Berlin – Mitten im Tarifstreit mit den Lokführern lässt die Deutsche Bahn (DB) vor Gericht prüfen, ob deren Gewerkschaft derzeit überhaupt noch tariffähig ist. Hintergrund sei, dass die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) durch die Gründung ihrer Leiharbeitergenossenschaft Fair Train womöglich ihre Tariffähigkeit verloren habe, sagte Bahn-Personalvorstand Martin Seiler am Mittwoch. Dazu habe man am Dienstag eine Feststellungsklage beim Hessischen Landesarbeitsgericht eingereicht.

Denn es gebe personelle Verflechtungen und schwere Interessenkonflikte. Das Gericht bestätigte den Eingang der Klage. Die GDL erklärte zunächst, man werde sich zur Klage nicht äußern, da sie der GDL nicht vorliege und man den konkreten Inhalt nicht kenne.

"Die GDL tritt gleichzeitig als Arbeitgeber und als Gewerkschaft auf", sagte Seiler. Da stelle sich die Frage, was die GDL nun genau sei. Die Lokführergewerkschaft habe bisher am Verhandlungstisch die Klärung hierzu verweigert. "Wir müssen rechtssicher wissen, ob wir einen handlungsfähigen Tarifpartner haben. Schließlich befinden wir uns in einer laufenden Tarifrunde", betonte der Manager.

Lokführerstreikende halten GDL-Gewerkschaftsflagge hoch.
Während der laufenden Tarifrunde haben die Lokführer bisher zweimal ihre Arbeit niedergelegt und den Bahnverkehr in Deutschland weitgehend zum Stillstand gebracht.
IMAGO/Hanno Bode

GDL dürfte nicht mehr streiken

Die Deutsche Bahn geht aktuell davon aus, dass die GDL durch die Gründung von Fair Train ihre Tariffähigkeit verloren hat, und sieht sich hier durch mehrere rechtliche Stellungnahmen unterstützt. "Wird die Auffassung der DB vom Gericht bestätigt, dann kann die GDL keine wirksamen Tarifverträge mehr schließen: weder mit der DB noch mit anderen Eisenbahnverkehrsunternehmen", erklärte die Bahn. Die GDL dürfe dann auch nicht mehr streiken, "weil das legitime Streikziel, nämlich der Abschluss eines Tarifvertrags, nicht umsetzbar wäre".

Die Tarifunfähigkeit kommt laut DB unter anderem durch personelle und organisatorische Verflechtungen in den Führungspositionen von GDL und Fair Train zustande. Die Gewerkschaft sei mit der Gründung ihrer Leiharbeitergenossenschaft gleichzeitig auch Arbeitgeber und habe quasi mit sich selbst einen Tarifvertrag verhandelt und geschlossen. Das sei ein unzulässiges In-sich-Geschäft mit erheblichen Interessenkonflikten, denn die handelnden Personen bei GDL und Fair Train seien größtenteils dieselben.

"Zudem hat die GDL bei der Vorstellung ihrer Leiharbeitergenossenschaft unmissverständlich klargemacht, dass sich die Fair Train ausschließlich gegen die DB richtet, weil nur von dort Lokführer abgeworben werden sollen", kritisierte die Deutsche Bahn.

Reisende müssen mit längeren Lokführerstreiks rechnen

Bei der Vorstellung der Fair Train hatte GDL-Chef Claus Weselsky im Juni angekündigt, man wolle der Bahn mit der neuen Leiharbeitsfirma Personal abjagen. Man erwarte vom Konzern "heftigste Gegenwehr, auch das ist kalkuliert".

Im laufenden Tarifstreit hat sich die GDL bei ihren Mitgliedern noch vor Weihnachten grünes Licht für unbefristete Streiks geholt. Weselsky kündigte in Interviews an, Reisende müssten ab dem 8. Jänner mit längeren Arbeitskämpfen rechnen.

In der aktuellen Tarifrunde haben die Lokführer bisher zweimal ihre Arbeit niedergelegt und den Bahnverkehr in Deutschland weitgehend zum Erliegen gebracht – auch Österreich war teils davon betroffen. Die Gewerkschaft hatte Ende November die Gespräche mit dem deutschen Staatskonzern für gescheitert erklärt. Größter Streitpunkt ist die von der GDL geforderte Arbeitszeitverkürzung von 38 auf 35 Stunden pro Woche für Schichtarbeiter bei vollem Lohnausgleich. Dazu verlangt die GDL 555 Euro mehr im Monat sowie eine Inflationsausgleichsprämie von 3.000 Euro.

Weselsky betonte, er sei beim Absenken der Wochenarbeitszeit kompromissbereit. Man könnte etwa 2025 starten und die Wochenarbeitszeit schrittweise bis 2028 von 38 auf 35 Stunden verringern, sagte er vor kurzem. Die Deutsche Bahn lehnt vor allem die geforderte Arbeitszeitverkürzung ab. (APA, 3.1.2024)