David Roet ist kurz vor dem Massaker der Hamas am 7. Oktober als designierter Botschafter des Staates Israel in Wien eingetroffen und hat am 21. November sein Beglaubigungsschreiben überreicht. Seit seiner Ankunft nahm er an Kundgebungen teil und gab zahlreiche Interviews, in denen er Solidarität mit Israel einforderte und die Kriegsführung im Gazastreifen verteidigte. Derzeit beschäftigt ihn am meisten der Anstieg des Antisemitismus.

Lichtermeer, Israel, Heldenplatz Geiseln
Das Lichtermeer auf dem Wiener Heldenplatz am 2. November als Solidarität mit Israel und den Geiseln, wo David Roet auch gesprochen hat.
APA / Eva Manhart

STANDARD: Österreich ist eines der wenigen Länder auf der Welt, die uneingeschränkt Israel im Gaza-Krieg unterstützen, auch in der Uno. Warum, glauben Sie, ist das der Fall?

Roet: Ich sehe diese Solidarität über Parteigrenzen hinweg, mit ganz geringen Differenzen, und es ist herzerwärmend. Es ist auch gut für Österreich. Staaten sollen ein Rückgrat haben und zu ihren Überzeugungen stehen. Staaten, die unter Druck ihre Position ändern, erhalten von der anderen Seite keinen Respekt.

STANDARD: Und wie erklären Sie sich das?

Roet: Es hat sicher mit der Art zu tun, wie Österreich mit seiner Vergangenheit umgeht. Ich bin der Sohn eines Holocaust-Überlebenden, und mir ist bewusst, wie sich die Beziehungen mit Israel in den vergangenen 20 Jahren geändert haben – auch auf der Ebene der Menschen.

STANDARD: Die letzten Male, da die FPÖ in der Regierung war, waren die Beziehungen stark abgekühlt. Inzwischen sind auch anderswo in Europa Rechtspopulisten an der Macht. Würde Israel das nächste Mal mit einer solchen Situation anders umgehen?

Roet: Seit dem 7. Oktober ist alle unsere Konzentration auf den Kampf gegen Hamas, und über solche Fragen wird nicht diskutiert. Aber ich sehe keine Änderung in der Politik gegenüber dem politischen System und den Parteien in Österreich.

STANDARD: Österreich hat nach dem Hamas-Massaker seine Zahlungen für palästinensische Hilfsprojekte eingestellt und nach einer Überprüfung Anfang Dezember wieder aufgenommen. War Israel damit einverstanden?

Roet: Österreich hat hier den Weg gewiesen, als es erklärte, dass man die Zahlungen einfrieren und überprüfen müsse. Ich vertraue ihnen, dass ihre Entscheidung jetzt richtig war. Das Problem war ja nie Hilfe für Palästinenser, sondern die Gefahr, dass das Geld an die Hamas gehen würde.

STANDARD: Wie groß ist diese Gefahr denn wirklich?

Roet: Groß, und westliche Staaten müssen das Thema der Terrorfinanzierung ernster nehmen. Wenn wir westliche Staaten darauf aufmerksam gemacht haben, hieß es oft: Bringt uns nicht mit Fakten durcheinander. Es ist nicht leicht, Palästinenser in Gaza zu sein, es war es nie. Aber zuerst heißt es, dass es an Baumaterial fehlt, und dann sehen wir, wie mit Spezialgeräten vier Meter breite Tunnel gebaut werden. Die Hamas nimmt das Geld der eigenen Leute, um ihre Infrastruktur im Untergrund zu errichten.

David Roet, Israels Botschafter in Österreich.
Botschaft des Staates Israel

STANDARD: Kann die EU eine konstruktive Vermittlungsrolle im Nahost-Konflikt spielen, oder können das nur die USA?

