Illustration einer bäuerlichen Megasiedlung
So könnte es in den bäuerlich geprägten Megasiedlungen um 4000 vor Christus ausgesehen haben.
Susanne Beyer, Universität Kiel

Denkt man an urzeitliche Städte, so fällt einem vermutlich als Erstes das Zweistromland Mesopotamien ein oder die beeindruckenden Monolithen von Göbekli Tepe in der heutigen Türkei, die schon vor rund 10.000 Jahren errichtet wurden. Doch in prähistorischen Zeiten gab es auch in Europa Städte, die durch ihre Größe beeindruckten: Dort, wo heute Moldawien und die Ukraine liegen, hatten sich in der Kupferzeit vor etwa 6.000 Jahren Menschen angesiedelt. Zur sogenannten Trypillia-Kultur zählen die Städte mit einer Fläche von bis zu 320 Hektar, in denen etwa 15.000 Personen zusammenlebten – die bis dahin größten Siedlungen der Welt, wie man heute vermutet.

Wie sich all diese Menschen ernährten, war lange Zeit nicht klar. Es war naheliegend, dass sie stark auf Landwirtschaft setzten, wenngleich die damaligen Techniken relativ eingeschränkt waren. Eine aktuelle Studie unter der Leitung der Universität Kiel mit Beteiligung von Forschenden aus Moldau und der Ukraine liefert neue Erkenntnisse über den Speiseplan der bäuerlichen Bevölkerung der Riesensiedlungen. Das Forschungsteam stellte fest: Vor allem aß man Hülsenfrüchte und Getreide, also vegetarisch bis vegan oder zumindest flexitarisch. Fleisch spielte eine nachrangige Rolle.

Fleisch für Feierlichkeiten

"Fast jeder und jede kennt wohl die Geschichten um die Comicfigur Popeye, den Seemann, der seine Stärke angeblich der großen Vorliebe für Spinat verdankte", heißt es in der Aussendung der Uni Kiel zur Studie. "Wie wir heute wissen, hat die Wissenschaft den Wert dieses Gemüses lange Zeit viel zu hoch eingeschätzt." Im Gegensatz dazu seien Erbsen wegen des hohen Proteingehalts für Menschen besonders vorteilhaft. Die Wissenschaft habe ihre Bedeutung jedoch lange unterschätzt. Auch im Kontext der Entwicklung des großen Gehirns von Menschen könnten Hülsenfrüchte und Knollen eine wichtige Rolle gespielt haben. Andere Fachleute schreiben aber auch Fleisch oder der Entwicklung des Kochens eine wichtige Rolle zu.

Die Ackerbäuerinnen und Ackerbauern der Megasiedlungen im Nordwesten des Schwarzen Meers konnten der Studie zufolge mehr oder minder auf Fleisch verzichten: Es lieferte mit etwa zehn Prozent einen geringeren Anteil als andere Bestandteile des Nahrungsnetzes. Den Großteil machten mit bis zu 46 Prozent Hülsenfrüchte aus, gefolgt von Getreide. Für wichtige Aminosäuren war dadurch gesorgt. Der Verzehr von Fleisch spielte womöglich aber eine Rolle für den sozialen Zusammenhalt im Rahmen besonderer Feierlichkeiten.

Grafik zeigt, dass die Menschen vor allem Hülsenfrüchte aßen, gefolgt von Getreide. Fleisch nahm eine untergeordnete Rolle in der Ernährung ein.
Die Menschen in der Megasiedlung Maidanetske nahmen im Alltag vor allem Hülsenfrüchte und Getreide zu sich, Fleisch eher selten.
Dr. Frank Schlütz/Carsten Reckweg, Uni Kiel

Zu diesen Ergebnissen kam das Forschungsteam nach der zehnjährigen Analyse von hunderten Proben, unter anderem von Tier- und Menschenknochen. "Diese Daten haben wir dann ganz gezielt durch Isotopenmessungen an verkohlten Erbsen und Getreidekörnern aus Bodenproben verschiedener Trypillia-Siedlungen ergänzt", sagt Archäobotanikerin Wiebke Kirleis von der Universität Kiel, die an der Studie beteiligt war. Die Isotope der Elemente Kohlenstoff und Stickstoff lieferten Hinweise auf die Ernährung von Mensch und Tier, aber auch auf die Düngung der Äcker und die Haltung der Nutztiere.

Clevere Vieh- und Landwirtschaft

"Die Versorgung der Bewohnerinnen und Bewohner der Megasiedlungen beruhte auf einem äußerst ausgeklügelten Nahrungs- und Weidemanagement", sagt Studienautor und Paläoökologe Frank Schlütz. Der Großteil der Rinder und Schafe sei auf eingezäunten Weiden in der Nähe der Wohnhäuser gehalten worden, vor allem als Produzenten von Dünger. Ihr Kot konnte so gut eingesammelt werden und verhalf insbesondere den Erbsenpflanzen zu verbessertem Wachstum. Andersherum konnten die Tiere mit Erbsenstroh gefüttert werden.

Die enge Verzahnung von Pflanzenbau und Viehhaltung sei es wohl auch gewesen, die eine ausreichende und gesunde Ernährung für so viele Menschen ermöglichte. "Dabei konnte auf die arbeitsintensive und ressourcenzehrende Produktion von Fleisch weitgehend verzichtet werden", heißt es in der Aussendung.

Megasiedlung in der heutigen Ukraine, Luftbild zeigt schwarzweiß unterlegt archäologische Strukturen unter der Erde.
Die Megasiedlung Maidanetske befindet sich heute auf dem Gebiet der Ukraine. Die Durchleuchtung des Erdbodens zeigt, wo früher Wohnhäuser, Straßen und öffentliche Gebäude in konzentrischer Anordnung standen.
Institut für Ur- und Frühgeschichte, Uni Kiel

Es hatte ungefähr 600 Jahre gedauert, bis die in dieser Region angesiedelten Menschen anfingen, die immensen Siedlungen nach einem präzisen Plan anzulegen. Ihre Blütezeit hielt 500 Jahre an. Wie aus den archäologischen Grabungen abzuleiten ist, gab es in den Megasiedlungen eine Aufteilung in verschiedene Nachbarschaften. Gebäude und Plätze waren entlang einer Hauptstraße und um ein unbebautes Zentrum herum so angeordnet, dass die Menschen einen gleichberechtigten Zugang zu gemeinschaftlich nutzbaren Teilen der Stadt hatten. In Versammlungshäusern kam die Bevölkerung zusammen und dürfte in Entscheidungsprozesse involviert gewesen sein.

Soziale Ungleichheit

Doch mit der Zeit wurden die Einwohnerinnen und Einwohner offenbar von Kommunikationsstrukturen ausgeschlossen und die Entscheidungen zentral von wenigen privilegierten Menschen getroffen. "Wie wir aus vorhergehenden Untersuchungen wissen, kam es infolge zunehmender sozialer Ungleichheit zu gesellschaftlichen Spannungen", sagt Archäologe Robert Hofmann, der ebenfalls an der Studie mitwirkte.

Auch wirtschaftliche und Umwelteinflüsse könnten zum Untergang der Gesellschaft beigetragen haben. "Die Menschen kehrten den Großsiedlungen den Rücken zu und entschieden sich wieder für ein Leben in kleineren Siedlungen." Ab dem Jahr 3000 vor unserer Zeitrechnung gibt es keine Spuren mehr von der Trypillia-Kultur. (Julia Sica, 22.12.2023)