Wenn Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) das Amt von Kanzler Olaf Scholz (re.) übernähme, hätte die Mehrheit der Deutschen nichts dagegen.
Wenn Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD, links) das Amt von Kanzler Olaf Scholz übernähme, hätte die Mehrheit der Deutschen nichts dagegen.
REUTERS/ANNEGRET HILSE

Dass viele Deutsche nicht gut auf Kanzler Olaf Scholz (SPD) zu sprechen sind, weiß dieser. Derzeit kann er es von seinem Kanzleramt in Berlin auch gut sehen: Denn im Zentrum Berlins findet nach wie vor der Protest der Bauern statt. Die Aktionswoche soll noch bis Freitag dauern. Auf vielen Traktoren sind Transparente angebracht, die einen Rücktritt der Ampel aus SPD, Grünen und FDP fordern. Das sieht man weiter östlich gerne: In Moskau spottet der ehemalige russische Präsident Dimitri Medwedew, man werde die Proteste weiter mit "hämischem Interesse" verfolgen und schauen, ob die "Leberwurst" das durchhalte. Gemeint ist Scholz.

Als "Leberwurst" bezeichnet zu Hause, in Deutschland, die oppositionelle CDU/CSU Scholz zwar nicht. Aber dass er nicht mehr lange Kanzler bleiben möge, das wünscht sich die Union auch. Vor allem aus der CSU kommt die Forderung nach Neuwahlen. So einfach geht das jedoch nicht. Zuvor müsste Scholz im Bundestag die Vertrauensfrage stellen. Anzeichen dafür, dass er dies demnächst tun wird, gibt es nicht. Dennoch wird in Berlin munter spekuliert, wie lange die Ampel denn noch durchhält und wie es überhaupt weitergeht.

Stolperfalle Wirecard

Laut der italienischen Tageszeitung "La Repubblica": turbulent. Diese will erfahren haben, dass Scholz das Jahr 2024 nicht als Kanzler beenden wird. Der Grund führt ebenfalls nach Russland – zu einem Österreicher. Angeblich soll sich der frühere Vorstand des zusammengebrochenen Zahlungsdienstleisters Wirecard, Jan Marsalek, ja in Russland aufhalten und auch jahrelang für den russischen Geheimdienst spioniert haben.

Scholz war ja, als Marsalek noch für Wirecard arbeitete, unter der damaligen Kanzlerin Angela Merkel Finanzminister und auch für die Finanzaufsicht BaFin zuständig. Der BaFin fielen die jahrelangen Luftbuchungen in Milliardenhöhe nicht auf. "Ist Scholz erpressbar, weil Putin durch Marsalek über brisante Wirecard-Informationen verfügt?", fragt die "Westdeutsche Allgemeine Zeitung". Laut "La Repubblica" soll Scholz durch den beliebten Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) ausgewechselt werden.
Auch wenn dieses Szenario unwahrscheinlich ist – die Deutschen hätten nichts dagegen. 64 Prozent finden, dass Pistorius Scholz 2024 ablösen sollte. Das hat eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Insa für die "Bild" ergeben. Pistorius ist seit einem Jahr Verteidigungsminister und der beliebteste Politiker in Deutschland.

Die Popularitätswerte von Scholz hingegen sind im Keller. Im Deutschlandtrend der ARD geben nur noch 19 Prozent der Befragten an, mit der Arbeit des Kanzlers zufrieden zu sein. Das ist ein Prozentpunkt weniger als im Dezember und zugleich, laut dem WDR, ein historischer Negativrekord: Kein Kanzler habe seit Beginn der Erhebungen 1997 je einen so niedrigen Beliebtheitswert verbucht.

Union rüstet sich für Neuwahlen

Die nächste reguläre Bundestagswahl steht im Herbst 2025 an. Wahrscheinlicher als der Aufstieg Pistorius' gilt ein Duell zwischen Amtsinhaber Scholz und Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU). Offiziell ist die Frage der Kanzlerkandidatur in der Union noch offen. Doch der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) meinte unlängst in einem Interview mit der Funke-Mediengruppe, die K-Frage sei geklärt. Er sagte: "Friedrich Merz ist Vorsitzender der CDU und der Unionsfraktion im Bundestag – und wird von Markus Söder, Alexander Dobrindt und mir sehr unterstützt bei einer Kandidatur."

Die Union jedenfalls rüstet sich für Eventualitäten – auch für eine vorgezogene Bundestagswahl, die am Tag der EU-Wahl (9. Juni 2024) stattfinden könnte. Gefragt, ob seine Partei bis dahin überhaupt einen Wahlkampf organisieren könnte, antwortete CDU-Chef Friedrich Merz: "Das wäre anspruchsvoll." Aber die CDU-Zentrale werde so aufgestellt, dass sie die EU-Wahl und auch eine Bundestagswahl schaffen würde.

Im bayerischen Kloster Seeon hat die CSU-Landesgruppe im Bundestag bei ihrer traditionellen Klausur gerade ein Papier beschlossen, in dem "Ampel-Ideologie-Projekte" aufgelistet sind, die eine unionsgeführte Regierung wieder zurücknehmen würde. Dazu zählt das Gesetz von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), das besagt, dass neue Heizungen zu mindestens 65 Prozent mit erneuerbaren Energien betrieben werden müssen. Auch der Legalisierung von Cannabis würden CDU und CSU einen Riegel vorschieben. Und sie würden Atomkraftwerke in Deutschland wieder ans Netz bringen. (Birgit Baumann aus Berlin, 9.1.2024)