimer bei Downsyndrom am Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität München: "Auch aktuelle Therapiestudien mit neuen, innovativen Therapien schließen Menschen mit einem Downsyndrom in der Regel explizit aus. Dies hat zur Folge, dass Behandlungsempfehlungen für die Alzheimer-Krankheit bei Trisomie 21 nur von den Erfahrungen in der Allgemeinbevölkerung abgeleitet werden können, was letztlich einen Behandlungsnachteil für Menschen mit Downsyndrom darstellt." Dies widerspricht jedoch Artikel 25 der UN-Behindertenrechtskonvention, bei der sich alle Mitgliedsstaaten dazu verpflichtet haben, Menschen mit Behinderung eine "Gesundheitsversorgung (…) von derselben Qualität und auf demselben Standard zur Verfügung (zu stellen) wie anderen Menschen".

Kontinuierliche Information und Bildung der Gesellschaft, Aus-, Fort- und Weiterbildung der Mitarbeiter:innen des Gesundheitswesens, sorgende Gemeinschaften, Finanzierung und Unterstützung durch Bund, Länder und Gemeinden – diese Punkte betreffen alle Menschen mit Demenz, egal welchen Gruppen sie angehören. An diesen Punkten müssen wir arbeiten, sie entwickeln und dranbleiben. Es geht um viel – es geht um uns. Demenz geht uns alle an. (Marianne Buchegger, 3.1.2024)