Magnus Carlsen hatte und brauchte nicht viel Zeit zum Sieg.
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Magnus Carlsen geht es nicht gerne langsam an, schon gar nicht bei einer Schnellschach-WM. Das Remis in Runde eins am Dienstag gegen den Montenegriner Nikita Petrov mag in dieser Hinsicht als Unfall betrachtet werden, danach war der Titelverteidiger warmgespielt: Mit vier Siegen in den Runden zwei bis fünf setzte sich Carlsen frühzeitig an die Spitze des Klassements – ein Ort, von dem er erfahrungsgemäß nur schwer zu vertreiben ist.

Bemerkenswert ist dabei vor allem, was für scheinbar ausgelutschte Stellungen Carlsen gegen seine Weltklassegegner noch gewinnt: Dem Russen Dennis Chismatullin nimmt er in Runde zwei mit den schwarzen Steinen spielend etwa ein Springerendspiel mit symmetrischer Bauernstruktur ab, als wäre sein Gegner kein Großmeister, sondern ein Patzer aus dem Schachbeisl an der nächsten Straßenecke von Samarkand.

Ein anderer Russe, Vizeweltmeister und Nummer zwei der Schnellschach-Setzliste Jan Nepomnjaschtschi, schafft es aufgrund seines verpatzten Starts erst gar nicht, gegen Carlsen gelost zu werden, und bekämpft den Champion stattdessen abseits des Brettes in sozialen Medien: Dort moniert Nepo am Ende des ersten Spieltages, dass Carlsen als einzigem Teilnehmer ein Ruheraum zur Verfügung steht, in dem ihm zwischen den Runden auch ein Laptop zur Vorbereitung auf seinen nächsten Gegner gereicht werden soll.

Diskussion über Ruheraum

Die Sache mit dem Ruheraum ist inzwischen ein alter Hut, sorgt bei Schnell- und Blitz-WMs aber schon seit Jahren immer wieder für Zoff. Der Weltschachbund argumentiert, dass der stets von Reportern belagerte Star des Schachsports ohne Rückzugsort zum Freiwild für die Presse würde, der Raum also kein Privileg, sondern eine Notwendigkeit sei. Die Anwesenheit eines Laptops wiederum, die tatsächlich wettbewerbsverzerrend wäre, wird vom Team Carlsen bald dementiert, und die allgemeine Aufmerksamkeit wendet sich wieder dem Geschehen auf den Brettern zu.

Oder doch nicht ganz: In Runde fünf sitzt Carlsen an seinem angestammten ersten Brett nämlich plötzlich dem mit vier aus vier gestarteten Usbeken Timur Gareyev gegenüber, der seit 2012 für die USA spielt. Gareyev, der sich als Blindschachspezialist einen Namen gemacht hat, geriet im vergangenen Jahr in die Schlagzeilen, nachdem mehrere Spielerinnen ihm sexuelle Übergriffe vorgeworfen hatten. Gemeinsam mit dem ähnlich gelagerten Fall des Großmeisters und Kommentators Alejandro Ramirez hatte dies eine breite Diskussion darüber angeregt, wie Frauen und Mädchen in der Schachszene besser vor Übergriffen geschützt werden können. Beide Spieler sind vom US-Verband mit Sanktionen belegt worden, dürfen aber nach wie vor bei internationalen Fide-Events wie der Schnell- und Blitz-WM antreten.

In seiner Partie gegen Magnus Carlsen ist Gareyev jedenfalls absolut chancenlos. Der Norweger fuhr zum Abschluss des ersten Spieltages einen leichten Sieg ein und lag mit 4,5 aus 5 bequem im Plansoll.

Damit das Turnier nicht langweilig wird, beschließt Schachgöttin Caissa dann aber, den Magnus-Express am zweiten Spieltag wenigstens ein bisschen einzubremsen. Nach einem weiteren mirakulösen Endspiel-Sieg gegen den Inder Vidit in Runde sechs muss Carlsen drei Remis in Folge zulassen. Das gibt dem Russen Wladimir Fedossejew sowie dem Chinesen Yu Yangyi Gelegenheit, mit dem Titelverteidiger am Ende des zweiten Spieltages gleichzuziehen.

Magnus Carlsen: "I don't think I was really in serious trouble in any game, so it feels really good"
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Allein Carlsens Schwächephase – sofern man drei Unentschieden als solche verbuchen will – ist danach auch schon wieder vorbei. Am dritten und letzten Spieltag zeigt er zunächst Fedossejew dessen Grenzen auf und nimmt dann auch dem jungen Iraner Idani den vollen Punkt ab. Danach lässt der Champion sich mit soliden Remisen gegen die Jugend austrudeln: Lokalmatador Nodirbek Abdusattorov und Rameshbabu Praggnanandhaa schnuppern nicht einmal an mehr als einer Punkteteilung gegen den Führenden.

So gewinnt Magnus Carlsen das Turnier am Donnerstag letztlich unangefochten mit zehn Punkten aus 13 Partien ohne eine einzige Niederlage. Der alte Weltmeister ist der neue. Auf den Plätzen landeten Wladimir Fedossejew und Yu Yangyi.

Bereit für das Double

Im hart umkämpften Frauenbewerb muss am Ende ein Blitz-Tiebreak zwischen der Russin Anastasia Bodnaruk und der Inderin Humpy Koneru über den WM-Titel entscheiden. Hier beweist Bodnaruk – die Außenseiterin – die besseren Nerven und krönt sich zur Schnellschach-Weltmeisterin, Platz drei belegt die Chinesin Lei Tingjie.

Am Freitag und Samstag geht es in Samarkand mit der Blitz-WM weiter. Auch in dieser Disziplin geht Magnus Carlsen im offenen Bewerb als Titelverteidiger und klarer Favorit ins Rennen. (Anatol Vitouch, 28.12.2023)