Hunderte von Boeing-Maschinen des Typs 737 Max 9 blieben auch am Freitag am Boden, nachdem auf einem Flug von Alaska Airlines ein mannhohes Seitenteil aus dem Rumpf gebrochen war. Die amerikanische Luftfahrtbehörde FAA kündigte gleichentags eine formelle Untersuchung an. Einzelne Länder wie Panama untersagten den Start der 737 Max vollumfänglich. Wie Aviatikexperten vermeldeten, achten weltweit immer mehr Reisende beim Reservieren ihres Fluges darauf, mit welcher Maschine sie fliegen. Natürlich, um das Unglücksmodell "Max" zu vermeiden.

Der zeitliche Zufall wollte es, dass der europäische Widersacher Airbus am Donnerstagabend am Geschäftssitz in Toulouse seine Produktionszahlen veröffentlichte. Das deutsch-französisch-spanische Unternehmen stellt dabei einen neuen Auftragsrekord von 2094 Maschinen (Optionen ausgenommen) auf. Der französische Airbus-Chef Guillaume Faury sprach von einem "Meilenstein". Im Vorjahr hatte er noch 820 Aufträge eingefahren.

Mitarbeiter und Besucher bestaunen einen Airbus 230neu während eines Auslieferungsevents in Toulouse. 
Airbus hat in Sachen Aufträge bereits zum fünften Mal in Folge die Nase vorn.
AFP/ED JONES

Einzelne Airlines bestellten im abgelaufenen Jahr namentlich die Erfolgsmodelle der A320-Familie im Dutzend: Turkish Airlines orderte zum Beispiel 220 Airbus-Flugzeuge, Easyjet deren 157. Sogar kleine Carriers wie Niugini aus Papua-Neuguinea bestellten sechs A220. Das Auftragsbuch von Airbus ist nun mit 8600 Maschinen prall gefüllt.

Ein direkter Bezug der europäischen Rekordbestellungen zur neusten Boeing-Panne besteht nicht. Eher schon mit den zwei früheren Abstürzen von 737 Max-Maschinen in Äthiopien und Indonesien, die 2018 und 2019 insgesamt 346 Todesopfer forderten. Diese Tragödien lasten bis heute schwer auf der Reputation des früheren Marktleaders Boeing. Airbus registriert zum fünften Mal in Folge mehr Aufträge als der US-Rivale, der 2023 auf 1314 Nettobestellungen kam.

Kein Grund zum Triumphieren

Und doch haben die Europäer keinen Grund zum Triumphieren. Vor allem im boomenden China-Markt haben die Amerikaner weiter die Nase vorn. Der Boeing-Konzern kann sich zudem zu 35 Prozent auf sichere und sehr lukrative Rüstungsaufträge des US-Verteidigungsministeriums stützen – weshalb er auch seinen Geschäftssitz von Seattle und Chicago nach Washington verlegt hat: in die Nähe des Pentagons.

Airbus (20 Prozent Rüstungsanteil) kämpft zudem mit seinem eigenen Erfolg. Der auf zahlreiche europäische Standorte verteilte, heute private Konzern kommt mit den Auslieferungen nicht mehr nach. Nichtprioritäre Fluggesellschaften müssen deshalb bis zu sieben Jahre – vor Covid waren es fünf gewesen – auf ihre neuen Modelle warten.

Kampf um die Kunden

Airbus steigerte zwar die Rollouts 2023 um elf Prozent auf 735 Maschinen (Boeing 528), mehr als zwei am Tag. Das genügt aber nicht. Faury versucht verzweifelt, die Kadenzen zu steigern, um keine Kunden an Boeing zu verlieren. Doch die Probleme liegen außerhalb des Unternehmens: Roh- und Kompositbaustoffe sind rar, an Fachkräften mangelt es branchenweit. Und viele Zulieferer, die in der Covid-Zeit Personal entlassen hatten, rappeln sich erst langsam wieder auf. Der Motorenbauer Safran forderte Airbus öffentlich auf, "realistisch zu bleiben" und weniger Druck auf die Zulieferer auszuüben.

Christian Scherer, Chef der zivilen Airbus-Sparte, freut sich, dass die Airlines auch den Langstreckenjet A350 wieder kaufen. Das zeige: "Die Nachfrage nach Reisen ist wieder da." Das bedeute aber nicht, dass die Schadstoffemissionen im gleichen Umfang zunähmen. Airbus habe schon 735 "treibstoffeffiziente" Flugzeuge im Einsatz. Das ist allerdings nur ein Bruchteil der rund 23.000 Großraumflugzeuge, die heute unterwegs sind. Laut Airbus soll sich ihre Zahl bis 2042 gar auf 46.560 verdoppeln. Unter dem Strich wird die zivile Luftfahrt deshalb mehr, nicht weniger CO2 ausstoßen. (Stefan Brändle aus Paris, 12.1.2024)