Ihr Sieg bei der Kampfabstimmung um die Nachfolge des damaligen Parteichefs Enrico Letta Ende Februar 2023 hatte bei vielen Mitgliedern des italienischen Partito Democratico (PD) eine regelrechte Euphorie ausgelöst: Die heute 38-jährige Elly Schlein stand für frischen Wind und einen klaren Schwenk nach links in der von Krisen gebeutelten sozialdemokratischen Partei. Sie forderte den ökologischen Umbau, Gleichstellung, Mindestlohn, Vermögenssteuer und Solidarität mit Migranten; außerdem ist sie offen bisexuell und lebt in einer offenen Beziehung mit einer Frau. Die perfekte "Anti-Meloni", wie es vor allem jungen und urbanen PD-Mitgliedern und -Sympathisanten erschien. Und es versprach ein interessantes Duell zu werden: die erste Frau an der Spitze der größten Oppositionspartei gegen die erste Frau an der Spitze der italienischen Regierung. Frau gegen Frau, weit links gegen weit rechts.

Doch bereits der Start ging schief. Als erstem Medium gewährte Elly Schlein der italienischen Ausgabe der "Vogue" wenige Wochen nach ihrer Wahl ein Interview. Darin gab sie viel Persönliches preis – unter anderem dass sie bei der Zusammensetzung ihres Outfits auf die Dienste einer Farbberaterin zurückgreife, die 300 Euro pro Stunde verrechne. "Vogue" und die teure "armocromista" (italienisch für Farbberaterin): Das war etwas zu viel des Glamours in der einstigen Arbeiterpartei. Die Häme bei den Machos in Giorgia Melonis Rechtskoalition war groß, und noch viel größer war sie bei den Machos in der eigenen Partei, in der viele die Wahl einer Frau noch nicht verdaut hatten.

Keine Zugewinne

Politisch punktet Schlein zwar mit harten und präzisen Angriffen gegen Melonis Migrationspolitik, gegen den von der Rechtsregierung betriebenen Sozialabbau, gegen die offenen und verdeckten Steueramnestien und nicht zuletzt auch gegen Melonis Verrenkungen, wenn es um die postfaschistischen Wurzeln ihrer Partei geht. Doch die Angriffe prallen an der Regierungschefin ab. Meloni hat, nicht zuletzt dank ihrer Schlagfertigkeit und ihres Selbstbewusstseins, das Kunststück fertiggebracht, das positive Momentum ihres Wahlsiegs vom Herbst 2022 zu bewahren. Das zeigt sich auch in den Umfragen: Während der PD unter Schlein bei den 19 Prozent stagniert, die die Partei bei der Parlamentswahl erzielt hatte (es war ein Negativrekord), haben Melonis Fratelli d'Italia seit dem Wahlsieg von 26 auf 29 Prozent zugelegt.

Elly Schlein ist an der Spitze der italienischen Sozialdemokraten nur noch manchmal zum Jubeln zumute.
EPA/MASSIMO PERCOSSI

Schleins Hauptproblem ist aber nicht Giorgia Meloni, die derzeit unangreifbar erscheint, sondern der Mann, der eigentlich ihr wichtigster Verbündeter sein müsste: Ex-Premier Giuseppe Conte, heute Chef der populistischen Fünf-Sterne-Protestbewegung, der zweitgrößten Oppositionskraft. Für Conte scheint nicht Meloni die wichtigste politische Gegnerin zu sein, sondern Schlein. Sein offensichtliches Ziel besteht darin, den PD in den Umfragen wieder zu überholen und mit den Fünf Sternen stärkste Oppositionspartei zu werden.

Außenpolitische Tiefpunkte

Bei zentralen politischen Fragen, bei denen die Opposition geschlossen auftreten müsste, um Meloni ernsthaft in Schwierigkeiten zu bringen, kocht Conte immer wieder sein eigenes Süppchen. Doch statt selbstbewusst die eigene Linie zu verfolgen, ordnet sich Schlein den Protestpopulisten Contes unter. Das hat letzte Woche im Parlament dazu geführt, dass der PD dem neuem Hilfspaket der Regierung für die Ukraine die Unterstützung versagte, obwohl die Partei seit Beginn der russischen Invasion bisher immer an der Seite der Ukrainer gestanden war. Auch für viele PD-Abgeordnete war das Einschwenken der Parteichefin auf Contes pazifistische und prorussische Linie ein Tiefpunkt.

Die Europawahl im Juni könnten für Schlein zum Scheideweg werden: Sollte der PD weiter an Stimmen einbüßen und eventuell sogar von den Fünf Sternen (die in den Umfragen derzeit bei 17 Prozent liegen) überholt werden, könnte sie das leicht ihr Amt kosten. Nicht zur Beruhigung Schleins hat beigetragen, dass ihr Parteifreund Paolo Gentiloni, heute EU-Wirtschaftskommissar, unlängst angekündigt hat, nach der Europawahl nach Italien zurückzukehren. Gentiloni war von 2016 bis 2018 Regierungschef und genießt bei der PD-Basis ein hohes Ansehen. Er sagte, er habe nicht im Sinn, nach seiner Rückkehr in die Heimat "den Pensionisten zu spielen". In den Ohren von Elly Schlein tönt das schon fast wie eine Kampfansage. (Dominik Straub aus Rom, 15.1.2024)