Premier Sunak steht unter Druck – sowohl aus den eigenen Reihen als auch von der Opposition.
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Im Streit um die härteste Einwanderungspolitik haben konservative Rebellen erneut ihren Premierminister im Visier. Rishi Sunak musste am Mittwoch um ein Eilgesetz bangen, mit dem die britische Regierung die geplante Abschiebung von Asylbewerbern ins zentralafrikanische Ruanda durchsetzen will. Den Hardlinern vom rechten Flügel geht das hochumstrittene Gesetzeswerk nicht weit genug. Labour-Oppositionsführer Keir Starmer sprach im Unterhaus von einer "Farce".

Sunak hat den Plan vom gescheiterten Vorgänger Boris Johnson geerbt. Dessen Innenministerin Priti Patel reagierte damit auf Zehntausende von Flüchtlingen, die seit einigen Jahren in Schlauchbooten über den Ärmelkanal setzen und dabei Leib und Leben riskieren. Solche "illegale" Ankömmlinge sollten ursprünglich ohne jede Anhörung umgehend in ein Flugzeug gesetzt und ohne Rückkehrmöglichkeit nach Ruanda abgeschoben werden. Dort soll es ein Asylverfahren mit anschließender Ansiedlung vor Ort geben oder die Rückkehr ins Herkunftsland.

Zur Verwirklichung dieses Plans hat London dem Regime von Präsident Paul Kagame bisher mindestens umgerechnet rund 338 Millionen Euro zugesagt. In Kigali angekommen ist keiner der Betroffenen: Im November deklarierte der Supreme Court das Vorhaben als gesetzeswidrig. Innenminister James Cleverly legte deshalb bereits einen Monat später dem Parlament ein "Notstandsgesetz" vor, dessen dritte Lesung für Mittwoch anberaumt war. Interessanterweise hatte der frühere Außenminister den Ruanda-Plan noch vor kurzem als "völlig bekloppt" ("batshit crazy") gekennzeichnet.

Gesetz auf wackeligen Beinen

Auch das neue Gesetz ruht, vorsichtig gesagt, auf wackeligem Fundament. Das Parlament würde Ruanda einseitig zu einem "sicheren Drittstaat" erklären und dadurch heimischen Gerichten die Hände binden. Den Betroffenen bliebe nur der Gang zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg – eine paradoxe Situation für eine Regierung, die doch stets auf die britische Souveränität pocht. Einem entscheidenden Einwand der Höchstrichter entsprechend enthält Cleverlys Gesetz zudem eine Klausel, wonach in nicht näher definierten "außergewöhnlichen Fällen" Ruanda die Asylbewerber doch nach Großbritannien zurückschicken könnte, womit der gewünschte Abschreckungseffekt wegfällt.

Im vergangenen Jahr trat deshalb Innen-Staatssekretär Robert Jenrick zurück, diese Woche folgten ihm ein nachgeordnetes Regierungsmitglied und zwei Parteifunktionäre. Gemeinsam stimmten am Dienstag 60 Torys dafür, auch dem EGMR jegliche Einspruchsmöglichkeit zu entziehen. Weil damit Großbritannien geltendes Völkerrecht brechen würde, wandte sich die Regierung dagegen und überstimmte die Hardliner mithilfe der Opposition.

Diffus bleibt, was die Rebellen eigentlich bezwecken, abgesehen von der begeisterten Aufmerksamkeit der britischen Medien. Zu den diversen Grüppchen in der Tory-Fraktion, die sich mit Mafia-Familien vergleichen, zählen eingefleischte Fans des gescheiterten Ex-Premiers Boris Johnson, hartnäckige Sunak-Skeptiker, altgediente Nationalisten sowie die Häuflein Enttäuschter und Übersehener, die sich stets am Ende von 14 Regierungsjahren ansammeln. Wenig sprach am Mittwoch aber dafür, dass sie bei der abends bevorstehenden dritten Lesung das Gesetz zu Fall bringen und damit eine neuerliche Regierungskrise auslösen würden.

Die Labour-Opposition will das Ruanda-Vorhaben verhindern, setzt stattdessen auf die rasche Erledigung der anhängigen Verfahren sowie die zügige Abschiebung abgelehnter Bewerber. Einer Analyse der "Financial Times" zufolge ist die Besorgnis der Bevölkerung über die starke Zuwanderung seit der Brexit-Entscheidung deutlich gesunken, Themen wie die massiv gestiegenen Lebenshaltungskosten sowie der Zustand des Gesundheitswesens NHS beschäftigen die Briten viel mehr. Bis auf eine Gruppe: Erklärte Anhänger der zuletzt weit nach rechts gerutschten Konservativen empfinden die Immigration zu mehr als 40 Prozent als "sehr wichtiges Problem". Unter Labour-Wählern liegt dieser Anteil bei rund 15 Prozent. (Sebastian Borger aus London, 17.1.2024)