Mehr als eine Woche nach den Wahlen in Serbien kommt es weiterhin zu Protesten wegen Unregelmäßigkeiten und möglichen Wahlbetrugs durch die regierende serbische Fortschrittspartei (SNS) von Präsident Aleksandar Vučić. Am Sonntag versuchten Oppositionelle das Gebäude der Stadtverwaltung zu stürmen und schlugen ein Fenster ein. Die Demonstranten riefen "Macht die Tür auf" und "Diebe", während sie das Gebäude mit Eiern bewarfen. Einige skandierten "Vučić ist Putin" und verglichen den serbischen Präsidenten mit dem autoritären russischen Präsidenten.

Es kam zu Krawallen zwischen den Demonstranten und der Polizei. Etwa 38 Demonstranten wurden festgenommen, darunter zwei Oppositionspolitiker. Dem Belgrader Stadtrat Saša Damnjanović und Predrag Petronijević aus Kruševac wird vorgeworfen, zum gewaltsamen Sturz der verfassungsmäßigen Ordnung aufgerufen und sich gewalttätig verhalten zu haben. Es wird erwartet, dass beide angeklagt werden.

Die Demonstrationen der Regierungsgegner in Belgrad wegen Unregelmäßigkeiten bei den Wahlen halten an.
REUTERS/MARKO DJURICA

"Es gibt Ankündigungen, dass es erneut Verhaftungen von Politikern der Liste 'Serbien gegen Gewalt' geben wird, und das ist nichts anderes als politische Verfolgung von Andersdenkenden", sagte der Oppositionsführer Miroslav Aleksić. Die Fortschrittspartei SNS hatte bei den Parlamentswahlen mit über 48 Prozent der Stimmen einen eindeutigen Sieg davongetragen, bei den Lokalwahlen in Belgrad kam die SNS auf knappe 40 Prozent, das Oppositionsbündnis "Serbien gegen Gewalt" auf über 35 Prozent.

Warnung vor "Maidan"

Am Montag blockierten Studierende einige Straßen im Zentrum Belgrads. Ein Journalist wurde von der Polizei angegriffen. Für Dienstagabend wurde eine weitere Demonstration angekündigt. Sieben Mitglieder der Bewegung "Serbien gegen Gewalt" sind unterdessen im Hungerstreik, um die Annullierung der Wahlergebnisse zu erreichen.

Präsident Vučić meinte, die Proteste seien "im Voraus geplant" worden, wofür die Regierung "solide Beweise" habe. Er deutete auch an, dass die Unruhen aus dem Ausland angezettelt worden seien. Seit geraumer Zeit bereits wird – angelehnt an die Kreml-Propaganda – vom serbischen Regime vor einem "Maidan"-Szenario gewarnt, also Massenprotesten wie in der Ukraine, die zu einem Regierungswechsel führen. Der Kreml unterstützt dieses Narrativ des serbischen Regimes.

Vučić nannte die Demonstranten "Schläger", denen es nicht gelingen würde, den Staat zu destabilisieren. Auch Premierministerin Ana Brnabić sagte, dass das Szenario im Voraus bekannt gewesen sei, und dankte den russischen Sicherheitsbehörden für diesbezügliche Informationen, "die sie uns mitgeteilt hatten". Vučić traf am Montag den russischen Botschafter in Belgrad, Alexander Botsan-Kharchenko.

Organisierte Wählerwanderungen

Der Protest hatte am 18. Dezember, einen Tag nach den Wahlen, vor dem Gebäude der Wahlkommission begonnen. Die Anhänger der Oppositionsbewegung "Serbien gegen Gewalt" forderten die Annullierung der Wahlen. Insbesondere bei den Lokalwahlen in Belgrad, die gleichzeitig mit den Parlamentswahlen stattgefunden hatten, war es zu zahlreichen Verstößen gekommen.

Die Wahlbeobachtungsmission der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) und des Europaparlaments kritisierte "den Missbrauch öffentlicher Mittel, die mangelnde Trennung zwischen offiziellen Funktionen und Wahlkampfaktivitäten sowie Einschüchterung und Druck auf Wähler, darunter auch Fälle von Stimmenkauf". Für besondere Empörung sorgte der Umstand, dass Menschen aus dem Nachbarstaat Bosnien-Herzegowina nach Belgrad gekarrt worden waren, um dort zu wählen, obwohl sie gar nicht in Belgrad leben.

Die unabhängige Wahlbeobachtungsmission CRTA hielt fest, dass es den begründeten Verdacht gebe, dass es bei den Wahlen zu organisierten Wählerwanderungen in einem derartigen Ausmaß gekommen sei, dass dies den Ausgang der Wahlen entscheidend beeinflusst habe. Miodrag Jovanović, Professor an der juristischen Fakultät in Belgrad, kritisierte, dass die Institutionen zu "eindeutigen und nachgewiesenen Wahlmanövern und -diebstählen" schwiegen. Die Initiative "Für die Stimme" kündigte für den 30. Dezember zu Mittag einen großen Protest an.

USA kritisieren Demonstrierende

In den vergangenen Jahren gab es immer wieder Massenproteste gegen das autoritär regierende Regime von Vučić, doch die Oppositionellen bekommen kaum Unterstützung vom Westen. Denn die Mehrheit der EU-Staaten hat kein Interesse an einer Demokratisierung Serbiens, sie sehen keine Alternative zum Regime Vučićs. Das Regime wird außerdem aktiv von der ungarischen Regierung unterstützt, mit der es verbündet ist. Auch die US-Regierung steht fest hinter Vučić, unter anderem auch, weil Serbien über Umwege Waffen in die Ukraine liefert.

So meinte etwa der US-Botschafter in Belgrad, Christopher Hill, zu den Demonstrationen, "dass Gewalt und Vandalismus gegen staatliche Institutionen in einer demokratischen Gesellschaft keinen Platz hätten". Anders als die internationalen Wahlbeobachter, die eine Untersuchung der Unregelmäßigkeiten bei den Wahlen forderten, argumentierte Hill indirekt für die Anerkennung der Wahlergebnisse: „Die Legitimität demokratischer Prozesse hängt von Transparenz und der Bereitschaft aller Parteien ab – ob sie nun gewinnen oder verlieren –, den Willen des Volkes, wie er an der Wahlurne zum Ausdruck kommt, zu respektieren." (Adelheid Wölfl, 26.12.2023)