Eine AfD-Demo in Berlin im Oktober 2022.
Eine AfD-Demo in Berlin. Die Partei betont, dass das Geheimtreffen kein Parteitreffen gewesen sei.
IMAGO

Laut einem Bericht des deutschen Recherchezentrums "Correctiv" ist es im vergangenen November in einem Hotel nahe Potsdam zu einem geheimen Treffen von Rechtsextremen gekommen. Daran sollen auch hochrangige AfD-Vertreter, aber auch der Österreicher Martin Sellner teilgenommen haben, lange führende Figur der Identitären Bewegung in Österreich.

Eingeladen hatte zu der Zusammenkunft unter anderen der ehemalige Mitbesitzer der Bäckerei-Selbstbedienungs-Kette Backwerk, Hans Christian Limmer, heute einer der Eigner der Restaurant-Franchisemarke "Hans im Glück".

Eigenen Angaben zufolge hatte "Correctiv" einen Reporter undercover im Hotel, der das Treffen aus nächster Nähe beobachten konnte. Zudem konnte das Recherchezentrum mit mehreren Personen reden, die folgende Aussagen selbst mitgehört haben: Demnach hat Sellner als erster Redner ein Konzept der "Remigration" vorgestellt. Dies blieb laut Bericht den ganzen Abend über das zentrale Gesprächsthema.

"Musterstaat" in Nordafrika

Für Sellner gibt es drei Gruppen der Migration, die Deutschland verlassen sollen: Asylwerber, Ausländer mit Bleiberecht und "nicht assimilierte Staatsbürger", also auch deutsche Staatsbürger mit Migrationshintergrund. Sie könnten in ein Gebiet in Nordafrika abgeschoben werden, in einen "Musterstaat", der Platz für bis zu zwei Millionen Menschen bieten könnte. Auch jene, die sich für Geflüchtete in Deutschland einsetzen, könnten dorthin gebracht werden, so der Österreicher.

Die "nicht assimilierten Staatsbürger" sind für Sellner das "größte Problem". Wie man das umsetzen wolle, wird Sellner danach gefragt. Antwort: mit "maßgeschneiderten Gesetzen", um einen "hohen Anpassungsdruck" auf die Menschen auszuüben. Das Konzept, betont er, sei aber nicht auf die Schnelle umzusetzen, sondern es handle sich um ein "Jahrhundertprojekt".

Anwesend bei dem Treffen waren zahlreiche teils hochrangige Politiker der AfD. Die Bundestagsabgeordnete Gerrit Huy etwa soll bei dem Treffen gesagt haben, sie verfolge das vorgestellte Konzept schon länger und habe bei ihrem Parteieintritt auch ein "Remigrationskonzept mitgebracht". Roland Hartwig, einst parlamentarischer Geschäftsführer der AfD-Bundestagsfraktion und nun Dozent der vom Bundesvorstand aufgebauten Akademie Schwarz Rot Gold, erklärte laut Zeugenaussagen, Sellners Pläne in die Partei zu tragen.

Widerspruch zu AfD-Erklärung

Das ist insofern heikel für die AfD, weil die Identitäre Bewegung auf der aktuellen Unvereinbarkeitsliste der Partei steht. Wobei man dazusagen muss, dass sich Sellner Anfang 2023 offiziell aus der rechtsextremen Gruppierung zurückgezogen hat. Was aber noch brisant für die AfD ist: Sellners Vorschlag, auch deutsche Staatsbürger abzuschieben, steht im klaren Widerspruch zur offiziellen "Erklärung zum deutschen Staatsvolk und zur deutschen Identität" der AfD: "Als Rechtsstaatspartei bekennt sich die AfD vorbehaltslos zum deutschen Staatsvolk als der Summe aller Personen, die die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen."

