Sheikh Hasina regiert Bangladesch seit 2009 mit eiserner Hand – und wird es vermutlich weiterhin tun.
AP/Anupam Nath

Am 15. August 1975 stürmten bewaffnete Militärs die Villa von Sheikh Mujibur Rahman, dem ersten Präsidenten eines unabhängigen Bangladeschs. Sie ermordeten ihn – und 17 seiner engsten Familienmitglieder. Überlebt haben bloß zwei seiner Töchter, vermutlich aus purem Zufall, weil sie zu der Zeit in Europa weilten. Eine von ihnen war die damals 27-jährige Sheikh Hasina.

Heute, fast 50 Jahre später, ist ebenjene Frau die aktuell längstdienende weibliche Premierministerin weltweit. Die als "Asiens Iron Lady" beschriebene Chefin der Awami-League-Partei (AL) regiert Bangladesch seit 2009 mit eiserner Hand. Und am Sonntag wird sie wohl für eine weitere Amtszeit bei den Parlamentswahlen bestätigt werden.

Denn dafür hat sie in den vergangenen Jahren gesorgt: Unter ihrer Führung wurde das eigentlich demokratische Land immer autoritärer. Im Vorfeld der Wahlen sind tausende Oppositionelle inhaftiert worden. Menschenrechtsorganisationen beklagen über 600 außergerichtliche Hinrichtungen seit 2018, die Pressefreiheit ist stark eingeschränkt. Die meisten ihrer politischen Gegner sind aber ohnehin inhaftiert oder wurden mundtot gemacht.

Erbitterte Fehde zwischen zwei Matriarchinnen 

So sitzt auch ihre größte Gegenspielerin, Khaleda Zia, unter Hausarrest. Die 78-jährige ist Chefin der größten Oppositionspartei Bangladesh Nationalist Party (BNP) und Witwe jenes Mannes, der nach den Militärgräueltaten an Hasinas Familie Präsident im Land wurde. Zwischen den zwei Frauen herrscht eine jahrzehntelange erbitterte Fehde, eine "Battle of the Begum", wie es lokal heißt: Begum heißt so viel wie "Dame" in Bengali. Schon seit 1991 herrscht entweder die eine oder die andere über das bevölkerungsreiche südasiatische Land mit 190 Millionen Einwohnern.

Diesmal boykottiert die Oppositionspartei BNP die Wahlen zur Gänze. Die "Attrappenwahl" sei ein reines "Affentheater", riefen hochrangige Parteifunktionäre schon im Dezember auf. Niemand solle zur Wahl gehen – auch das sei ein demokratisches Recht. In dem Boykott sieht die Opposition ihre einzige Option, sich gegen die mittlerweile fast allmächtige AL zu wehren.

So bewerben sich diesmal fast nur Politiker und Politikerinnen der AL oder solche, die ihr nahestehen, um die 300 frei wählbaren Sitze im 350-Sitze-Parlament in Dhaka. Schon bei den vergangenen Wahlen vor fünf Jahren, als die BNP sehr wohl antrat, errang die AL trotzdem 94 Prozent der Sitze. Die Rufe, es werde Wahlmanipulation betrieben, auch von EU- und US-Vertretern, waren nicht zu überhören.

Angst vor Ausschreitungen

Seitdem hat sich Hasinas Autoritarismus weiter verstärkt statt entspannt. Laut der BNP wurden allein seit dem Herbst 20.000 Politiker festgenommen. Die Polizei bestätigt das so nicht, die NGO Human Rights Watch geht von rund 10.000 inhaftierten Oppositionellen seit Herbst aus. Im Vorfeld der Wahlen herrscht große Anspannung, dass es wie bei vorherigen Urnengängen zu gewalttätigen Ausschreitungen kommen könnte.

Die Oppositionspartei veranstaltete noch im Dezember Protestverantaltungen – hier am Tag der Menschenrechte in Dhaka.
AP/Mahmud Hossain Opu

Wer Hasina mit den Vorwürfen konfrontiert, bekommt zu hören, dass die BNP keine demokratischere Option darstelle: Gegenüber dem "Time"-Magazin erklärte sie, die BNP sei eine "Terroristenpartei", die von Militärs gegründet wurde. Zia regierte wie ein "Militärdiktator". Sie selbst, Sheikh Hasina, habe sehr wohl für Demokratie gekämpft.

Außerdem kann sie auf ein beachtliches Wirtschaftswachstum blicken. Bangladesch, das noch in den 1970ern als "hoffnungsloser Fall" galt (so ein Mitarbeiter des damaligen US-Außenministers Henry Kissinger), ist heute eine der am schnellsten wachsenden Wirtschaften in der Region. 2026 soll es vom Status einer "least developed country" graduieren. Dabei bleibt der Textilsektor das wichtige Zugpferd. Aber auch im Schiffsbau konnte sich Bangladesch etablieren. Die EU ist der wichtigste Handelspartner, gefolgt von den USA.

Westen hält sich mit Kritik zurück

So halten sich EU- und US-Vertreter mit Kritik zurück. Nicht nur aus wirtschaftlichen, sondern auch aus geopolitischen Gründen hält man am Strohhalm der Demokratie und der regelbasierten Ordnung fest: Denn eine schlecht funktionierende Demokratie in Bangladesch ist für viele westliche Staaten immer noch besser, als das Land in die Arme von Russland oder China zu treiben. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron wurde zuletzt dabei am deutlichsten, als er bei einem Besuch in Dhaka betonte, die französische Indopazifik-Strategie dort vertiefen zu wollen, "im Angesicht von Chinas neuem Imperialismus".

Anhängerinnen der regierenden AL versammeln sich bei einer Wahlveranstaltung in Dhaka.
AP/Saiful Islam Kallal

Bangladesch unter Hasina schafft es dabei relativ erfolgreich, sich von keiner Seite zu sehr vereinnahmen zu lassen. Dhaka hat den Ukraine-Überfall zwar verurteilt, im September reiste aber mit Sergej Lawrow erstmals ein russischer Außenminister nach Bangladesch. Und Moskau hilft dabei, die ersten zwei Kernkraftwerke des Landes aufzubauen. Im Oktober kam die erste Lieferung Uran an.

Indien als Schlüsselpartner

Vor allem der riesige Nachbar und traditionell enge Verbündete Indien ist an dem Status quo in Bangladesch, das fast zur Gänze von Indien umgeben ist, interessiert. Für Indien ist Bangladesch dabei eine wichtige Verbindung zu seinen sieben Provinzen im Nordwesten. Und historisch pflegt Indien engere Kontakte mit der AL als mit der Opposition.

Und doch regte sich zuletzt auch Kritik, vor allem aus den USA. Bei aller Integration Bangladeschs in seine Indopazifik-Strategie erließ Washington unter anderem Sanktionen gegen Angehörige des brutalsten Zweigs der Polizei. Außerdem wurde das Land bereits zwei Mal nicht zum jährlichen "Summit of Democracy" eingeladen. Überdies vergibt Washington aktuell keine Visa an jene, die unter Verdacht stehen, in Wahlmanipulation involviert zu sein. (Anna Sawerthal, 6.1.2024)