Dass Politik und Journalismus gegensätzliche Rollen spielen, aber dennoch aufeinander angewiesen sind, zeigt der merkwürdige Fall des schweizerischen Außenministers, Ignazio Cassis, der bei einer Wahlversammlung der Tessiner liberalen FDP erklärte, er lese "keine Zeitungen mehr. Sie bringen ihm nichts und tun ihm nicht gut" (Neue Zürcher Zeitung, 14. 9. 2023). Später ruderte er zurück, als er merkte, wie schlecht seine Aussage in den Medien ankam.

Trautl Brandstaller
Verstarb am Neujahrstag: die Wiener Journalistin und Autorin Trautl Brandstaller.
APA/ORF/MILENKO BADZIC

Noch schärfer formulierte seine Verachtung für die kritischen Medien bekanntlich der oberösterreichische Landeshauptmannstellvertreter Manfred Haimbuchner bei einer FPÖ-Veranstaltung mit seinem Parteichef Herbert Kickl: "Unter einem freiheitlichen Kanzler Kickl werden einige wieder das Benehmen lernen. Vom Journalisten bis zum Islamisten."

Es handelt sich freilich um keine Einzelfälle. Unabhängige Journalisten sind unbequem. Sie kommentieren, berichten, porträtieren und recherchieren. Je begabter und mutiger sie sind, umso aggressiver reagieren die Betroffenen. Im Falle einer selbstbewusst agierenden, hochbegabten Publizistin und Vorkämpferin der Gleichberechtigung von Frauen waren die Reaktionen besonders hemmungslos. Kein Wunder, dass die am Neujahrstag 84-jährig verstorbene Trautl Brandstaller – für ihre Aufsätze, Bücher und ORF-Programme nicht nur von Berufskollegen, Lesern und Zuschauern hochgeschätzt und preisgekrönt – von vielen zuerst als "provokante Linkskatholikin", später als "Linkssozialistin" angegriffen wurde.

In ihrem Buch über Die zugepflügte Furche beschrieb sie die vor Kardinal König noch vergebenen Bemühungen in dieser Wochenzeitung um die Trennung der Kirche vom politischen Katholizismus der Vergangenheit. Sie hat auch seinerzeit das heiße Eisen der Benachteiligung von Slowenen in Kärnten in einer ORF-Dokumentation Fremde in der Heimat angefasst. In der Ära Kreisky wurde sie zur (stets kritischen) Sozialdemokratin, die in den folgenden Jahren in brillant formulierten Artikeln und Essays, vor allem in der Europäischen Rundschau, die Entfremdung zwischen Parteiführung und Parteibasis, die Anfälligkeit der Funktionäre für Korruption und das Desinteresse an gesellschaftspolitischen Veränderungen ohne Rücksicht auf Personen kritisierte. Sie blieb aber bis zuletzt auch mit liberalen Bürgerlichen wie Erhard Busek in enger Verbindung. Brandstaller war auch eine frühe Warnerin vor den "schrecklichen Vereinfachungen" der extremen Rechten und der Gefahr der autoritären Regime.

Am Anfang eines schwierigen Jahres, (nicht nur) in Österreich, sollte man sich an die leider noch immer gültige Feststellung Friedrich Heers, des großen katholischen Denkers, zum "alten Übel" erinnern: "Wir haben zu wenig qualifizierte Gegnerschaft und zu viel unqualifizierte Feindschaft." Deshalb ist die Bedeutung des unabhängigen Journalismus, "des schönsten und schrecklichsten aller Berufe" (Klaus Harpprecht), besonders groß. Trautl Brandstaller war auch menschlich eine herausragende Vertreterin unseres Standes in einer Zeit, in der die stille Korrumpierung die Hauptgefahr ist, welche die politischen Journalisten, Chefredakteure und Verleger bedroht. (Paul Lendvai, 8.1.2024)