Ex-IBU-Präsident Anders Besseberg
Ex-IBU-Präsident Anders Besseberg muss sich vor Gericht verantworten.
AP

Oslo – Es könnte ein gutes Jahr werden, was den Kampf gegen Korruption im Sport angeht. Den Anfang macht Norwegen mit einem ab 9. Jänner für sechs Wochen angesetzten Verfahren gegen Anders Besseberg, den Ex-Präsidenten des Biathlon-Weltverbands IBU. Der 77-Jährige, der selbst Biathlet und Nationaltrainer war, stand ab 1992 bis April 2018 der IBU vor, gegen Ende der sechsten Amtszeit musste er abdanken. Dem Rücktritt war eine Razzia des österreichischen Bundeskriminalamts in der Zentrale der IBU vorangegangen, die ihren Sitz in Salzburg hat.

Besseberg soll jahrelang russische Dopingmachenschaften gedeckt und sich bei der Vergabe der Biathlon-WM 2021 ungebührend für die westsibirische Stadt Tjumen eingesetzt haben. Das Korruptionsverfahren, in dem ihm bis zu zehn Jahre Haft drohen, ist eine Folge jahrelanger Ermittlungen von Økokrim, der norwegischen Behörde zur Bekämpfung von Wirtschafts-, Umwelt- und Computerkriminalität. Sie wirft Besseberg "schwere Korruption" in mehreren Fällen im Zeitraum von 2009 bis 2018 vor. Für Besseberg, der die Vorwürfe bestreitet, gilt die Unschuldsvermutung.

Auch eine von der IBU eingesetzte, externe Untersuchungskommission kam indes im Abschlussbericht zum Schluss, Besseberg habe russische Machenschaften gedeckt, sich etwa bei der Vertuschung von Dopingfällen "korrupt und unethisch verhalten". Dieses Verhalten ist Besseberg laut Økokrim mit "teuren Uhren, kostenlosen Jagdausflügen, Jagdtrophäen, Diensten von Prostituierten und einem Leasingauto" abgegolten worden.

Liebesgrüße in Moskau

In dem Bericht heißt es auch, Besseberg habe eingestanden, in Moskau die Dienste einer Prostituierten in Anspruch genommen zu haben. Der Norweger habe aber angegeben, nicht zu wissen, wer genau ihm die Frau geschickt habe – "wahrscheinlich das Organisationskomitee". In IBU-Kreisen, so führt der Bericht weiters aus, sei es bekannt gewesen, dass Besseberg bei Russland-Aufenthalten "oft eine junge 'Übersetzerin' seitens der Gastgeber" zur Seite gestellt worden sei.

Der Spiegel schrieb, Besseberg habe "die IBU 26 Jahre lang wie ein Pate geführt". Seit Jahren habe man sich in Biathlonkreisen erzählt, dass Besseberg von einem Helikopter aus Jagd auf Wölfe gemacht haben soll. Mehrmals sei er deshalb in die russischen Biathlon-Hochburgen Chanty-Mansijsk und Tjumen eingeladen worden. Besseberg habe die Einladungen nicht abgestritten, sie aber als Teil von offiziellen Terminen bezeichnet.

Lange Ermittlungen

Laut Økokrim wurde Besseberg auch in Österreich und Tschechien zu Jagdausflügen eingeladen. Die norwegische Staatsanwältin Marianne Djupesland ist überzeugt davon, genügend Beweise gegen den früheren IBU-Präsidenten gesammelt zu haben. "Es wurden viele Personen befragt, Informationen aus mehreren Ländern eingeholt und erhebliche Mengen an Dokumenten gesichtet." Für die Ermittlungen bildeten die norwegischen mit den österreichischen Behörden ein "Joint Investigation Team" unter der Schirmherrschaft von Eurojust, Hilfe kam auch aus Liechtenstein, Tschechien und Kanada.

Økokrim-Direktor Pål K. Lønseth zeigt sich auch unabhängig vom Besseberg-Verfahren "besorgt über das Korruptionsausmaß im internationalen Spitzensport". Da seien enorme Geldsummen im Spiel, gleichzeitig sei Korruptionsprävention kaum gereift. Durch diese Zutaten ergebe sich ein "großes Korruptionsrisiko".

Leistner: "Völliger Unsinn"

Warum hat im Weltverband niemand eingegriffen? Warum durfte Besseberg augenscheinlich schalten und walten, wie er wollte? Das müsse sich laut Spiegel fragen, wer den IBU-Untersuchungsbericht auch nur angelesen habe. Klaus Leistner versuchte bereits 2018 zu beschwichtigen. Da stand der Österreicher nach dem Besseberg-Rücktritt von April bis September interimistisch an der IBU-Spitze. Schon zuvor war er Vizepräsident und ab 2006 für die IBU-Finanzen zuständig, "ehrenamtlich", wie er betonte. Die Vorwürfe, sagte Leistner dem STANDARD, würden "nicht zu dem Bild passen, das man von Besseberg hat". Dieser sei "immer ein militanter Dopinggegner gewesen".

Freilich ergänzte Leistner auch: "Man soll nie sagen, dass etwas auszuschließen ist. Dass ich meine Hand nicht ins Feuer lege, ist aber prinzipiell unabhängig von Personen." Dass bei der Vergabe an Tjumen, das die WM später wieder zurückgab, Vorstandsmitglieder massiv eingegriffen hätten und Gelder geflossen seien, sei jedenfalls "ein völliger Unsinn".

Der österreichische Skiverband (ÖSV) hatte den Juristen Leistner in die IBU entsandt, hierzulande läuft Biathlon unter ÖSV-Ägide, wohingegen der Sport international eigenständig ist. Für den ÖSV war Leistner (Jg. 1945) bereits ab 1971 tätig gewesen, dem 1990 gewählten Präsidenten Peter Schröcksnadel (Jg. 1941) stand er stets als Generalsekretär zur Seite.

2020 trat Leistner, 2021 Schröcksnadel zurück. Dem ÖSV steht nun Roswitha Stadlober vor, und Christian Scherer folgte Leistner als ÖSV-Generalsekretär wie auch als IBU-Schatzmeister nach. IBU-Präsident ist der Schwede Olle Dahlin, der unter Besseberg ab 2014 bereits Vizepräsident war. (Fritz Neumann, 7.1.2024)