Hört man "Klimamigration", denkt man vielleicht an Millionen Menschen, die aus ihrer Heimat fliehen, weil es dort zu trocken wird oder klimabedingte Katastrophen überhandnehmen. Doch in Wahrheit ist die Situation deutlich komplizierter. So zeigte etwa eine Metaanalyse aus dem Jahr 2021, dass es Klimamigranten vorwiegend eher in nahe gelegene Städte ihrer Heimatländer zieht, statt ins weit entfernte Ausland.

Im Kontext von Dürre und Überschwemmungen wird Migration häufig auch als reine Flucht vor sich verschlechternden Lebensbedingungen aufgefasst. Für den Migrationsforscher Patrick Sakdapolrak von der Universität Wien greift das viel zu kurz. Migration müsse auch als mögliche Anpassungsstrategie an Umweltveränderungen "differenzierter als bisher" betrachtet werden – "sie ist kein Allheilmittel". In einer Studie im Fachjournal "Pnas" zeigte er die Dimensionen des Problems am Beispiel Thailands auf.

Somalia, Flut
Flutkatastrophen (wie hier in Somalia im vergangenen November), Dürren und Buschbrände könnten in Zukunft viele Menschen aus ihren Heimatländern vertreiben, so die Befürchtung. Die Realität dürfte freilich etwas komplizierter sein.
Foto: AFP/HASSAN ALI ELMI

"Klimaflucht" in den Medien

"Es gibt keinen monokausalen Zusammenhang zwischen Migration und Klimawandel. Migration wird von vielen Faktoren bestimmt, etwa dem finanziellen Status, dem Geschlecht oder Alter einer Person", sagte der Erstautor der Arbeit. Aber: "Migration wird im Kontext von Klimawandel, besonders in den Medien, vor allem als sogenannte Klimaflucht thematisiert."

Ein anderes Narrativ, das seit der Uno-Klimakonferenz 2010 in Cancún (COP 16) Fuß gefasst habe und immer mehr Anerkennung finde, drehe sich um Migration als Anpassung an Umweltveränderungen und zur Stärkung der Resilienz von Betroffenen – Migration also als Strategie, die es Individuen und Haushalten ermöglicht, ihr Wohlergehen abzusichern und bestenfalls auch zu steigern. "Migration ist eben weder eine Katastrophe, noch ist alles gut. Zudem darf beim Fokus auf Migration als Anpassung nicht vergessen werden, dass es vor allem unsere Nutzung fossiler Ressourcen im Globalen Norden ist, die für den Klimawandel verantwortlich ist und die Migration der Menschen vor allem im Globalen Süden bedingt", so der Forscher vom Institut für Geographie und Regionalforschung der Universität Wien.

Daten aus Thailand

Das Ziel der Studie war es, die Umstände und Auswirkungen von Migration und ihre räumlichen, sozialen und zeitlichen Aspekte im Kontext von Umwelt- und Klimawandel besser zu erfassen. Dafür sammelten die Forschenden Daten von 1.085 Haushalten in vier ländlichen Provinzen in Thailand, die die Situation von 1.625 Inlandsmigranten, die insbesondere die Metropolregion Bangkok als Ziel hatten, sowie 301 Migranten, die u. a. nach Deutschland oder Singapur ausgewandert waren, erfasste. Sie deckten damit verschiedene Migrationssysteme ab: Bangkok steht für Land-Stadt-Migration, Singapur gilt primär als Zielland für männliche arbeitssuchende Migranten aus Thailand, nach Deutschland dominiert der Zuzug von Frauen im Rahmen von "Heiratsmigration".

