Eines kann man ihm nicht vorwerfen: dass er die Öffentlichkeit über seine Absichten im Unklaren ließe. Die meisten Amerikanerinnen und Amerikaner saßen gerade beim weihnachtlichen Festessen, als ihr früherer Präsident die Stimmung störte. "Mögen sie in der Hölle verrotten!", geiferte Donald Trump am 25. Dezember auf seiner Onlineplattform Truth Social unvermittelt über jene Mitbürger und Mitbürgerinnen, die ihn nicht unterstützen. Das anschließende "Merry Christmas" klang ziemlich sarkastisch.

Donald Trump
Donald Trump außer Rand und Band? Die Rhetorik des Republikaners verschärft sich merklich.
AP/Morry Gash

Wenige Stunden später postete der 77-Jährige die eine Grafik eines britischen Boulevardblatts, die illustriert, welche Begriffe in den USA laut einer Umfrage am stärksten mit einer zweiten Trump-Amtszeit in Verbindung gebracht werden: "Vergeltung", "Macht" und "Diktatur". Normale Politiker würden sich grämen – Trump scheint sein Image aber zu gefallen.

"Ungeziefer"

Seit Monaten schwört der Mann, der vor drei Jahren einen Putschversuch inszenierte und nun mit aller Macht zurück ins Weiße Haus drängt, seinen Kritikern unerbittliche Rache. Seine Gegner diffamiert er als "Ungeziefer". Seinem einstigen Generalstabschef Mark Milley droht er mit der Todesstrafe. Und was der Ex-Präsident ganz generell von demokratischen Institutionen und Gesetzen hält, demonstriert er derzeit eindrücklich bei seinem Betrugsprozess in New York. "In God We Trust" (Wir vertrauen auf Gott) steht da an der Wand des Gerichtssaals. Doch Trump denkt gar nicht daran, Fragen höflich oder sachlich zu beantworten. "Eine Schande ist das", pöbelt er und zeigt auf den Richter: "Der Betrüger ist er, nicht ich!"

Immer ernsthafter wird deshalb in den USA ein dramatisches Szenario diskutiert, das lange komplett undenkbar schien: der Untergang der stolzen US-Demokratie. "Eine Trump-Diktatur ist zunehmend unausweichlich", schlug Robert Kagan, einer der bedeutendsten Neokonservativen, kürzlich in der "Washington Post" Alarm. "Wir schlafwandeln in eine Diktatur", warnt auch Liz Cheney, die ehemals dritthöchste Republikanerin im Repräsentantenhaus. Und das Intellektuellen-Magazin "The Atlantic" titelte: "Falls Trump gewinnt – eine Warnung".

Anhänger von Donald Trump bei einer Wahlveranstaltung
Für seine Anhänger am rechten Rand ist Donald Trump ein Held und ein Märtyrer.
REUTERS/MARCO BELLO

Noch sind die USA nicht verloren. Elf Monate verbleiben bis zu den Präsidentschaftswahlen – in der Politik eine kleine Ewigkeit. Bislang ist Trump nicht zum Kandidaten gekürt. Und Umfragen lagen in der Vergangenheit oft daneben. Dennoch mahnen auch abwägende Beobachter wie der Diplomat Jeff Rathke, der das American-German Institute (AGI) in Washington leitet: "Dass Trump die realistische Chance auf eine Rückkehr ins Weiße Haus hat, das kann man nicht bestreiten."

Trump, das Opfer

Wer wissen will, was ein Wahlsieg des Rechtspopulisten für Amerika und den Rest der Welt bedeuten würde, der muss ihm nur bei seinen Kundgebungen zuschauen. Dort zeichnet der Politiker ein dystopisches Bild des Landes, das von Linksradikalen und Marxisten zugrunde gerichtet wird, verspricht Recht und Ordnung und wettert gegen Rassismus-kritischen Unterricht wie Trans-Identitäten.

Im Zentrum aber steht Trumps Selbststilisierung zum Opfer einer monströsen politischen Intrige. Seine vier Anklagen vor Gericht wegen 91 mutmaßlicher Straftaten haben seiner Popularität bei den Hardcore-Anhängern nicht geschadet. Im Gegenteil. Für sie ist Trump nun ein Märtyrer: "Unsere Feinde wollen mir meine Freiheit wegnehmen, weil ich niemals zulassen werde, dass sie euch eure Freiheit wegnehmen", fabuliert er. Die Menge jubelt.

