"Als die deutsch-österreichische Skisprungkonkurrenz noch Österreich gegen DDR hieß, gab es echte Spannungen."
Ingo Pertramer

Fünf Wochen nach der Demütigung im Ernst-Happel-Stadion, nach der in aller Freundschaft erlittenen 0:2-Testspielpleite im Fußball, begegnet der deutsche Sport dem österreichischen anlässlich der Vierschanzentournee wieder fast auf Augenhöhe. Seit 2002, seit Sven Hannawalds Triumph mit Siegen auf allen vier Schanzen, wartet der Deutsche Skiverband (DSV) auf einen Gesamterfolg beim Skisprungzeitvertreib zwischen Weihnachten und Dreikönig. Dem Österreichischen Skiverband (ÖSV) währt die Durststrecke seit Stefan Krafts Erfolg 2015 auch schon viel zu lange.

Der Salzburger Kraft führt vor dem Bayern Andreas Wellinger aktuell den Gesamtweltcup an. Den Veranstaltern der Konkurrenzen in Oberstdorf (29. Dezember, Qualifikation am Donnerstag ab 16.30 Uhr), Garmisch-Partenkirchen (1. Jänner), Innsbruck (3. Jänner) und Bischofshofen (6. Jänner) kommt das Aufleben der nachbarschaftlichen Skisprungrivalität gerade recht. Olympiasieger Anton Innauer hat deren Hochzeit hautnah miterlebt.

STANDARD: Die deutsch-österreichische Skisprungrivalität lebt bei der Tournee wieder auf. Welche Erfahrungen haben Sie gemacht?

Innauer: Die Babyboomer stellen nach wie vor einen beträchtlichen Anteil der Skisprungfans. Und bei denen ist das sicher noch gespeichert. Da gibt es ja nach wie vor relativ viele, die sich sogar an andere Zeiten erinnern können, als die deutsch-österreichische Skisprungkonkurrenz noch Österreich gegen DDR geheißen hat. Da gab es wirkliche, auch im Stadion am Bergisel spürbare Spannungen. Witzigerweise ist das dadurch entstanden, dass vor allem westdeutsche Zuschauer die Ostdeutschen ausgepfiffen haben.

STANDARD: Das war also eher eine deutsch-deutsche Rivalität?

Innauer: Ja, es gab diese deutsch-deutsche Konkurrenz. Und die Österreicher waren, weil die Westdeutschen selten eine starke Mannschaft gehabt haben damals, die Stellvertreter gegen die Ostdeutschen. Das ist eine ganz seltsame Geschichte, die bei den Olympischen Spielen ziemlich ausgeartet ist. Da ist richtig massiv gepfiffen worden, sobald ein DDR-Sportler g'hupft ist.

STANDARD: In Innsbruck?

Innauer: Ja, auch bei der Tournee. Da hat der Platzsprecher das Publikum zu beruhigen versucht, sehr wohl wissend, dass es zum Großteil nicht einmal die Österreicher sind. Die haben aber dann natürlich eingestimmt. Manche haben sich da nicht lange bitten lassen.

STANDARD: Ist die Konkurrenz zuweilen nicht so groß gewesen, weil einmal deutsche Springer ganz stark waren, etwa mit Hannawald und Martin Schmitt, und dann eher die Österreicher, während Deutsche nicht mehr so präsent waren?

Innauer: Es hat schon Phasen gegeben, in denen es gleichzeitig starke Springer gab. In der Zeit mit Dieter Thoma oder Jens Weißflog – das war meine Zeit als Trainer – haben wir schon sauber dagegengehalten, aber eigentlich meist den Kürzeren gezogen, manchmal auch mit Pech. Da waren sie wirklich ein bisschen besser.

STANDARD: Wie hat sich das niedergeschlagen?

Innauer: Das Ganze war auch dadurch gewürzt, dass Walter Hofer, der bei uns Co-Trainer war, nach Deutschland gewechselt ist. Das hat dann auch noch dazu beigetragen, dass die Rivalität auf einer anderen Ebene hochgekocht ist. Hofer war ein gewiefter Stratege, das ist zum Teil auch über Journalisten gespielt worden. Man hat schon gemerkt, dass vermutlich der Hofer hinter Fragen steckte, die uns gestellt worden sind. Es war ein wenig psychologische Kriegsführung. Ich erinnere mich, dass es sogar ein Aussöhnungsgespräch gegeben hat. Das war bei der Skiflug-WM 1989, Dieter Thoma hat gewonnen, es gab ein paar unschöne Szenen, auch in der Jury, zwischen Deutschen und Österreichern. Ich bin hinterher von den Deutschen, von Rudi Tusch und Hofer, zur Versöhnung auf einen Whisky eingeladen worden. Das war ein guter, da haben sie sich nicht lumpen lassen.

STANDARD: Warum hatten die deutschen Skispringer damals die Lage im Griff?

Innauer: Als im deutschen Skisprung Ost und West unter Reinhard Heß fusioniert worden sind, war das eine andere Dimension. Die waren dann sehr stark, und wir waren hinterher. Sie waren eine Macht, auch mit RTL im Rücken, das Skispringen auf einem ganz neuen Niveau verkauft hat. Wir sind vorübergehend verzwergt als Österreicher, nicht einmal so sehr leistungsmäßig, aber Deutschland hat im Skispringen die Vormachtstellung komplett übernommen.

STANDARD: Wie gelang die Wende?

Innauer: Die deutsche Überlegenheit war auch der Humus dafür, dass Leute wie meine Wenigkeit, Alex Pointner, Ernst Vettori und andere sehr viel dafür getan haben, um sie wieder einzuholen. Es wurde in den Nachwuchs investiert und jahrelang richtig Hand angelegt, damit wir wieder auf Augenhöhe kommen zum großen Nachbarn.

Gesamtsiege bei der Vierschanzentournee, gereiht nach Ländern.
Foto: imago/Oryk Haist - Grafik: Der Standard

STANDARD: Der Tourneesieg hat aber noch auf sich warten lassen. Warum?

Innauer: Da gibt es eine gewisse Parallele zu Deutschland heute. Wir haben den Tourneesieg lange Zeit einfach nicht geschafft. Wir haben zweite, dritte, vierte und fünfte Plätze auf einmal gemacht, aber der Erste war wie durch Zauberhand ein anderer. Und plötzlich hat es bei uns eingeschlagen, nach langer Wartezeit hat es sechs-, siebenmal nacheinander funktionieren wollen.

STANDARD: Allgemein wird von einem Duell zwischen Stefan Kraft und Andreas Wellinger um den Sieg ausgegangen. Wie sehen Sie das?

Innauer: Ich bin in einer komfortablen Situation, weil ich alle Beteiligten aus nächster Nähe kenne und schätze. Ich bin wirklich gespannt, wie es ausgeht. Man kann es nicht sagen. Buchmachermäßig ist logischerweise Kraft Favorit, auch weil er es schon gewonnen hat. Das ist ein Vorteil bei der Tournee. (Sigi Lützow, 27.12.2023)