Frau badet in einem See, rund um sie eine dicke Eisschicht an der Wasseroberfläche 
Kopf und Hände werden geschützt, der Rest taucht ins eisige Wasser: Fürs Eisbaden braucht man durchaus ein bisschen Mut.
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Es soll die sportliche Leistungsfähigkeit fördern, antidepressiv wirken, generell glücklicher und gesünder machen – kein Wunder, dass Eisbaden aktuell einen derartigen Hype erfährt. In Skandinavien ist es längst verbreitet, und auch hierzulande scheint der Trend endgültig angekommen zu sein. Während die einen dick eingepackt etwa an der Alten Donau spazieren gehen, tummeln sich dort andere, die minutenlang im kalten Wasser verweilen. Warum machen sie das?

Das Gefühl danach sei einfach unbeschreiblich, man fühle sich fitter, heißt es auf Nachfrage. Wissenschaftlich lässt sich dieses Empfinden gut erklären: Eisbaden ist für unseren Körper erst einmal eine Form von Stress, das heißt, es kommt zu einer Stressreaktion. Adrenalin und Endorphine werden freigesetzt, dadurch fühlt man sich gut. Das können nicht nur all jene bestätigen, die sich schon einmal ins kalte Nass gewagt haben. Auch zahlreiche Studien zeigen den unmittelbar positiven Einfluss auf unsere Stimmung.

Training fürs Herz-Kreislauf-System

Aber auch abseits vom Stimmungshigh passiert beim Eisbaden eine Menge im Körper: "Wenn wir uns für kurze Zeit einer extremen Kälte aussetzen, werden die Kälterezeptoren an der Körperoberfläche aktiviert. Das ist quasi eine Schutzreaktion des Körpers", erklärt Michael Fischer, Leiter des Instituts für Physiologie an der Med-Uni Wien. Vereinfacht gesagt: Damit wir nicht auskühlen, verengt unser Körper bei Kälte die Gefäße an der Körperoberfläche und versucht das Blut im Körperinneren zu bündeln – also dort, wo es nicht droht auszukühlen. "Wenn sich Gefäße verengen, steigt im verbleibenden System der Widerstand, das heißt, der Blutdruck steigt an, und das Herz-Kreislauf-System wird belastet", sagt Fischer. Das ist auch der Grund, warum für Menschen mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen beim Eisbaden Vorsicht geboten ist. Bei gesunden, fitten Menschen dagegen ist diese Belastung ein gutes Training für das Herz-Kreislauf-System.

Ringt man sich also dazu durch, ins eisige Wasser zu steigen, sollte man ein paar Dinge unbedingt beachten. Besonders wichtig: Der Kopf bleibt dabei über Wasser. Am Kopf sitzen nämlich besonders viele von diesen Kälterezeptoren. Taucht man bis zum Hals ein, steigt die Herzfrequenz. Wenn man zusätzlich auch den Kopf eintaucht, geht die Herzfrequenz nach unten. "Deshalb sollte man auch in sehr kaltes Wasser nicht direkt reinspringen. Der niedrigen Herzfrequenz in Kombination mit dem hohen Druck in den Gefäßen könnte ein Kälteschock folgen, weil nicht mehr ausreichend Blut durch den Körper gepumpt werden kann", warnt Fischer.

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Hilfe bei Schmerzen

Kälte spielt zudem in der Schmerztherapie eine entscheidende Rolle. Denn sie führt zur Ausschüttung von schmerzreduzierenden Substanzen wie etwa Endorphinen, das reduziert die Schmerzwahrnehmung. Das wurde auch bereits in mehreren Studien gut gemessen und nachgewiesen. Und die meisten kennen diesen Effekt wohl aus eigener Erfahrung: "Denken Sie nur an eine Verletzung. Man kommt nie auf die Idee, die betroffene Stelle zu wärmen, meist kühlt man sie umgehend. Dadurch kann man schmerzvermittelnde Nervenbahnen ausschalten", erklärt der Physiologe.

Aus diesem Grund werden Kältekammern in der Behandlung von Schmerzpatientinnen und Schmerzpatienten längst routinemäßig eingesetzt, berichtet der Experte: "Manche Menschen haben beispielsweise so starke Schmerzen, dass ein Physiotherapeut oder eine Physiotherapeutin ihre Gelenke gar nicht bewegen könnten. Das regelmäßige Durchbewegen ist aber wichtig, damit die Gelenke nicht versteifen. Wenn die Betroffenen vorab in die Kältekammer gehen, geht das danach meist nahezu problemlos."

Antientzündliche Wirkung

Auch auf die mentale Gesundheit soll die Kälte positive Auswirkungen haben. Vor allem bei Depressionen könnte Eisbaden helfen, heißt es. Studien gibt es dazu bisher kaum, aber durchaus Erklärungsansätze, warum das so sein könnte, berichtet Edda Winkler-Pjrek, Fachärztin für Psychiatrie und psychotherapeutische Medizin und Leiterin der Ambulanz für Herbst-Winter-Depression am AKH Wien. "Man weiß, dass Entzündungen im Körper Depressionen begünstigen. Eisbäder wirken möglicherweise antientzündlich und könnten dadurch bei depressiven Verstimmungen helfen", erklärt sie. Entzündungen würden zwar sicherlich nicht bei allen Menschen mit Depressionen eine Rolle spielen, aber doch bei vielen. "Für Depressionen gibt es meist mehrere Gründe. Es hängt nicht immer nur an einem Neurotransmittermangel im Gehirn, sondern auch an veränderten Lebensumständen oder eben Entzündungen. Da spielen meist mehrere Faktoren zusammen", sagt Winkler-Pjrek.

