Bozen – "It ain’t over till it’s over" sang schon US-Barde Lenny Kravitz vor vielen Jahren. Und diese Weisheit, dass "es erst vorbei ist, wenn es vorbei ist" – sie scheint nun auch in Bezug auf die Bildung der Landesregierung in Südtirol Bestätigung zu finden: Denn Landeshauptmann Arno Kompatscher von der vormals fast allmächtigen Südtiroler Volkspartei (SVP) scheint auf den allerletzten Metern die Koalitionsverhandlungen doch noch einmal aufs Spiel zu setzen.

Arno Kompatscher
Arno Kompatscher steht unter Druck der Rechten in Südtirol – aber auch der eigenen Partei, der SVP.
AP/Lorenzo Zambello

In der Nacht zum Donnerstag hatten Medien übereinstimmend berichtet, dass eine Mitte-rechts-Fünferkoalition für Südtirol de facto fix sei: Die Verhandler der konservativen SVP, der rechten deutschsprachigen Südtiroler Freiheitlichen, der noch weiter rechts stehenden Fratelli d'Italia, der rechtsnationalen Lega und der christdemokratisch-zentrumsnahen italienischsprachigen Bürgerliste La Civica hätten Donnerstagabend eine grundsätzliche Einigung bei sämtlichen Sachthemen bzw. Inhalten erzielt. Dies sagte auch SVP-Landessekretär Martin Pircher explizit zur APA. In den kommenden Tagen müsse es aber noch Gespräche über die Größe der Landesregierung, die Zuständigkeiten sowie die Ressortverteilung geben.

Elf? Acht? Elf?

Nun scheint aber der Spitzenkandidat der SVP, Landeshauptmann Kompatscher, in letzter Minute doch noch Bedenken zu haben – bzw. hatte er sie dem Vernehmen nach schon vorher, und am Freitagvormittag äußerte er sie noch einmal: Zwar gehe es nicht darum, die "Fünfer-Koalition" – ein absolutes Novum für Südtirol – prinzipiell infrage zu stellen; aber für die zuletzt von den Rechtsparteien geforderten elf Landesräte habe er wenig übrig. Er wolle bei acht Landesräten bzw. Landesrätinnen bleiben.

Sowohl Lega als auch Fratelli d'Italia stellten sich sofort quer und beharrten auf ihren Forderungen. Warum?

Die Landesregierung der mehrsprachigen, autonomen Provinz im Norden Italiens muss gemäß eines bestimmten Bevölkerungsschlüssels nach Sprachgruppen zusammengesetzt sein. Würde die Regierungsmannschaft – wie bisher – acht Köpfe haben, wäre statt für zwei nur Platz für einen einzigen italienischsprachigen Landesrat, nämlich Marco Galateo von den Fratelli d'Italia. Christian Bianchi von der Lega ginge dann leer aus. Eine "Achter-Lösung" würde des Weiteren bedeuten, dass weitere SVP-Politiker bzw. -Politikerinnen ebenfalls keinen Sitz in der von Parteifreund Kompatscher angeführten Regierung bekommen würden. Außerdem: Nur wenn das Team auf elf Köpfe vergrößert werden würde, könnte es einen zweiten "italienischen" Landesrat geben – egal aus welcher Partei.

Die Fratelli d'Italia und die Lega liefen sofort Sturm gegen Kompatschers Plan: Sie sehen als Parteien der italienischsprachigen Wahlbevölkerung ebendiese diskriminiert und beharren auf einem zweiten "italienischen" Landesrat: "Entweder so oder gar nicht", zitierte sie am Freitag das Südtiroler Online-Medium "STOL".

Dem Vernehmen nach will Kompatscher den Einfluss des weit rechts stehenden Parteienspektrums in der Landesgesetzgebung minimieren. Er wäre nur dann für eine neuartige "Elfer-Lösung" zu haben, sollte der zentrumsnahe Angelo Gennaccaro von der Lista Civica Landesrat werden – statt des rechten Lega-Mannes Bianchi.

Kritik auch aus eigenem Lager

Das Motiv hinter diesem Versuch: Kompatscher wird nicht nur aus den eigenen Reihen massiv dafür kritisiert, mit den rechten Parteien eine Koalition schmieden zu wollen – dass ihm aber aufgrund des Wahlergebnisses vom Oktober 2023 ihm nichts anderes übrig bleibt, wird dabei gern vergessen. Mit einem moderaten Landesrat von der Lista Civica wäre das Team um eine Nuance "mittiger" platziert. Wenn dies nicht möglich sei, würde er eben versuchen wollen, mehr Balance dadurch zu erreichen, indem er das Regierungsteam bei acht Köpfen belasse – und so der gemäßigten Sammelpartei SVP arithmetisch mehr Gewicht verleihe.

Doch nicht nur aus der rechten Ecke gibt es Widerstand gegen Kompatschers Idee, nur acht Landesräte zu nominieren: Der mächtige Bauernbund der SVP sieht seine Felle davonschwimmen und hat schon Widerstand angemeldet, sollte der Parteikollege Kompatscher mit seinem Vorschlag in eine Abstimmung gehen wollen. Auch in der Zivilgesellschaft reißt die Kritik nicht ab: Zum Jahreswechsel hatten hunderte Lehrkräfte und weitere Personen des öffentlichen Lebens in einem offenen Brief der SVP Verrat an den eigenen Grundsätze vorgeworfen.

Bis dahin hat SVP-Obmann Philipp Achammer alle Hände voll zu tun: Der Landtag muss in jeden Fall fristgerecht einberufen werden, für den 16. Jänner ist die neuerliche Wahl von Landeshauptmann Kompatscher im Landtag anberaumt. Und diese darf nicht platzen. (Gianluca Wallisch, 5.1.2024)