Die Pizzeria Le Vignole ist ein kleines Lokal im Ort Sant'Angelo Lodigiano in der Nähe von Mailand – preisgünstig und vor allem von Einheimischen besucht. Die Inhaberin der Pizzeria, Giovanna P., entdeckte vergangenen Donnerstag bei den Google-Rezensionen für ihr Lokal einen homophoben und behindertenfeindlichen Eintrag eines anonymen Gastes: "Sie haben mich an den Nebentisch eines Schwulen und eines Behinderten im Rollstuhl gesetzt, der nur mit Mühe essen konnte. Das gefiel mir nicht, ich fühlte mich nicht wohl. Schade, denn die Pizza war exzellent und das Personal großartig, aber ich werde da nicht mehr hingehen", hieß es in der Rezension.

Polizeiauto
Die Polizei ermittelt im Fall der Pizzeria-Betreiberin Giovanna P.
EPA

Giovanna P. kopierte den Text und postete ihn auf ihre Facebook-Seite, mit folgendem Kommentar: "Sehr geehrter Kunde, ihre Worte der Geringschätzung gegenüber Gästen, die Sie nicht belästigt haben, ist billig, gemein und sehr unerfreulich. (…) Ich habe den Eindruck, dass unser Lokal nichts für Sie ist. Wir brauchen mehr Menschlichkeit auf dieser Welt." Der Eintrag ging nach wenigen Stunden viral: Abertausende Facebook-Userinnen und -User aus ganz Italien dankten der Wirtin am Freitag für ihren beherzten Eintrag. Die Mailänder Zeitung "Corriere della Sera" griff die Geschichte in ihrer Online-Ausgabe auf, und aus Rom kam sogar ministerielles Lob: "Ein Dankeschön an Giovanna und ihren Gatten Nello, die prompt auf die Diskriminierung reagiert haben", schrieb Alessandra Locatelli, Giorgia Melonis Ministerin für Behinderte.

Plötzliche Anschuldigungen

Die Lobgesänge auf Giovanna P. auf Social Media sollten nicht lange anhalten. Schon am Morgen danach, am Samstag, meldete der Food-Blogger Lorenzo Biagiarelli Zweifel an der Authentizität des Gäste-Rezension an: Er unterstellte der Wirtin, das Posting selber geschrieben zu haben, um danach mit ihrer Antwort Werbung in eigener Sache zu machen. Biagiarellis Lebenspartnerin, die Journalistin Selvaggia Lucarelli, doppelte in der Zeitung "Il Fatto Quotidiano" und auf dem nationalen TV-Sender Rai 3 nach.

Lucarelli ist Spezialistin für unlautere Werbung und hat kürzlich auch Chiara Ferragni auffliegen lassen, mit 36 Millionen Followern Italiens bekannteste Influencerin. Die Investigativjournalistin hatte Ferragni nachweisen können, mit einem Weihnachtskuchen Wohltätigkeit im Millionenhöhe in eigener Sache betrieben zu haben. Die Justiz ermittelt wegen schweren Betrugs.

Giovanna P. bestritt vehement, den diskriminierenden Gäste-Eintrag selber geschrieben zu haben – aber da hatte sich der Wind im Netz längst gedreht. Die Pizzeria-Betreiberin, die 24 Stunden zuvor noch wie eine Nationalheldin behandelt wurde, wurde im Lauf des Samstags Opfer eines massiven Shitstorms: In tausenden Einträgen und Kommentaren wurde sie als Betrügerin und Schurkin beschimpft, die auf dem Buckel von Homosexuellen und Behinderten Reklame für sich und ihr Lokal mache. "Das sind verwerfliche Leute, die es verdienen würden, in Konkurs zu gehen", hieß es unter anderem. Die ganze Geschichte war riesig geworden: Die TV-Nachrichtensendungen berichteten darüber, Zeitungen setzten die Meldung auf ihre Frontseiten.

Polizei ermittelt

Am Sonntag blieb die Pizzeria Le Vignole in Sant'Angelo Lodigiano geschlossen: In den frühen Morgenstunden war die Leiche von Giovanna P. aufgefunden worden. Sie seien am Samstagabend noch zusammengesessen und hätten über das Vorgefallene geredet, erklärte Giovannas Ehemann Nello dem "Corriere della Sera". Er habe ihr gesagt, sie solle sich die Sache nicht so sehr zu Herzen nehmen – das gehe schnell wieder vorbei. Anschließend sei seine Frau noch zu einem Spaziergang aufgebrochen – wie sie dies oft mache, um danach besser schlafen zu können. Anzeichen für einen bevorstehenden Suizid habe er keine erkennen können.

Ob der Gäste-Eintrag, der am Anfang des Dramas stand, wirklich ein Fake war, ist nun Gegenstand von polizeilichen Untersuchungen. Gleichzeitig ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen unbekannt wegen Anstiftung zum Suizid. (Dominik Straub, 16.1.2024)