Es gab auch bereits Studien, in denen der Zusammenhang zwischen antientzündlichen Medikamenten und Depressionen erforscht wurde, berichtet die Expertin. "Da hat sich gezeigt, dass auch entzündungshemmende Medikamente einen antidepressiven Effekt haben. Aber die Langzeitverträglichkeit hinsichtlich des Magens oder der Nieren ist schlechter als bei herkömmlichen Antidepressiva." Nichtsdestotrotz: Dass sich Depressionen grundsätzlich verbessern, wenn man Entzündungen im Körper reduziert, daran gibt es laut Winkler-Pjrek in der Wissenschaft kaum Zweifel.

Effekt auf Regenerationsfähigkeit unklar

Aber nicht für alle positiven Auswirkungen des Eisbadens gibt es so gute Anhaltspunkte in der Forschung. Die antientzündliche Wirkung soll sich nämlich auch – so hört und liest man es immer wieder – positiv auf die Regenerationsfähigkeit des Körpers nach dem Sport auswirken. Die Idee dahinter: Ein Eisbad sorgt dafür, dass sich die Muskulatur von den Mikrorissen, die beim Krafttraining im Muskelgewebe entstehen, schneller erholt und man so besser auf das nächste Workout vorbereitet ist.

Wissenschaftlich gibt es dazu allerdings kaum Studien und auch keine klaren Hinweise, stellt Physiologe Fischer klar. Bei Kälte setzt unser Körper sehr viele unterschiedliche Prozesse gleichzeitig in Gang, die wiederum alle unterschiedliche Auswirkungen haben. "Durch ein Eisbad sind viele biologische Parameter verändert. Die Antikörperspiegel fallen etwa, die Immunzellenanzahl hingegen steig, das nur als Beispiel." Dadurch könne man nicht sagen, dass Eisbaden grundsätzlich gut oder grundsätzlich schlecht ist für die Regeneration: "Möglicherweise sind in der Summe für die Regeneration mehr Prozesse positiv als negativ, aber belegt ist dieser Gesamteffekt nicht."

Eisbad für Fettverbrennung kaum relevant

Ähnlich kontrovers ist die Literatur bei dem Effekt auf den Stoffwechsel. Viele denken, dass Eisbaden den Stoffwechsel ankurbeln und beim Abnehmen helfen könnte, weil vor allem die braunen Fettzellen auf den kalten Reiz reagieren und dadurch Fett verbrannt wird. Aber die wissenschaftliche Basis für diese Annahme sei fragwürdig, findet Fischer. "Für Säuglinge spielt das braunen Fettgewebe im Schutz vor Kälte eine große Rolle. Wir wissen allerdings, dass erwachsene Menschen insgesamt nur sehr wenig braunes Fettgewebe haben, etwa 20 Gramm. Selbst wenn die Fettverbrennung auf Hochtouren läuft, bei dieser geringen Menge können damit nicht wahnsinnig viele Kalorien verbrannt werden. In Summe ist das also immer noch relativ irrelevant", erklärt er.

Wenn das braune Fettgewebe hier wirklich eine relevante Rolle spielen würde, dann hätte man diesen Zusammenhang längst nachweisen können, glaubt er. "Dass diese Thematik in allen bisherigen Studien noch immer auf einer hypothetischen Ebene bleibt, deutet für mich aus wissenschaftlicher Sicht eher darauf hin, dass es keinen relevanten Zusammenhang gibt."

Individuelle Kaltschmerzschwelle

Für grundsätzlich gesunde, fitte Menschen kann Eisbaden dennoch zahlreiche positive Auswirkungen haben. Nicht alle, von denen man hört, sind tatsächlich wissenschaftlich bewiesen, aber durchaus einige davon. In einem wissenschaftlichen Review haben 2020 Forschende mehr als 400 Studien zum Thema analysiert, viele davon bestätigen die positiven Effekte.

Und sollte das Thema Eisbaden für Sie eine absolute Horrorvorstellung sein: Das muss nicht zwingend daran liegen, dass Sie sich nicht überwinden können oder weniger Willenskraft als andere haben. "Die sogenannte Kaltschmerzschwelle ist extrem variabel", sagt Fischer. Das ist jene Temperaturschwelle, ab der man kaltes Wasser nicht mehr nur als unangenehm, sondern tatsächlich als schmerzhaft empfindet. "Bei manchen liegt diese Schwelle bei 15 Grad, bei anderen bei null Grad. Das kann von Mensch zu Mensch sehr unterschiedlich sein." (Magdalena Pötsch, 11.1.2024)