Pressekonferenz mit Nehammer, Polaschek, Reich und Bogner
Die Bundesregierung gab im Frühling eine Aufarbeitung der Pandemie in Auftrag.
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Donnerstagmittag präsentierten Bundeskanzler Karl Nehammer, Bildungsminister Martin Polaschek (beide ÖVP), Katharina Reich, Generaldirektorin für die Öffentliche Gesundheit, und Alexander Bogner von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) die Aufarbeitungsstudie zur Corona-Pandemie in Österreich. Mit der Studie wurde ein Team von Forschenden der ÖAW, des Zentrums für Soziale Innovation (ZSI) und der Uni Wien beauftragt. Geleitet wurde die Gruppe vom Soziologen Alexander Bogner. Das Ziel war, "Erkenntnisse zu gewinnen und Lehren für künftige Krisensituationen zu ziehen sowie wieder mehr Verständnis zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen herzustellen".

Dazu wurden fünf Fragen untersucht: die Polarisierung in den Medien und der Öffentlichkeit, die Wissenschaftsskepsis in Österreich, das (Nicht-)Funktionieren der wissenschaftlichen Politikberatung sowie die politischen Zielkonflikte bei Impfpflicht und Schulschließungen.

Video: Regierung schließt Aufarbeitung der Corona-Pandemie ab.
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Nehammer: Hehre Motive, dennoch Fehler

"Die Pandemie war für uns alle in Österreich eine harte Zeit", sagte Bundeskanzler Nehammer zu Beginn der Pressekonferenz. Alle Schichten der Gesellschaft seien gleichermaßen betroffen und gleichermaßen herausgefordert gewesen. "Dort, wo gearbeitet wird, passieren Fehler", sagte Nehammer. "Nur wo nicht gearbeitet wird, passieren keine." Nun wolle man aus den Entscheidungen in der Pandemiebewältigung lernen – mit einem Wissen, dass damals noch nicht zur Verfügung gestanden sei. Ziel sei immer gewesen, gemeinsam ein Virus zu bekämpfen, nicht Menschen. "Als wir das erste Mal mit dem Virus konfrontiert wurden, hatten wir keine Möglichkeiten uns zu schützen, außer Abstand halten und Hände waschen." Danach hätte es in rapider Geschwindigkeit neue Entwicklungen gegeben. Alle Maßnahmen der Regierung hätten ein hehres Motiv gehabt: Menschenleben zu retten. Das würde Fehler nicht rechtfertigen, aber erklären. Nehammer bedankte sich den medizinischen Fachkräften, den Pädagoginnen und Pädagogen und auch den Kindern.

"Der sozialwissenschaftliche Bericht, der jetzt vorliegt, gibt uns die Möglichkeit, genauer hinzuschauen", so der Kanzler. "Richtig war, das wir alles unternommen haben, um so viele Menschenleben wie möglich zu retten. Richtig war, dass wir alles getan haben, um die Intensivstationen vor dem Kollaps zu bewahren. Richtig war auch, alles dafür zu tun, dass die kritische Infrastruktur in unserem Land nicht zusammengebrochen ist." Mit dem Wissen von heute würde man aber vieles anders machen. Politisch Verantwortliche würden heute ihre Worte mit mehr Bedacht wählen, wenn sie sich an die Öffentlichkeit wenden. Man würde alles daransetzen, kein "Wir gegen die, die gegen uns" entstehen zu lassen. Ein großer Teil der Bevölkerung stehe hinter den Maßnahmen, doch ein Teil auch nicht – und beide Seiten seien mitzubedenken.

Für den Bericht seien auch Menschen, die in Österreich leben, in Fokusgruppen interviewt worden. Es gebe wichtige Schlussfolgerungen aus dem Bericht. Man müsse stets danach trachten, die Resilienz gegenüber Krisen zu erhöhen. Krisenberichterstattung müsse so breit und transparent wie möglich geschehen, um die Wissenschaftsskepsis zu bekämpfen. Die Gesundheitsberufe müssten attraktiver gemacht werden, damit in einer Belastungssituation genug Fachkräfte zu Verfügung stehen. "Was wäre wenn" bringe wenig – er wolle für die nächste Krise besser werden, so Nehammer, und dafür gebe es jetzt eine Grundlage. Als Bundeskanzler sei er für neun Millionen Menschenleben verantwortlich.

