Yimer Tamene, 77, sitzt vor seiner Lehmhütte.
Yimer Tamene, 77, droht die Enteignung.
Christian Putsch

Umgeben von einem Waldstück am Stadtrand von Addis Abeba, sitzt der 77-jährige Yimer Tamene vor seiner Lehmhütte, die dem bald prunkvollsten Palast Afrikas im Wege steht. Seit knapp vier Jahrzehnten lebt er auf dem Grundstück, das ihm einst von seinem Onkel überlassen wurde, als er vor einer Hungersnot in die äthiopische Hauptstadt geflüchtet war. Tamenes Frau verließ ihn, dann starb der Onkel. Die Hütte und Almosen der Nachbarn sind alles, was dem gebückten Mann an seinem Lebensabend geblieben ist.

Nun droht auch das verloren zu gehen: Die Regierung hat hunderte Bewohner von ihrer kurz bevorstehenden Enteignung informiert – darunter auch Tamene. "Wenn ich Glück habe, kann ich noch einige Monate bleiben", sagt er, "dann stehe ich vor dem Nichts." Spätestens Ende 2024 wird er entwurzelt sein. In seinen Händen hält er eine Ausgabe der Bibel. Er liest gerade besonders oft in ihr.

Einer der teuersten Paläste der Welt

Die Hütte Tamenes, dieses gebückten Mannes, muss einem absurden Prestigeprojekt von Premierminister Abiy Ahmed weichen. Auf einer Fläche, auf die 500 Fußballfelder passen würden, entsteht einer der teuersten Paläste der Welt. Bis zu zehn Milliarden Dollar wird der "Nationalpalast" kosten. Er werde durch private und internationale Spenden finanziert, sagte der von Regionalmacht-Ambitionen getriebene Politiker Abiy lapidar.

Äthiopiens engster verbündeter Golfstaat, die Vereinigten Arabischen Emirate, gilt als einer der möglichen Geldgeber für diese wenig transparenten Bauarbeiten. Der Palast wäre damit jedenfalls einer der teuersten der Welt, sein Wert entspräche zwei Dritteln des jährlichen äthiopischen Staatsbudgets.

Äthiopiens Präsident, Nobelpreisträger Ahmed Abiy, verliert das Maß.
EPA

Doch ganz stimmt die Rechnung nicht, erzählen Bauarbeiter. Die absurd hohe Summe für das unter dem Namen "Chaka" ("Wald") bekannte Projekt beinhaltet auch die Entwicklung einer kleinen Satellitenstadt, zu der hochwertige Wohnkomplexe und Villen, ein Luxushotel, Konferenzsäle, drei von importierten Palmen umrahmte künstliche Seen und ein Zoo gehören sollen.

Hochverschuldetes Land

Das finanzielle Mammutprojekt wird auf den Trümmern einer gebeutelten Ökonomie errichtet, die Inflationsrate in Höhe von knapp 30 Prozent treibt die Kosten weiter nach oben. Die Regierung gibt an, dass sie etwa 20 Milliarden US-Dollar für den Wiederaufbau nach dem Tigray-Krieg benötige, einschließlich einer Summe von zwei Milliarden US-Dollar vom Internationalen Währungsfonds. Das hochverschuldete Äthiopien hatte es Mitte Dezember verabsäumt, einen 33-Millionen-Dollar-Anleihecoupon zu zahlen, und erklärte sich für zahlungsunfähig. Damit einher ging die Herabstufung auf "Default" durch die Ratingagentur S&P Global.

Zudem hat das Land in den letzten Jahren Milliarden an humanitärer Hilfe von den Vereinten Nationen und anderen Hilfsorganisationen erhalten, während immer neue Konfliktherde aufkommen. Der Tigray-Krieg ist beendet, aber eritreische Truppen prägen weiterhin das Bild im Norden des Landes. Und in der angrenzenden Amhara-Region halten die Gefechte zwischen äthiopischer Armee und lokalen Milizen an, besonders mit den Fano-Truppen.

