Figur eines Mannes mit Spitzhacke auf einem Goldbarren.
"Gold-Digger", also Goldgräber, nennen die jungen Menschen heutzutage offenbar auch in Österreich Personen, die romantische Beziehungen zu ihrem finanziellen Vorteil ausnutzen. Nicht immer ist das legal.
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Wien – Der Ansatz von Richter Daniel Rechenmacher ist zwar der eines reellen Kaufmanns oder einer reellen Kauffrau, in unserem Wirtschaftssystem wird man damit aber nicht zum Manager des Jahres, wie ein Blick auf die Wirtschaftsmeldungen zeigt. "Wenn man Schulden macht, muss man sie auch zurückzahlen", erklärt Rechenmacher nämlich dem 23-jährigen Angeklagten, der als Angestellter kein Immobilienimperium mit fremden Geld aufgebaut hat. Stattdessen soll der vorbestrafte Familienvater eine Internetbekanntschaft zunächst ausgenutzt und schließlich erpresst haben.

Der Angeklagte bekennt sich dazu nicht schuldig. 2017 oder 2018 habe er auf einer Internetplattform einen elf Jahre älteren Herrn kennengelernt, mit ihm kommuniziert und sich mit ihm angefreundet, erzählt er dem Richter. Schließlich traf man sich auch persönlich, erst nahe der Arbeitsstätte des Älteren, dann bei ihm daheim.

"Warum hat man sich gut verstanden?", will Rechenmacher wissen. "Wir haben viel geredet, er hat mir Geld geborgt", antwortet der Angeklagte, der zur beschriebenen Zeit 17 bis 18 Jahre alt war. "Nun ist der andere aber doch etwas älter als Sie. Was für eine Art Beziehung war das?" – "Von meiner Seite war es nur Freundschaft." – "Und von der anderen Seite?" – "Was meinen Sie?" – "Na vom anderen Herrn!" – "Er hat mir Handzeichen gegeben, dass er bisexuell ist", lautet die etwas verwirrende Replik. "Wie?", fragt der Richter daher. "Er hat mich berührt und wurde handgreiflich. Das war mir unangenehm", behauptet der Angeklagte. "Warum haben Sie ihn dann weiter getroffen?" – "Habe ich eine Zeitlang eh nicht, und dann habe ich geschrieben, er soll mir das Geld überweisen."

Geld, Fernseher, Laptop, Handys

Das ist der erste Anklagepunkt: Der Angeklagte sagt, der Ältere habe ihm in zwei bis drei Jahren über 10.000 Euro "geborgt", davon hätte er aber rund 60 Prozent zurückgezahlt. Als Arbeitsloser beziehungsweise Security-Mitarbeiter. Belege dafür gibt es nicht. "Warum borgen Sie sich so viel Geld aus, wenn Sie sagen, Sie haben nicht viel verdient?", wundert Rechenmacher sich. "Ich hatte damals keinen Bezug zum Geld", erfährt er. Zum Bargeld und den Überweisungen seien zwei Handyverträge, ein teurer Laptop und ein Fernseher gekommen. "Meine sind kaputt geworden", beharrt der Angeklagte, das seien Geschenke gewesen.

Etwas verwirrend ist allerdings die Namensvielfalt des 23-Jährigen. Seinen Geburtsnamen hat er nach seiner Konversion zum Islam abgelegt, im Kontakt mit dem Älteren nutzte er den erfundenen Vornamen "Adam". Ein Umstand, der den Richter nachvollziehbarerweise misstrauisch macht. "Warum haben Sie einen falschen Namen verwendet?" – "Weil der so komisch war." – "Jetzt bekommen wir ein strategisches Problem. Erst haben Sie mir erzählt, der Herr war Ihnen sympathisch und Sie haben viel mit ihm geredet, und jetzt sagen Sie, er war komisch?" Der Angeklagte schweigt.

Irgendwann kamen jedenfalls keine Überweisungen mehr, "Adam" hatte zu diesem Zeitpunkt aber bereits ein Kind und weiter wenig Geld. Also wurden seine Nachrichten fordernder – er drohte, die sexuelle Orientierung des Älteren dessen Familie und dessen Arbeitgeber zu verraten, was für die Staatsanwaltschaft den zweiten Anklagepunkt der Erpressung erfüllt. Auszüge aus einem Telegram-Chat lesen sich dann so: "Ich mag dich", schrieb der Angeklagte. "Ich mag aber dich nicht." – "Überweis einfach das Geld!" – "Lässt du mich dann in Ruhe?" – "Ja." Dieses Versprechen hielt "Adam" nicht.

Angeklagter pocht auf Veränderung

"Ich habe ihn nicht erpresst, ich wollte mir einfach das Geld ausborgen", bleibt der Angeklagte bei seiner Version. "Es gibt aber auch eine andere Erklärung, die die Staatsanwaltschaft sieht: Man ist jung, man braucht ein bisserl ein Geld", bietet Rechenmacher eine Alternative. "Und warum sollte der Ältere Sie belasten? Der macht sich dann selbst strafbar!" – "Weil ich ihm sein Geld nicht zurückgezahlt habe." – "Da braucht er Sie nur zivilrechtlich klagen. Was hat er davon, wenn Sie im Gefängnis sitzen?" – "Ich hab mich halt seit damals komplett verändert", weicht der 23-Jährige aus.

Der Ältere erzählt die Geschichte als Zeuge anders. Er habe den Teenager auf einer einschlägigen Datingplattform kennengelernt, es sei zunächst klar vereinbart gewesen, dass das Geld für sexuelle Dienstleistungen gezahlt wird. Da man sich gut verstanden habe und "Adam" ihm von finanziellen Schwierigkeiten berichtet habe, habe er Mitleid mit ihm gehabt und ihm etwas geliehen. Laut seinen Kontoauszügen waren es exakt 14.366 Euro gewesen, dazu kamen 2.150 Euro, die er nach den bedrohlichen Nachrichten überwies, ehe der Kontakt abbrach.

"Warum haben Sie das erst zwei Jahre später angezeigt?", fragt der Richter den Zeugen. "Ich war wegen einer anderen Sache für eine Aussage bei der Polizei. Den Beamten habe ich das dort erzählt, und die sagten, ich soll das machen", entgegnet der Zeuge. Die 16.516 Euro, die er in der fraglichen Zeit an "Adam" übergeben oder überwiesen hat, hätte der Angestellte gerne wieder retour. Nach der Zeugenaussage bietet Rechenmacher dem Angeklagten die Möglichkeit zu einer Stellungnahme: "Stimmt das?" – "Ich war ja jung und dumm", murmelt der 23-Jährige. "Lügt der Zeuge, oder war es doch so?" – "Na ja, teilweise", gibt der Angeklagte leise zu.

Am Ende verurteilt der Richter den Jungvater zu zwölf Monaten bedingter Haft und einer unbedingten Geldstrafe von 180 Tagsätzen à vier Euro. Dem Opfer muss "Adam" den geforderten Betrag zurückzahlen. Der akzeptiert die Entscheidung nach kurzer Rücksprache mit seinem Verteidiger, bittet aber um eine Ratenzahlung der Geldstrafe. Da auch die Staatsanwältin einverstanden ist, ist das Urteil rechtskräftig. (Michael Möseneder, 5.1.2024)