Keine "Schulnoten" für Regierung

Die Politik habe dafür gesorgt, dass die Wissenschaft unabhängig arbeiten konnte, lobt Alexander Bogner, der mit der Studie betraut war. In den Analysen gehe es nicht um Schulnoten für die Regierung oder um eine Evaluation der Maßnahmen. Stattdessen sei es darum gegangen, für künftige Krisen zu lernen. "Akute Krisen erfordern ein anderes Handeln als chronische Krisen", so Bogner. "Akute Krisen verwandeln pluralistische Gesellschaften in Schicksalgemeinschaften." Doch die Solidarität sei mit der Zeit abgeebbt, die Wissenschaftsskepsis habe zugenommen. Ab dem Herbst 2020 habe man sich so in einer chronischen Krise befunden. "Gesellschaftlicher Konsens lässt sich in einer chronischen Krise nicht konservieren und auch nicht so leicht wiederherstellen", so Bogner. In künftigen Krisen solle man den Blick also möglichst bald wieder weiten – denn nehme man die Krise als rein virologisches Problem wahr, kämen etwa psychologische Aspekte zu kurz. "Die wichtigste Frage in einer Krise lautet also: Als was für ein Problem nehmen wir sie wahr?"

"In langwierigen Krisen ist es wichtig, Zielkonflikte offen auszutragen", nennt Bogner seinen zweiten Punkt. "Bei der Impfpflicht hat das nicht funktioniert." Stattdessen hätte die Politik das Thema der "Alternativlosigkeit" gewählt, die Fronten hätten sich verhärtet. So etwas wie die Impfpflicht müsse aber von einer ergebnisoffenen Kontroverse begleitet werden. Das sei nicht geschehen. Dritter Punkt: In Krisen käme es zu einer Kopplung von Medien, Politik und Wissenschaft. So entstehe Unbehagen, dass alle drei Systeme miteinander verflochten seien. In Krisen solle man darum auf besonders klare Grenzen achten.

Neue Learnings bereits im Gesundheitsbereich verankert

"Wir erleben derzeit die größte Corona-Welle bisher", sagte Katharina Reich, die bei der Pressekonferenz den verhinderten Gesundheitsminister Rauch vertreten hat. Von einer Überlastung im Gesundheitssystem sei man aber zum Glück weit entfernt. "Die Pandemie ist vorüber, das Virus bleibt", so Raich. Man betreibe darum das Abwasser-Monitoring, habe ein Dashboard über die akuten Spitalsaufnahmen und beobachte das internationale epidemiologische Geschehen. "Österreich hat die Pandemie überstanden, nicht besser oder schlechter als andere europäische Staaten" – doch die Spaltung der Gesellschaft sei besorgniserregend. Das neue Epidemiegesetz sei in den letzten Zügen der Fertigstellung und enthalte bereits neue Learnings. Die Pandemie habe besonders die Gesundheitsberufe stark gefordert, man versuche nun bessere Arbeitsbedingungen zu schaffen – besonders für die Pflegekräfte, spricht Reich die Pflegereform an. Es gehe auch darum, den Zugang zu Gesundheitsdaten zu verbessern. Man sei auch dabei, eine Sekundärdatennutzung für die Wissenschaft auf die Beine zu stellen.

"Wissenschaft und Forschung bilden den Grundstein für unsere demokratische Gesellschaft", schließt Bildungsminister Martin Polaschek an. Gerade in der Pandemie sei weltweit und unter Hochdruck geforscht worden, die Einschätzungen und Empfehlungen hätten sich darum rasch verändert. Basis für die Schulschließungen seien die damals geltenden wissenschaftlichen Erkenntnisse gewesen. Heute würde man vieles anders machen, aber der größte Fehler wäre wohl gewesen, damals gar nichts zu tun. Bereits in der Schule seien Verständnis von und Neugier auf Wissenschaft zu stärken, um die herrschende Skepsis zu bekämpfen. Wissenschaftsbotschafter und Wissenschaftsbotschafterinnen sollen dabei in den Schulen helfen. Er habe auch eine Ursachensuche für die Wissenschaftsskepsis in Auftrag gegeben, so Polaschek.

Überraschender Termin

Die Aufarbeitung war schon im Frühjahr mit einer Frist bis Jahresende angekündigt worden. Anfang Dezember hieß es, dass der Endbericht von ÖAW-Seite, also der Seite der Wissenschaft, gerade fertiggestellt worden sei. Veröffentlichung und Präsentation erfolgten nun kurz vor Jahresende – und zwar recht überraschend. Termin und Ort der Pressekonferenz wurden erst Donnerstagvormittag publik. (Ricarda Opis, 21.12.2023)