Zusatzsteuern für den Nationalstolz

Doch Abiy hält das nicht von seinen Prestigeprojekten ab, die aus seiner Sicht einer Nation mit 120 Millionen Einwohnern – der zweitgrößten Bevölkerung in Afrika nach Nigeria – gebühren. Unerschütterlich hielt er am zügigen Befüllen des Gerd-Staudamms am Nil fest, der bald über 5000 Megawatt generieren soll – mehr als jeder andere auf dem Kontinent. Die Kosten von fünf Milliarden Dollar wurden mit Zusatzsteuern finanziert. Äthiopien könnte Ägypten während der häufigen Dürren am Horn von Afrika damit förmlich die Lebensader abklemmen.

Zugang zum Roten Meer

Darüber hinaus irritierte der Premierminister des riesigen Binnenstaats die kleineren Nachbarländer an der Küste des Roten Meers, als er zu Protokoll gab, einem Land wie Äthiopien stehe ein "natürliches Recht" auf einen Meereszugang zu. Vor allem in Eritrea, das sich einst unter hohen Verlusten die Unabhängigkeit von Äthiopien erkämpft hat, wurde das als imperialistische Invasionsdrohung aufgefasst.

Am Neujahrstag verkündete Äthiopien schließlich die Unterzeichnung einer Absichtserklärung mit Somaliland, die dort den Weg zu einem garantierten Zugang zum Hafen von Berbera ebnen soll. Die abtrünnige Region hatte im Jahr 1991 einseitig die Unabhängigkeit von Somalia erklärt, gilt aber völkerrechtlich nach wie vor als Teil des Krisenstaats. Es gilt als wahrscheinlich, dass Äthiopien als erstes Land Somalilands Regierung anerkennen wird und sich davon nicht nur wirtschaftlichen, sondern auch militärischen Zugang zum Roten Meer erhofft.

Kritik am Abkommen

Entsprechend wütend reagierte Somalias Regierung. Man werde das somalische Territorium mit "allen rechtmäßigen Mitteln" verteidigen. Mogadischu kündigte an, internationale Gremien wie die Vereinten Nationen, die Afrikanische Union und die Arabische Liga anzurufen, damit sie sich an die Seite Somalias stellen.

Wenig überraschend folgte Äthiopiens großer regionaler Rivale Ägypten diesem Aufruf prompt. Ägyptens Präsident Abdul Fattah al-Sisi betonte in einem Telefonat mit Somalias Präsident Hassan Sheikh Mohamud die "feste Position" seines Landes, Somalias Sicherheit und Stabilität zu unterstützen. Auch die Europäische Union, die nach der kritischen Begleitung des Tigray-Krieges zuletzt an der Verbesserung der Beziehungen mit Äthiopien gearbeitet hatte, kritisierte das Abkommen.

Ausschluss der Öffentlichkeit

Aufmerksamkeit für Abiys Prunkbau ist inmitten dieses außen- und innenpolitischen Chaos nicht erwünscht. Soldaten blockieren Autos gleich auf den ersten Metern der neu gebauten Straße. Nur wer sich als Besucher einer alten orthodoxen Kirche ausgibt, die auf der Hälfte des steilen Wegs zum Palast Almosen ausgibt, der darf zu Fuß passieren. 45 Minuten dauert die Wanderung bis zur Kirche, danach wird die Soldatendichte zu hoch, um weiterzugehen.

Pause in einem Zeltverschlag, der den Bauarbeitern als provisorisches Restaurant dient. Zwei von ihnen geraten ins Plaudern. Einigen der größeren Bauern der Gegend sei Kompensation angeboten worden, umgerechnet immerhin mehrere Zehntausend Euro, erzählt einer. Das mag nach viel klingen, "aber die haben viele Kinder zu versorgen und verlieren ihre Lebensgrundlage". Viel bleibe davon dann nicht übrig. Andere würden im Ungewissen gelassen, besonders diejenigen, die wie Rentner Tamene keine Eigentumsurkunden vorweisen können. Bei der Entschädigung für großflächige Infrastrukturbauten auf dem Kontinent nutzen Regierungen diesen Umstand immer wieder aus. (Christian Putsch aus Addis Abeba, 4.1.2024)