"Na ja, wie soll es mir gehen? Ich habe Demenz!" Hilde blickt mich mit dem ihr eigenen, herausfordernden Blick an. Sie spricht offen über ihre Demenzerkrankung und fordert ihr Gegenüber damit oftmals heraus. "Schön, dass Du heute hier bist. Ich muss Dir etwas zeigen" antworte ich ihr und schiebe ihr die neuen Handlungsempfehlungen der Gesundheit Österreich GmbH (GÖG) über den Tisch entgegen. Hilde ist als Mitwirkende am Titelblatt genannt. Sie schaut mich stolz an und sagt: "Na bitte, also hat das alles etwas gebracht."

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Teilhabe zu ermöglich, auch wenn man an Demenz erkrankt ist, ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe – dazu benötigt es auch entsprechende staatliche Unterstützung.
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"Das alles" beschreibt die regelmäßigen "Arbeitsgruppen der Selbstvertretungen" und der Gesundheit Österreich GmbH (GÖG). Menschen mit Demenz, sowie deren Unterstützer:innen (in Hildes Fall bin ich das) treffen einander, um neue Orientierungshilfen für den Umgang mit Demenz und Vergesslichkeit in der Gesellschaft zu entwickeln oder bereits bestehende Handlungsleitfäden zu evaluieren. "Die Arbeitsgruppe der Selbstvertreter:innen ist unerlässlich, wenn wir den Umgang mit Demenz in unserer Gesellschaft verändern wollen", so Brigitte Jurasovich, die an der GÖG die Umsetzung der Österreichischen Demenzstrategie begleitet. Gemeinsam mit ihren Kolleg:innen leitet sie die Arbeitsgruppentreffen mit den Selbstvertreter:innen. "Um das Tabu, mit dem Demenz nach wie vor behaftet ist, aufzulösen, müssen Menschen mit Demenz an unserer Forschung und Entwicklungsschritten teilhaben und aktiv mitgestalten. Nur so ist es möglich, einen subjekt- und lebensweltorientierten Zugang und Umgang mit Demenz und Vergesslichkeit zu erreichen", ergänzt Jurasovich.

Demenzfreundliche Städte und Gemeinden 

"Und jetzt stoßen wir auf unser Geburtstagskind an. Happy Birthday, demenzfreundlicher dritter Bezirk!", ruft Christina Hallwirth-Spörk in die Runde und die mehr als 40 anwesenden "Geburtstagsgäste" stimmen im Sitzungssaal des Bezirksamts Landtstraße "Happy Birthday" an. Der demenzfreundliche Dritte Bezirk war der erste demenzfreundliche Bezirk Wiens und wegweisend für alle Bezirke, die folgten. Aber auch Krankenhäuser, Apotheke, Schule, Volkshochschule, Pflege und Betreuungsorganisationen, Einkaufszentrum, Polizeidienststellen, Bücherei, Pfarre, Community Nurses wurden demenzfreundlich – sie alle sind als Netzwerk verbunden, das stetig wächst.

"Wir sehen unser Netzwerk als Sorge-Netzwerk. Im Zentrum stehen die Menschen, die wir begleiten oder beraten. Es geht um Bewusstseinsbildung und bürger:innenschaftliches Engagement, damit die unterschiedlichen Angebote für Menschen mit Vergesslichkeit niederschwellig zu erreichen sind. Nur ein starkes Netzwerk kann Demenz in die Mitte der Gesellschaft holen!", erzählt Hallwirth-Spörk. Mittlerweile sind alle Bezirke Wiens demenzfreundlich und unter dem Dach "Demenzfreundliches Wien" versammelt. Die Entstehung der demenzfreundlichen Städte und Gemeinden eng mit der österreichischen Demenzstrategie verbunden.

"Teilhabe und Selbstbestimmung der Betroffenen sicherstellen" nennt sich das erste Wirkungsziel der Österreichischen Demenzstrategie. "Die demenzsensible Gestaltung des Lebensumfeldes, aber auch Wertschätzung und Selbstbestimmung ermöglichen Menschen mit Demenz und deren An- und Zugehörigen soziale Teilhabe. Damit wird ein wichtiger Beitrag zu höherer Lebensqualität der Betroffenen geleistet." Neben dem Demenzfreundlichen Wien gibt es in allen Bundesländern demenzfreundliche Städte, Regionen oder Gemeinden, die daran arbeiten, Demenz zu enttabuisieren.

Fehlende (nachhaltige) Finanzierung

Offenbar tut sich viel im Bereich Demenz. Ist also alles gut? Mitnichten. Die Österreichische Demenzstrategie selbst verfügt über keine finanziellen Mittel. Viele der Leistungen, die im Rahmen der demenzfreundlichen Städte, Gemeinden und Regionen erbracht werden, werden nur minimal durch öffentliche Gelder unterstützt. Den Großteil der entstehenden Kosten tragen die Organisationen selbst, viele engagierte Menschen arbeiten ehrenamtlich. Initiativen, die die (unterstützte) Selbsthilfe von Menschen mit Demenz zum Ziel haben, werden nicht gefördert oder finanziert. Viele Projekte erhalten nach dem Projektzeitraum keine Anschlussfinanzierung und werden daraufhin entweder von den Organisationen mit eigenen Mitteln getragen oder von den handelnden Personen ehrenamtlich weitergeführt. In vielen Fällen werden Förderungen oder Unterstützungen von öffentlicher Seite nur für ein Jahr bewilligt, ohne Zusage für kommende Perioden.

Nachhaltige Veränderung und substantieller Wandel kann aber nur durch gesicherte, regelhafte Finanzierung passieren. Sie kann nicht auf den Schultern ehrenamtliche tätiger Menschen und Organisationen stattfinden. Regelhafte Finanzierung ist der Nährboden und die Triebfeder für die Entwicklung neuer Ideen, partizipative Forschung, soziale Teilhabe und Wissensvermittlung. Die Gesetzwerdung des Hospiz und Palliativfondsgesetztes nach jahrzehntelangem Ringen hat gezeigt, dass es funktionieren kann. Wir sind gefordert. Bleiben wir dran, bleiben wir laut, bleiben wir lästig, auch wenn es immer wieder schwierig ist und sein wird. Bleiben wird dran. Because we care. Demenz geht uns alle an. (Marianne Buchegger, 25.1.2024)