2019 entdeckte die US-Astrophysikerin Anna Kapińska auf Aufnahmen eines australischen Radioteleskops ein schier unmögliches Objekt: eine kreisförmige Zone des Himmels mit helleren Rändern und unwahrscheinlichen Ausmaßen, die nur in den Radiofrequenzen des Lichtspektrums auftauchte. Kapińska taufte ihren Fund Orc (Odd Radio Circle). Das Objekt glich einer Blase im All, einer Schockwelle, wie man sie in ähnlicher Form auch von Supernova-Explosionen kennt. Nur mussten hier ganz andere Kräfte im Spiel sein, keine vorstellbare Supernova könnte eine Blase mit dem dutzendfachen Durchmesser der Milchstraße hervorrufen.

Mittlerweile wurden mindesten vier dieser Orcs identifiziert sowie noch einmal so viele mögliche Kandidaten. Bei vielen fand man im Zentrum der Blasen eine Galaxie. Lag dort der Ursprung dieser Strukturen? Die Beobachtungen der Galaxien riefen Alison Coil und ihr Team auf den Plan. Die Astrophysikerin von der University of California, San Diego, beschäftigte sich bereits länger mit sogenannten Starburstgalaxien. Ihre Idee: Vielleicht waren zahllose Supernovae gemeinsam dazu in der Lage, was eine einzelne Supernova kaum zustande bringt.

Odd Radio Circle, Weltraum
Die Radiodaten des Radioteleskops Australian Square Kilometre Array Pathfinder, hier in sichtbares Licht übersetzt, zeigt Orc 1. Das Objekt könnte einen mehrere Millionen Lichtjahre großen Durchmesser haben.
Foto: Jayanne English / University of Manitoba

Schnelles Werden und Vergehen

Mit Starburstgalaxien bezeichnet man eigentlich eine Phase im Leben mancher Galaxien. In dieser Periode intensiver Sternentstehung werden riesige massereiche Sterne in rascher Folge geboren. Da Sternenriesen ihren Treibstoff sehr schnell verbrennen, endet ihr Leben ebenso schnell wieder in zahllosen Supernovae-Explosionen.

Damit eine Galaxie zur Starburstgalaxie wird, braucht es meist eine zweite Sterneninsel. "Sie entstehen, wenn zwei große Galaxien kollidieren", erklärte Coil. "Durch die Verschmelzung wird das gesamte Gas in eine sehr kleine Region gepresst, was zu einem regelrechten Ausbruch an Sternengeburten führt."

Hier könnte auch der Ursprung der Orcs liegen, spekuliert Coil im Fachjournal "Nature". Bisherige Beobachtungen deuten darauf hin, dass bei den Supernovae ausgestoßenes Gas von den galaktischen Winden erfasst und mit hoher Geschwindigkeit nach außen gedrückt wird. Das Gas prallt auf das umgebende, dünne intergalaktische Medium, was eine Schockfront zur Folge hat, die sich als Radiostrahlung bzw. als Orc manifestiert.

Beobachtet und simuliert

Um diese Erklärung zu untermauern, nahmen die Forschenden mit einem leistungsstarken optischen Teleskop des W.-M.-Keck-Observatoriums am Gipfel des hawaiischen Vulkans Mauna Kea einen Orc ins Visier. Tatsächlich spürte das Team in der Mitte des Odd Radio Circle 4 eine Galaxie auf, die Anzeichen früherer Starburstaktivitäten aufweist, eine große Zahl von Sternen, die gemeinsam entstanden sind.

Außerdem fand Coils eine hohe Konzentration von heißem, stark komprimiertem ionisiertem Gas in einer Entfernung von etwa 130.000 Lichtjahren von der Galaxie. Das ist zwar weniger als ein Zehntel des Orc-Durchmessers, stellt aber eine mögliche Quelle für die Elektronen dar, von denen man annimmt, dass sie die Radioemissionen erzeugen.

Zeitraffervideo der Ausbreitung eines Orcs im Verlauf von Jahrmilliarden.
Sam Moorfield/CSIRO

Ob eine Starburstgalaxie theoretisch überhaupt in der Lage wäre, eine solche Radio-Blase hervorzurufen, wollten die Astrophysiker anhand von Simulationen herausfinden. Die Resultate zeigten, dass ein galaktischer Wind mit einer Geschwindigkeit von etwa 450 Kilometern pro Sekunde etwa 200 Millionen Jahre benötigen würde, um den beobachteten Orc 4 zu reproduzieren. Das wäre durchaus im Rahmen einer aktiven Starburstepisode. Flaut diese ab, würde kälteres Gas wieder in die Galaxie zurückfallen, während das heiße Gas sich in der Blase weiter nach außen bewegt.

Seltenes Phänomen

Vieles, was Alison Coil und ihre Gruppe beobachtet und berechnet haben, spricht dafür, dass Orcs von besonders aktiven Starburstgalaxien hervorgerufen werden, auch wenn die Indizien vielleicht noch nicht als handfeste Beweise gelten können. "Damit so etwas funktioniert, braucht man einen sehr massereichen und schnellen Ausfluss", erklärte die Astrophysikerin. "Und das umgebende Gas außerhalb der Galaxie muss eine niedrige Dichte haben, da sonst die Schockwelle abgebremst wird."

Beides konnten die Forschenden beobachten: "Es hat sich herausgestellt, dass die Galaxien, die wir untersucht haben, diese hohen Masseausflussraten haben. Sie sind zwar selten, aber es gibt sie." Der möglichen Erklärung folgen einige neue Fragen auf den Fuß: Wie lange existiert ein Orc, ehe er zu sehr ausgedünnt ist, um noch wahrgenommen zu werden? Tritt er bei allen Starburstgalaxien auf, oder müssen noch andere Bedingungen stimmen? Coil und ihre Kolleginnen und Kollegen hoffen mithilfe weiterer Beobachtungen Antworten zu finden. (Thomas Bergmayr, 14.1.2024)