Auf dieses Treffen angesprochen sagte Ulrich Siegmund, AfD-Fraktionsvorsitzender in Sachsen-Anhalt, zu "Correctiv", er sei als "Privatperson" und nicht als AfD-Abgeordneter dabei gewesen und wolle Menschen "nicht gesetzeswidrig ausweisen". Andere teilnehmende AfD-Politiker, der Bundesvorstand der Partei sowie Martin Sellner reagierten nicht auf Anfragen von "Correctiv".

AfD: War kein Parteitreffen

Am Mittwoch erklärte die AfD schließlich, dass es sich nicht um ein Parteitreffen gehandelt habe und sich nichts an den bekannten Positionen der Partei zur Einwanderungspolitik ändere.

Hartwig habe bei dem Treffen auf Einladung nur ein Social-Media-Projekt vorgestellt, teilte die AfD zudem mit. "Weder hat er dort politische Strategien erarbeitet, noch hat er Ideen eines Herrn Sellner zur Migrationspolitik, von dessen Erscheinen er im Vorfeld keine Kenntnis hatte, 'in die Partei getragen'", hieß es weiter.

Sellner kritisiert Bericht

Auf Telegram schrieb Sellner, es sei "besonders bizarr", dass bei der Recherche "gar nichts rausgekommen ist und aus einer Fliege ein Elefant gemacht wird". Er spreche schon länger über Remigration, außerdem könne von einem "geheimen Treffen" keine Rede sein. Auf Anfrage der Nachrichtenagentur Reuters erklärte Sellner dann, dass seine Äußerungen sinnentstellend gekürzt worden seien. Es sei nicht um einen "geheimen Masterplan" gegangen. Es sei ihm auch nicht nur um Abschiebungen gegangen, sondern um "Hilfe vor Ort, Leitkultur und Assimilationsdruck".

Verfassungsschutz beobachtet AfD "sehr genau"

Die AfD, die in Umfragen mittlerweile bei mehr als 20 Prozent Zustimmung liegt, ist vom deutschen Bundesamt für Verfassungsschutz als rechtsextremer Verdachtsfall eingestuft worden. Die Partei hat dagegen geklagt. Mit einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts in Münster dazu wird Ende Februar gerechnet. Einzelne Landesverbände sowie die Jugendorganisation der Partei werden von Verfassungsschutzbehörden als gesichert rechtsextrem bezeichnet.

"Im Rahmen der Verdachtsfall-Bearbeitung beobachtet das Bundesamt für Verfassungsschutz die weitere Entwicklung der AfD sehr genau", sagte eine Sprecherin des Innenministeriums. "Dabei werden auch mögliche Treffen mit Akteuren aus dem rechtsextremistischen Spektrum einbezogen."

Innenministerin: "Niemand sollte diese Gefahr unterschätzen"

Die deutsche Innenministerin Nancy Faeser (SPD) warnte mit Blick auf das Treffen im "Stern": "Niemand sollte diese Gefahr unterschätzen." Man sehe, wie notwendig es sei, "dass der Verfassungsschutz sehr genau beobachtet, welche Kontakte es im rechtsextremistischen Spektrum gibt, wie sich Verfassungsfeinde mit AfD-Vertretern vernetzen und welche menschenverachtenden Ideologien dort propagiert werden".

Marcel Emmerich, Obmann der Grünen im Innenausschuss des Bundestags, sagte: "Die AfD agiert als Wolf im Schafspelz eines rechtsextremen Netzwerkes mit faschistischer Vertreibungsideologie." Die Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Fraktion, Katja Mast, forderte einen "Aufstand der Anständigen" zum Erhalt der Demokratie.

CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann erklärte zu dem Treffen: "Wir beobachten das mit größter Sorge. Die AfD macht sich planvoll auf einen Weg, der eine große Gefahr für unser Land, unsere Freiheit, unseren Wohlstand wäre." Die Linke warnte: "Die AfD spielt eine zentrale Rolle bei rechten Bestrebungen, gewaltsam gegen Menschen und Institutionen vorzugehen." Dies sei eine ernste Bedrohung. (ksh, APA, 10.1.2024)