Bis ein Kind den richtigen Block ausgewählt hat, um ihn durch die passende Öffnung eines Steckspiels zu manövrieren, sind oft viele Versuche nötig. Auch wir Forscherinnen und Forscher gehen bei unserer Arbeit mit sogenannten magnetischen Nanoteilchen nach dem Prinzip Versuch und Irrtum vor.

Diese sogenannten magnetischen Nanoteilchen sind mit Größen von zehn bis 100 Nanometern mindestens zehn Millionen Mal kleiner als ein Meter. So, wie ein Kind die richtige Form sucht, bestimmen Forscherinnen und Forscher durch wiederholte Versuche und sorgfältige Analysen die optimale Form und Größe der magnetischen Nanoteilchen, um sie so durch Blutgefäße und in lebende Zellen zu transportieren.

Mit Antikörper beschichtete magnetische Nanopartikel
Eine 3D-Darstellung von mit Antikörper beschichteten magnetischen Nanopartikeln in Großaufnahme.
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Biomedizinische Anwendungen

Die magnetischen Nanoteilchen können mit Medikamenten beschichtet und in den Blutkreislauf injiziert werden. Legt man nun ein externes Magnetfeld an, können die Partikel im Körper gedreht und bewegt werden. So können sie direkt zu einem geschädigten Organ oder Tumor transportiert und dort gehalten werden, bis das Medikament wirkt. Alternativ können die Nanoteilchen nach Erreichen des Ziels innerhalb des Tumors so stark rotiert werden, dass sich der Tumor lokal erhitzt und dadurch schrumpft. In der Forschung spricht man hierbei vom magnetischen Wirkstoff-Targeting und der magnetischen Hyperthermie. Diese Methoden bieten zwei Hauptvorteile im Vergleich zu herkömmlichen Chemo- oder Strahlentherapien: Erstens ist die Wirkung des Medikaments hoch lokalisiert – es wirkt dort, wo es gebraucht wird – und schädigt kein gesundes Gewebe. Zweitens erleichtert die Anwesenheit magnetischer Nanopartikel die sofortige tomografische Visualisierung von Tumoren.

Offene Probleme

Die biomedizinischen und technischen Anwendungen von magnetischen Nanoteilchen werfen jedoch nach wie vor zahlreiche wissenschaftliche und praktische Fragen auf. Forscherinnen und Forscher kämpfen damit, die genaue Partikelgröße und die optimale Struktur und Form zu bestimmen, um Ziele im Körper zu erreichen oder Tumore zu erhitzen. Dabei müssen sie die Gefahr von Verklumpungen und Gefäßblockaden ausschließen. Andererseits könnten kontrollierte Partikel-Aggregate besser auf angelegte Magnetfelder reagieren. Die praktischen Überlegungen umfassen die Gewährleistung der Ungiftigkeit und die Entwicklung von Methoden zur Zellpenetration, sowie die Entwicklung von Strategien zur Entfernung der Partikel nach Abschluss ihrer Mission und die Erforschung ihres Abbaus in harmlose oder nützliche Verbindungen.

Mögliche Ansätze

Die Beantwortung dieser Fragen ist für die Etablierung von magnetischen Nanopartikel-basierten Systemen als Materialien der Zukunft entscheidend. Wie beim Steckspiel erfordert ihre Beantwortung eine Mischung aus wiederholten Versuchen und sorgfältigen Analysen. In der Praxis braucht diese moderne Forschung die Zusammenarbeit über Disziplinen hinweg: Expertinnen und Experten aus den Bereichen Weiche Materie, Bio-, Kondensierte und Weiche Materie sowie Physik, Chemie und Mathematik werden hier bei theoretischen und experimentellen Bemühungen mit klinischen Studien zusammengebracht. Hier spezialisiert sich meine Forschungsgruppe auf die rechnerische und analytische Modellierung von magnetischen Nanopartikel-basierten Systemen mit dem Ziel zu verstehen, wie Form und interne Struktur ihr Verhalten beeinflussen. Diese Forschung soll nicht nur Experimente optimieren und die Materialsynthese verbessern, sondern auch ein grundlegendes Verständnis des Magnetismus von Nanopartikeln vermitteln.

Magnetische Nanoteilchen
Magnetische Nanoteilchen - Anisometrische Nanoteilchen, die das Potenzial haben, die Hyperthermie zu verbessern (Simulation von Sofia Kantorovich)
Kantorovich

Der Weg vom Modell in die Krankenhäuser

Untersuchungen zum Verhalten magnetischer Nanopartikel in Flüssigkeiten werden schon seit fast 60 Jahren durchgeführt. Seit über 25 Jahren arbeiten Forscherinnen und Forscher daran, klinische Studien ermöglichen. Seit 2020 wurden jedoch aufgrund der Pandemie und Kriege Prioritäten verschoben. Gleichzeitig wurden Debatten über die Finanzierung von Grundlagenforschung und ethische Bedenken hinsichtlich Tierversuchen sowie der Nachhaltigkeit von magnetischen Nanostrukturmaterialien aufgeworfen. Darüber hinaus hat künstliche Intelligenz einen entscheidenden Einzug in unseren Alltag gehalten und traditionelle Forschungsmethoden herausgefordert.

Perspektive

Beim Umgang mit dieser neuen Realität des Forschungsbereiches plädiere ich dafür, das Wissen, das wir gesammelt haben, sorgfältig zu nutzen und neue Methoden wie KI zu integrieren. Anstatt traditionelle Ansätze blind zu ersetzen, sollte KI diese ergänzen und optimieren, wie es in unserer kürzlich beantragten Forschungsinitiative MAGAMAT ((micro)MAGnetism And (quantum)MATerials) vorgeschlagen wird. In dieser Initiative planen wir, Forscherinnen und Forscher aus Österreich und Deutschland zu vereinen, um neue Strategien für die Entwicklung nachhaltiger magnetischer Materialien mit gewünschten Eigenschaften vorzustellen. Für diese Initiative im Besonderen und für jeden wissenschaftlichen Fortschritt im Allgemeinen ist es entscheidend, die internationale Zusammenarbeit aufrechtzuerhalten und die Einheit unter Forscherinnen und Forscher weltweit unabhängig von Geschlecht, Nationalität oder Überzeugungen zu fördern (Sofia Kantorovich, 9.1.2024).