Trümmer des Isias-Hotel im Zentrum von Adiyaman.
Das blieb nach dem Erdbeben am 6. Februar 2023 vom Isias-Hotel im Zentrum von Adiyaman übrig. Das Haus neben dem Hotel blieb stehen. Unter den 72 Todesopfern im Hotel waren 26 Schülerinnen und Schüler aus Nordzypern, die zu einem Volleyballturnier angereist waren.
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Am Mittwochvormittag begann in Adiyaman ein erster großer Prozess wegen Baumängeln an einem Hotel, durch dessen Zusammenbruch 72 Menschen den Tod fanden. Es geht um das ehemalige Isias-Hotel im Zentrum von Adiyaman, das während des Erdbebens am 6. Februar 2023 in wenigen Sekunden in sich zusammensackte und die Hotelgäste unter den Trümmern begrub. Zu den Gästen gehörte eine große Gruppe von Schülern aus Nordzypern, die zu einem Volleyballturnier in die Türkei gekommen waren. 26 von ihnen starben, die jüngste war erst zehn Jahre alt. Viele Eltern waren zum Prozessauftakt nach Adiyaman gekommen. Vor dem Gericht hielten sie Schilder mit Bildern ihrer toten Kinder hoch. Rusen Karakay, eine der Mütter, sagte gegenüber der dpa: "Jeder, der das Grand Isias Hotel gebaut hat, ist schuldig."

Vorwurf der fahrlässigen Tötung

Das sieht die zuständige Staatsanwaltschaft ähnlich. Schon wenige Tage nach dem Erdbeben wurde der Besitzer und Betreiber des Hotels, Ahmet Bozkurt, festgenommen. Zehn weitere Personen sind nun angeklagt, darunter der Architekt des Bauwerks. Der Hotelbesitzer, der Architekt und drei weitere Personen sind in Untersuchungshaft. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen bewusste fahrlässige Tötung vor. Die Angehörigen, die im Prozess als Nebenkläger und -klägerinnen auftreten, fordern dagegen eine Anklage wegen mutmaßlichen Vorsatzes, was höhere Strafen bedeuten würde.

Das zehn Jahre alte Hotel soll erhebliche Baumängel aufgewiesen haben. In einem Gutachten wird beispielsweise die Verwendung minderwertigen Betons bemängelt, der offenbar zur Kostenersparnis eingesetzt worden war. Nach der von der Staatsanwaltschaft vorgelegten Anklage droht den Betroffenen eine maximale Strafe von 22 Jahren Haft. Am Mittwoch wurde der Bauherr und Hotelbesitzer per Video aus dem Gefängnis vom Gericht befragt. Er bestritt jegliche Schuld. Das Hotel sei entsprechend allen Vorschriften gebaut worden, behauptete er.

Der Prozess wird wahrscheinlich bis einschließlich Freitag andauern. Wegen der großen öffentlichen Bedeutung und der relativ eindeutigen Beweislage rechnen die meisten Beobachter mit Verurteilungen von mindestens einem Teil der Angeklagten. In einem weiteren Prozess sollen dann auch die Mitarbeiter der zuständigen Baubehörde, die das Hotelprojekt genehmigt haben, angeklagt werden.

Gebäude neben Hotel blieben stehen

Auf Videos aus der Zeit vor dem Erdbeben ist das Viersternehotel Grand Isias im Zentrum von Adiyaman zu bewundern: Es war ein Beton-Glas-Bau mit Konferenzsälen und Spa-Bereich, der Luxus und Solidität vorgaukelte. Auf einem Video unmittelbar nach dem Beben ist dann nur noch ein Trümmerberg zu sehen. Interessanterweise sind die Gebäude unmittelbar neben dem Hotel stehengeblieben, was ein erstes Indiz für die nun recherchierten Baumängel ist.

An vielen anderen vom Erdbeben betroffenen Orten bot sich im Februar 2023 ein ähnliches Bild. Überall gab es zusammengestürzte Häuser, in deren unmittelbarer Nachbarschaft alles intakt blieb. Wenn aber Häuser, die auf dem gleichen Untergrund in unmittelbarer Nachbarschaft gebaut wurden, unbeschädigt blieben, während andere zusammenstürzten, muss man davon ausgehen, dass die eingestürzten Häuser schlecht gebaut worden waren. Die Debatte um Baumängel begann deshalb auch gleich nach dem Erdbeben und hält bis heute an.

Rolle der AKP

Schon bei dem großen Beben am Marmarameer 1999 hatte es ähnliche Vorfälle und Debatten gegeben. Damals waren einige wenige Bauherren quasi als Sündenböcke verurteilt worden, um die Debatte wieder zu beruhigen. Auf dem Papier waren dann auch schärfe Bauvorschriften erlassen worden, die gegen Erdbeben Schutz gewähren sollten. Ob solche Bauvorschriften dann auch eingehalten werden, obliegt der jeweiligen kommunalen Bauaufsicht.

Deshalb wird es nun spannend sein, zu sehen, ob auch Behördenvertreter zur Rechenschaft gezogen werden. Die meisten Städte der vom Erdbeben letzten Jahres betroffenen Region im Südosten der Türkei wurden und werden von Vertretern der regierenden AKP kontrolliert. Deshalb ist es fraglich, ob in den betroffenen AKP-Rathäusern tatsächlich schonungslos aufgeklärt wird, ob bei Baugenehmigungen geschoben wurde – zumal im März dieses Jahres in allen Kommunen der Türkei neu gewählt wird. (Jürgen Gottschlich aus Istanbul, 3.1.2024)