Außenpolitisch würde Trump in einer zweiten Amtszeit seine America-first-Politik knallhart durchziehen. Dass er die Militärhilfen für die Ukraine beenden und die Nato-Mitgliedschaft der USA beenden würde, hat er unmissverständlich angekündigt. Die Folgen wären in beiden Fällen fatal. Doch die enorme Gefahr für die Alliierten beginnt schon viel früher: "Trump muss gar nicht aus der Nato austreten, um das Bündnis auszuhöhlen", warnt AGI-Chef Rathke im Gespräch mit dem STANDARD.

Anti-Trump-Demo
Donald Trump wie Adolf Hitler? Mit Äußerungen wie jener, dass seine Gegner bloß "Ungeziefer" seien, sorgt der Kandidat selbst für solche Vergleiche.
AFP/BEN STANSALL

Eine zweite Amtszeit von Trump dürfte die erste wie ein Wohlfühlbad erscheinen lassen. Damals hatte sich der einstige Reality-TV-Star aus Geltungssucht mit Generälen und Geschäftsleuten aus dem Establishment umgeben. Sein konkretes Regierungshandeln wurde entweder von diesen Figuren abgebremst oder von Drama, Inkompetenz und Chaos überlagert. Das würde dieses Mal ganz anders sein: Seit Monaten wird bei der rechten Denkfabrik Heritage unter dem Namen "Project 2025" der Machtwechsel generalstabsmäßig vorbereitet.

Verachtung für die Demokratie

Aus seiner Verachtung für die Demokratie macht Trump kein Hehl. Anfang Dezember saß er in einer Gesprächsrunde mit Publikum beim rechten Fernsehsender Fox News. Moderator Sean Hannity, ein glühender Fan, wollte offensichtlich das zweifelhafte Autokraten-Image seines Gastes aufpolieren. "Versprechen Sie, dass Sie Ihre Macht nicht zur Vergeltung gegen irgendjemanden einsetzen werden?", fragte er. Die Antwort für einen US-Präsidentschaftsbewerber schien eigentlich klar. Tatsächlich nickte Trump zunächst. Doch dann schoss sein Zeigefinger in die Höhe: "Außer am ersten Tag!" Das Publikum lachte.

Bei seinen Wahlkampfauftritten zeigt sich der Demagoge noch enthemmter. "Wir werden die Kommunisten, Faschisten und linksradikalen Gangster ausrotten, die wie Ungeziefer in den Grenzen unseres Landes leben", zeterte er Mitte November bei einer Rede in New Hampshire in entmenschlichendem Nazi-Vokabular. Wenige Tage vor Weihnachten eskalierte er seine Rhetorik noch weiter. In direkter Anlehnung an Adolf Hitlers Rassenideologie warnte er vor den Einwanderern aus Lateinamerika: "Sie vergiften das Blut unseres Landes." Die Grenze vom üblichen autoritären Gepöbel zur faschistischen Propaganda war damit überschritten. Doch Trumps Umfragewerte steigen.

Liz Cheney
Liz Cheney warnt eindringlich vor Donald Trump – als eine der wenigen republikanischen Stimmen.
APA/AFP/GETTY IMAGES/Anna Moneym

Nur wenige Republikaner trauen sich daher, gegen den haushohen Favoriten für die Präsidentschaftskandidatur aufzustehen. Von den direkten Wettbewerbern übt alleine der mit drei oder vier Prozent abgeschlagene Ex-Gouverneur von New Jersey, Chris Christie, offene Kritik. Die Fraktion im Repräsentantenhaus ist längst zur Trump-Sekte mutiert, und der altersschwache Fraktionsführer im Senat, Mitch McConnell, ist verstummt.

Mahnerin Liz Cheney

So kommt es, dass ausgerechnet die erzkonservative Ex-Abgeordnete Liz Cheney, die den Irakkrieg ihres Vaters Dick unterstützte, 2016 und 2020 für Trump stimmte und als Mitglied der Fraktionsführung dessen Gesetze durchdrückte, zur lautesten Mahnerin aufgestiegen ist. Ihre Arbeit als Vorsitzende des Untersuchungsausschusses zum Sturm auf das US-Kapitol vom 6. Jänner 2021 hat der 57-Jährigen die Augen geöffnet.

"Es gibt keine Grauzone. Wer die Verfassung achtet, der kann Trump nicht unterstützen", erklärt Cheney apodiktisch. "Eine der wichtigsten Lehren des 6. Jänner ist, dass sich Amerikas Institutionen nicht selbst verteidigen. Sie brauchen Menschen, die das tun." Es klingt, als habe die Republikanerin ernste Zweifel, dass das amerikanische System der Checks and Balances (Gewaltenteilung) dem Anführer ihrer Partei standhalten würde. (Karl Doemens, 2.1.2024)

Video: Trumps Justizprobleme im Überblick.
AFP