Wie ein Geisterbahnhof wirkt der Bahnhof München am ersten Streiktag.  Dieser Zustand soll noch bis zum Freitag andauern.
Wie ein Geisterbahnhof wirkt der Bahnhof München am ersten Streiktag. Dieser Zustand soll noch bis zum Freitag andauern.
IMAGO/Wolfgang Maria Weber

Es ist nicht so, dass gar nichts fährt. "Mein Zug nach München geht in 30 Minuten, ich hatte Glück", sagt ein älterer Herr am verwaisten Berliner Hauptbahnhof. Und auch auf der großen Anzeigetafel sind die Abfahrten der Züge aufgelistet – versehen mit dem Hinweis: "Es werden ausschließlich die tatsächlich verkehrenden Züge angezeigt." Es ist eben nur ein Notfahrplan, den die Deutsche Bahn erstellt hat. Im Fernverkehr fallen 80 Prozent der Züge aus.

Der Notfahrplan aber, sagt eine Bahnsprecherin, sei "stabil angelaufen". Brauchen wird ihn die Bahn bis zum Freitagabend, 18 Uhr. So lange wollen die Lokführer streiken. Bis zuletzt hatte die Deutsche Bahn versucht, den Streik gerichtlich zu unterbinden, doch sie scheiterte am Dienstagabend mit einem Eilantrag vor dem Landesarbeitsgericht Hessen. Und nun bewegt sich wieder einmal sehr wenig in Deutschland – für viele noch weniger als beim letzten Bahnstreik. Denn parallel läuft auch noch die Protestwoche der Bauern, die viele Straßen und Autobahnauf- und -abfahrten blockieren.

Video: Bahnstreik und Bauernprotest: Harte Geduldsprobe für Pendler in Deutschland.
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Gewerkschaftschef verpasst Zug

Allerdings waren die Deutschen vorgewarnt. Es war lange klar, dass die Gewerkschaft der Lokführer (GDL) nach dem 7. Jänner den Weihnachtsfrieden beenden würde. "Wir sehen, dass unsere Fahrgäste ihre Fahrt vorgezogen haben oder sie zu einem späteren Zeitpunkt nachholen", hieß es am Mittwoch bei der Bahn.

Eines der ersten "Opfer" des Bahnstreiks war übrigens GDL-Chef Klaus Weselsky. Er wollte am Dienstagabend nach der Gerichtsentscheidung noch per Zug von Hessen nach Berlin fahren, musste aber feststellen: "Der letzte Zug ist weg."

Der Streik nun, von Mittwoch bis Freitag, ist in dieser Tarifrunde eigentlich der erste "richtige" Streik. Begonnen hat diese am 9. November, nachdem der Tarifvertrag mit der GDL am 31. Oktober 2023 ausgelaufen ist. Im November und im Dezember hielten die Lokführer zwei eintägige Warnstreiks ab. Kurz vor Weihnachten stimmten dann 97 Prozent der Mitglieder für tatsächliche Streiks.

In zwei Verhandlungsrunden sind sich die Kontrahenten nicht näher gekommen. Die Bahn bietet elf Prozent mehr Lohn bei einer Laufzeit von 32 Monaten, die GDL fordert 555 Euro monatlich mehr (für ein Jahr) und eine Inflationsprämie von 3.000 Euro. Laut der Deutschen Bahn verdient ein Lokführer im Jahr zwischen 45.000 Euro und 56.000 Euro brutto, das Einstiegsgehalt liegt – ohne Zulagen – bei 3.180 Euro brutto.

Noch erbitterter ringen Bahn und Lokführer um die Arbeitszeit. Die GDL will die Verringerung der Wochenarbeitszeit für Schichtarbeiter von 38 auf 35 Stunden bei vollem Lohn. Die Bahn verweist auf den Fachkräftemangel und betont, dass sie sich das nicht leisten könne. Aber sie stellt nun die Erweiterung bestehender Arbeitszeitwahlmodelle in Aussicht. Dabei können sich Beschäftigte für weniger Wochenarbeitsstunden entscheiden, müssen dafür aber finanzielle Einbußen in Kauf nehmen.

Nächster Streik schon im Blick

Das akzeptiert die GDL nicht. Weselsky erklärte am Mittwoch im ZDF-"Morgenmagazin" aber: "Wir sind bereit, die Wochenarbeitszeit schrittweise abzusenken, damit Ausbildung möglich ist." Er machte auch klar, was passieren wird, wenn die Bahn kein neues Angebot vorlegen würde: "Wenn nichts kommt bis Freitag, machen wir eine Pause und gehen in den nächsten Arbeitskampf."

Bei der Bahn hat man allerdings den Verdacht, dass die GDL neuerdings überhaupt keine Tarifverträge mehr abschließen und auch nicht streiken darf. Denn die GDL hat die Genossenschaft Fair Train gegründet, die als Leiharbeitsfirma fungieren will. Der Plan: Lokführer sollen bei der Deutschen Bahn kündigen und sich bei der Genossenschaft anstellen lassen, wo mehr Lohn winkt. Und dann wird das Personal teurer an die Bahn verliehen.

Diese, meint die GDL, könne nicht zugleich Gewerkschaft und Arbeitgeber sein und hat beim Landesarbeitsgericht Hessen zur Klärung des Sachverhalts eine Feststellungsklage eingereicht.

Der aktuelle Bahnstreik in Deutschland hat auch Auswirkungen auf Österreich. Die ÖBB teilte mit, dass ÖBB-Züge über das Deutsche Eck zwischen Salzburg und Kufstein "voraussichtlich planmäßig" fahren. Hingegen seien Fernverbindungen betroffen, diese enden an der österreichischen Grenze oder fallen ganz aus, da die Lokführer an der Grenze getauscht werden. Das betrifft nicht Züge der Westbahn, hier gibt es keine Einschränkungen. Wie die Deutsche Bahn gibt auch die ÖBB die Empfehlung, nicht notwendige Fahrten zu verschieben. (Birgit Baumann aus Berlin, 10.1.2024)