Roet: Vor dem 7. Oktober war ich skeptisch, seither halte ich es für unmöglich. Wenn die EU nicht zu ihren Werten stehen und sich nicht auf eine Resolution einigen kann, die Hamas beim Namen nennt und die Freilassung der Geiseln fordert, wenn sie nicht zwischen einer Demokratie wie Israel und der Hamas unterscheiden kann, dann ist sie kein objektiver Partner. Das ist eine Frage des Prinzips, darüber dürfte man gar nicht verhandeln.

STANDARD: Weltweit wächst die Sorge, dass Kritik an Israel in Antisemitismus umschlägt. Geschieht das auch in Österreich?

Roet: Hier ist es etwas weniger. Aber es bereitet mir schlaflose Nächte zu sehen, wie der Antisemitismus steigt, wie Juden mit fabrizierten Vorwürfen gegen Israel attackiert werden, wie die Hamas glorifiziert, das Massaker geleugnet und als Widerstand gefeiert wird. Und die Debatte wird immer mehr wie ein Fußballspiel: Entweder unterstützt man Israel oder die Hamas. Es wird alles schwarz-weiß. Man kann Israel kritisieren und für die Palästinenser eintreten, aber die Hamas ist etwas anderes.

STANDARD: Kann man Israel kritisieren, ohne dass es antisemitisch ist?

Roet: Natürlich geht das. Die stärkste Kritik an israelischer Politik kam immer aus Israel selbst. Aber wer den Hamas-Terror verteidigt, das Massaker leugnet, die Gräuel trivialisiert, wer sagt: "Was sollen sie denn sonst tun?", der verdient eine doppelte Auszeichnung: Du bist antisemitisch und antiarabisch. Man sagt damit, dass sich Araber anders verhalten als andere Völker, wenn sie sich beleidigt fühlen.

STANDARD: Sie kennen die USA sehr gut, wo vor allem an den Universitäten eine heftige Debatte über Antisemitismus tobt. Was ist dort los?

Roet: Ich bezeichne das als Europäisierung der USA. Es gab einst die Möglichkeit, Meinungen auszutauschen, aber heute wird der anderen Seite nicht mehr zugehört. Jüdischen Studierenden wird gesagt, wenn ihr für Israel seid, dann gehört ihr nicht mehr zu uns. Juden werden als Vertreter der privilegierten weißen Elite gesehen, selbst wenn sie Nachkommen von Holocaust-Überlebenden sind, selbst wenn sie aus arabischen Ländern stammen. Der Antisemitismus von links und rechts wächst zusammen. Und heute sind Juden die einzige Gruppe, denen das Recht verwehrt wird, selbst zu definieren, was sie verletzt.

STANDARD: Verliert Israel den Kampf um die Herzen der nächsten Generation?

Roet: Es macht mir Sorgen, aber dieser Kampf ist noch nicht zu Ende. Und nach dem 7. Oktober kämpft Israel ums eigene Überleben. Hamas bedroht Israels Existenz nicht, aber wenn sie an der Macht bleiben kann, dann sendet das die Botschaft an die gemäßigten arabischen Staaten, dass Terrorismus funktioniert. Israel möchte in der Welt gemocht und unterstützt werden, aber keine israelische Regierung würde diesen Krieg stoppen, bevor die Hamas nicht besiegt ist.

STANDARD: Und gibt es eine Friedensperspektive für die Zeit danach?

Roet: Die Hoffnung auf eine friedliche Koexistenz mit unseren Nachbarn hat am 7. Oktober einen schweren Schlag erlitten. Es drangen ja nicht nur die Todesschwadronen in die Kibbutzim ein, sondern auch hunderte palästinensische Zivilisten. Die sind an diesem Morgen aufgewacht und haben nicht gewusst, dass sie Stunden später Menschen abschlachten würden. Es gibt ein paar positive Zeichen, etwa von der arabischen Bevölkerung in Israel, die sich laut Umfragen jetzt mehr als Israelis fühlen als je zuvor. Sie sprechen von einem gemeinsamen Schicksal: 50 israelische Araber wurden getötet. Wir müssen zusammenleben. Aber es wird lange dauern, das Vertrauen des israelischen Volkes wiederherzustellen. (Eric Frey, 27.12.2023)