"Wir konnten etwa zeigen, dass Haushalte und ihre Mitglieder mitunter ganz bewusst herausfordernde Umstände wie schlechtere Arbeitsbedingungen in Kauf nehmen, um längerfristig gesehen die Situation zu verbessern", so Sakdapolrak. Arbeitsmigration erlaube auf der einen Seite im besten Fall Rücküberweisungen an Haushalte im ländlichen Gebiet und mehr Investitionskapital (z. B. für Innovationen in der Landwirtschaft), gleichzeitig lebten die Migranten eventuell unter rechtlich schlecht abgesicherten Bedingungen oder arbeiteten im informellen Sektor, wie es oft bei Inlandsmigration nach Bangkok vorkomme, so Sakdapolrak. Er plädiert dafür, Migration immer aus drei Perspektiven zu betrachten: erstens aus jener der Akteure, also der Migranten selbst, zweitens aus jener der Herkunftsländer bzw. -regionen sowie drittens der Zielländer bzw. -regionen.

Mehrfache Vernetzung

Es zeigte sich auch, wie wichtig die soziale Vernetzung und die räumliche Verteilung von Haushaltsmitgliedern oder Gemeinschaften für die Resilienz von Haushalten ist. Die Forschenden sprechen von "translokaler sozialer Resilienz": "Man muss sich die Migrantinnen und Migranten und ihre Herkunftshaushalte als soziale und funktionale Einheit vorstellen, die gemeinsam wirtschaftet, Entscheidungen trifft und füreinander einsteht. Es reicht also nicht aus, in einem Dorf im Nordosten von Thailand eine Studie durchzuführen. Man muss sich vielmehr die Einbettung von Migrantinnen und Migranten in ihren Zielgebieten ansehen und ganz besonders, wie Migranten in Verbindungen mit den Herkunftsgebieten und den Familien bleiben", meinte Sakdapolrak.

Die Wissenschafterinnen und Wissenschafter leiteten aus ihrer Untersuchung verschiedene Resilienz-Typen im Zuge der Migration ab. Ihr Ansatz legt einen stärkeren Fokus auf die Fähigkeit von sozialen Akteuren, Stress zu absorbieren, Risiken zu bewältigen oder sich ihnen anzupassen sowie Chancen für das eigene Wohlergehen zu nutzen.

Einkommen spielt eine wichtige Rolle

Zentral sei aber, so der Forscher, "dass Migration – unabhängig vom Klimawandel – in unserer globalisierten Welt ein bereits weitverbreitetes soziales Phänomen ist". In der Studie gaben mehr als die Hälfte der interviewten Inlandsmigranten an, vor allem wegen zu geringer Einnahmen zu migrieren. Gestiegene Kosten für Bildung, Gesundheit und allgemeine Ausgaben wurden eher als ausschlaggebend genannt als der Klimawandel.

In Bezug auf die in der Politik häufig hervorgehobene Nutzung von Entwicklungshilfe zur Fluchtursachenbekämpfung meinte der Forscher: "Je mehr sich Länder entwickeln, desto mehr nimmt auch die Migration in einer bestimmten Phase der Entwicklung und der gestiegenen Fähigkeit vor Ort, mit Umwelt- und Klimarisiken umzugehen, zu, weil das Bildungsniveau steigt und Ambitionen erwachsen, woanders sein Glück zu versuchen." Das zeigten wissenschaftliche Studien, "in der politischen Debatte wird dieser Umstand aber nahezu ignoriert".

Klaffende Gräben der Ungleichheit

Für den Migrationsforscher muss politische Entscheidungsfindung das Phänomen an sich und die Differenzierung bei Migration anerkennen. Zudem müsse der Globale Norden Migration als "verbundenes System" betrachten und wahrnehmen, "dass gute Arbeitsbedingungen hier auch positive Effekte auf Anpassung in den Herkunftsländern haben können, sodass sich Haushalte vor Ort gegen Umweltveränderungen wappnen können". Die finanziellen Rückflüsse von ausgewanderten Migranten an ihre Familien überstiegen in Summe jene der globalen Entwicklungshilfe "schon bei weitem".

Die Studie zeigte aber auch, dass Migration eher gesellschaftliche Ungleichheiten verstärkt, als dass sie sie beseitigt – denn die ärmsten Haushalte profitieren weit weniger von Migration als reichere. "Es braucht also schon auch Maßnahmen, welche die ländliche Bevölkerung in den Herkunftsländern stärken bzw. Barrieren für Migration abbauen, damit mehr Menschen von Migration profitieren können." (APA, red, 10.1.2024)