Alexej Nawalny ist wiederaufgetaucht. Er sei in die Strafkolonie IK-3 im Dorf Charp, im autonomen Kreis Jamal-Nenzen, verlegt worden – das teilte seine Sprecherin Kira Jarmysch am Christtag mit. IK-3, auch bekannt unter den Namen "Troika" oder "Polarwolf", ist die nördlichste Strafkolonie Russlands. Er sei guten Mutes, so Nawalny im Kurznachrichtendienst X, vormals Twitter. Auch hätte er Kontakte zu seinem Anwalt Iwan Schdanow. Die Tatsache, dass sie Alexej gefunden haben, sei kein Weihnachtswunder, sagt seine Frau Julia Nawalnaja, sondern "die gewaltige und akribische Arbeit der Juristen des Antikorruptionsfonds" Nawalnys. Sie veröffentlichte dazu ein älteres Selfie von sich mit ihrem Mann aus glücklichen Tagen.

Das Lager "Polarwolf", das nördlichste Russlands, ist Alexej Nawalnys neuer Unterbringungsort.
AP

Die USA zeigten sich erfreut über die Berichte über Nawalnys Auffindung. „Wir sind jedoch weiterhin tief besorgt über das Wohlergehen von Herrn Nawalny und die Bedingungen seiner ungerechtfertigten Inhaftierung", sagte ein Sprecher des US-Außenministeriums.

Wochen ohne Lebenszeichen

Wochenlang war sein Team in tiefer Sorge, gab es kein Lebenszeichen von Nawalny. Seit dem 6. Dezember gab es keine Hinweise auf Verbleib und Gesundheitszustand des Häftlings. Spekulationen über eine ernsthafte Erkrankung machten die Runde. Zuvor war Nawalny in der Strafkolonie Nr. 6 im Dorf Melechowo, 260 Kilometer östlich von Moskau, inhaftiert. Laut Kira Jarmysch sagten Mitarbeiter dort Nawalnys Anwälten nur, er sei "nicht mehr bei ihnen gelistet". Auch in der Strafkolonie Nr. 7 sei er nicht, erfuhren die Anwälte. Nawalny hatte zuvor bei einer gerichtlichen Anhörung gefehlt, zu der er per Videoleitung zugeschaltet werden sollte. Die Behörden hatten dies mit einer Panne in der Stromversorgung begründet.

Spuren verwischen: Arbeiter übermalen in St. Petersburg eine Wandmalerei zu Ehren Nawalnys.
REUTERS/ANTON VAGANOV

Nawalnys neues Straflager ist knapp 2000 Kilometer von Moskau entfernt im arktischen Norden Russlands. "Die Bedingungen dort sind brutal", sagt sein Anwalt Iwan Schdanow. Dort herrsche Dauerfrost. Wie genau Alexej Nawalny nach Sibirien verlegt wurde, das ist unbekannt. Doch wie diese Verlegungen grundsätzlich vonstattengehen, das hat das Onlinemedium "Meduza" anhand von Erzählungen ehemaliger Häftlinge recherchiert.

Harte Bedingungen

Alles beginne um fünf Uhr morgens. Die Gefangenen würden in eine Zelle ohne Betten oder Sitzmöglichkeiten verbracht. "Hier verbringen Gefangene mehrere Stunden und warten darauf, zusammen mit ihren persönlichen Gegenständen durchsucht zu werden." In speziellen Waggons transportiere man sie dann an den Zielort, angehängt an normale Personenzüge. Der Transport erfolge oft über Umwege, er kann Wochen dauern. "Den Gefangenen wird nur alle sechs Stunden Zugang zur Toilette gewährt, und viele Wärter ignorieren Forderungen, die Toilette zu benutzen. Daher sind Insassen auf Plastikflaschen angewiesen, um ihre Körperausscheidungen aufzufangen", so Meduza. Am Zielort müssten die Neuankömmlinge erst einmal für Tage in Quarantäne, in unbequemen Zellen, oft ohne Heizung.

Erst im August war Nawalnys ursprünglich neunjährige Haftstrafe wegen "Extremismus" auf 19 Jahre erhöht worden. Das Gericht ordnete zudem seine Überführung in eine Strafkolonie mit schärferen Haftbedingungen an. Anfang Dezember hatte die russische Justiz weitere Beschuldigungen gegen Nawalny vorgebracht. Die Behörden werfen ihm Vandalismus vor, was eine weitere Haftstrafe von drei Jahren mit sich bringen könnte, wie Nawalnys Team mitgeteilt hatte. Seine Bewegung ist inzwischen verboten, enge Mitarbeiter wurden inhaftiert oder flohen ins Ausland. Nawalny weist alle Vorwürfe als politisch motiviert zurück: Sie zielten darauf ab, seine Kritik an Präsident Wladimir Putin zum Schweigen zu bringen. (Jo Angerer aus Moskau, 26.12.2023)