Proteste für den Journalisten Zied El Heni und gegen die tunesische Regierung in Tunis.
Proteste für den Journalisten Zied El Heni und gegen die tunesische Regierung in Tunis.
AFP/FETHI BELAID

Er lade alle Kollegen und tunesischen Mitbürger ein, ein Totengebet für die Gerechtigkeit zu sprechen, kommentierte Zied Dabbar, Vorsitzender des tunesischen Journalistenverbands SNJT, am Neujahrstag. Da hatte der Untersuchungsrichter von Tunis gerade Untersuchungshaft für den bekannten Journalisten Zied El Heni angeordnet. Die Situation der Presse in Tunesien sei in diesen Tagen so schlimm wie noch nie, die Meinungsfreiheit akut bedroht, so die Gewerkschaft.

"Eigentlich gedenken wir im Jänner immer der Revolution, die uns die Meinungsfreiheit gebracht hat, doch die Situation ist heute traurig und skandalös", so Fida Hammami von Amnesty International bei einer Kundgebung zur Unterstützung des Journalisten, dessen Prozess in Tunis am Mittwoch eröffnet wurde. Mittlerweile wurde er zu sechs Monaten auf Bewährung verurteilt, weil er die Handelsministerin in einer Radiosendung Ende Dezember als "kazi" bezeichnet hatte – ein Lehnwort aus dem Italienischen, mit dem jemand in der tunesischen Umgangssprache als unfähig und nicht ernstzunehmend bezeichnet wird.

Noch am selben Tag im Dezember war El Heni auf Basis eines Dekrets zur Bekämpfung von Fake News festgenommen wurde. Angeklagt wurde er dann jedoch wegen eines Verstoßes gegen das Telekommunikationsgesetz. Er habe "Telekommunikationsnetzwerke genutzt, um Dritte zu beleidigen", so der Vorwurf der Staatsanwaltschaft.

Immer wieder zensiert

Zied El Heni hatte bereits unter der Diktatur von Langzeitmachthaber Zine El Abidine Ben Ali mehrfach Probleme mit den Behörden. Ein von ihm betriebener Blog wurde Ende der 2000er-Jahre regelmäßig zensiert. Auch nach der Revolution von 2011 wurde der Journalist und politischer Kommentator mehrfach strafverfolgt. In einem anderen – noch laufenden – Verfahren aus dem vergangenen Jahr wird ihm vorgeworfen, Präsident Kais Saied beleidigt zu haben.

Ihr Vater werde von den Behörden regelrecht belästigt, sagt El Henis Tochter Ithar. "Morgens ist er auf dem Sender, abends wird er vorgeladen, und das quasi jeden Monat." Aber er werde sich nicht einschüchtern lassen, ist die junge Frau überzeugt. "Er hat zur Zeit Ben Alis nicht geschwiegen, und er wird es auch jetzt nicht tun."

Tunesien ist in der Rangliste der Pressefreiheit, die die Organisation Reporter ohne Grenzen jährlich veröffentlicht, zuletzt massiv abgerutscht. Seit Präsident Kais Saied im Sommer 2021 die Macht an sich gerissen hat und autoritär regiert, sank das Ranking des Mittelmeerstaats von Platz 73 auf Platz 121 von insgesamt 180. Mehr als vierzig Verfahren, die das Recht auf freie Meinungsäußerung verletzten, hat Amnesty International in Tunesien im vergangenen Jahr verzeichnet. Neben El Heni befinden sich zurzeit noch zwei weitere Medienschaffende in Haft.

Korrespondent festgenommen

Allen gemein sei, dass in ihren Verfahren nicht Presserecht, sondern Straf- oder sogar Antiterrorgesetze zum Einsatz kamen. Diese stammen zum Teil noch aus der Zeit vor der Revolution und vor der Existenz sozialer Medien und "sind so vage gehalten, dass sie leicht missbraucht werden können", so Fida Hammami. Vergangene Woche war ein Korrespondent von Al Jazeera von der tunesischen Antiterrorbrigade vorläufig festgenommen, seine Wohnung durchsucht und Mobiltelefone und Computer konfisziert worden, ohne dass die Behörden sich zu den Hintergründen der Festnahme äußerten.

Der Druck erhöht sich in Tunesien nicht nur auf Medienschaffende, sondern auf alle unabhängigen Institutionen. Derzeit diskutiert ein Parlamentsausschuss einen Gesetzesentwurf, der die Rechte von NGOs massiv einschränken und es dem Außenministerium unter anderem erlauben würde, die Arbeit internationaler Organisationen ohne vorheriges Gerichtsurteil zu verbieten. “Öffentliche Instanzen, Gemeinden, Organisationen der Zivilgesellschaft und Gewerkschaften werden heute angegriffen“, so Amine Ghali von der Nichtregierungsorganisation Kawakibi, dem Zentrum für demokratische Transition. "Der nächste Schritt wird ein direkter Angriff auf die Bürger sein, auf ihre bürgerlichen, politischen und individuellen Freiheiten." (Sarah Mersch aus Tunis, 11.1.2024)