Person mit kurzer Sommerkleidung geht mit zwei Gießkannen an Feldern mit Sonnenblumen und anderen Kulturpflanzen vorbei, im Hintergrund sieht man den Spittelauer Turm der Wiener Fernwärme.
In Wien und vielen anderen Städten wird innerhalb der Stadtgrenzen Obst und Gemüse angebaut. Das ist nicht unbedingt nachhaltiger als konventionelle Produkte.
APA/TOBIAS STEINMAURER

Ein kleines Feld auf dem Flachdach, vertikale Gärten an der Fassade und im Hof zwischen den Hochhäusern ein paar Hochbeete: An Zukunftsvisionen für städtische Begrünung inklusive Gemüseanbau mangelt es nicht. Teilweise werden sie bereits umgesetzt, Urban-Gardening-Projekte finden sich in fast jeder größeren Stadt Europas. Das hat diverse Vorteile für Psyche und Gemeinschaftsgefühl – wenn man dabei Lebensmittel anbaut, ist das aber in vielen Fällen nicht nachhaltiger als Obst und Gemüse aus dem Supermarkt. Das zeigt eine aktuelle Studie aus dem Fachmagazin "Nature Cities", die den fossilen Fußabdruck von in Städten angebauten Nahrungsmitteln erstmals in großem Umfang analysierte.

"Urban Agriculture" nennt sich das Phänomen, das die Nahrungsmittelversorgung der Stadtbevölkerung erneuern soll. Manche Schätzungen gehen davon aus, dass schon jetzt 20 bis 30 Prozent der Stadtbevölkerung irgendeine Form der städtischen Landwirtschaft betreiben – und sei es nur das austrocknungsgefährdete Basilikum auf dem Fensterbrett. Natürlich lässt sich nicht plötzlich der Umfang riesiger Felder in die Innenstädte und an den urbanen Straßenrand verlegen. Aber mehr Landwirtschaft in Städten hilft nachweislich bei einer gesunden Ernährung. Und in kleinerem Maßstab könnte sie etwa dafür sorgen, dass manche Produkte nicht mehr über weite Strecken in die Ballungszentren transportiert werden müssen. So jedenfalls die Hoffnung.

Nicht ressourcenschonend

Mit Blick auf den CO2-Fußabdruck sieht dies aber nicht gerade rosig aus, wenn man die Ergebnisse der aktuellen Studie berücksichtigt. Im Durchschnitt hatte dieselbe Menge an Kulturpflanzen aus städtischen Gärten einen sechsmal höheren CO2-Verbrauch als konventionelle Landwirtschaft, schreibt das internationale Forschungsteam um Jason Hawes und Benjamin Goldstein von der University of Michigan. Eingerechnet sind etwa Ressourcen für Zäune und Beete, Bewässerung, Dünger und Schädlingsbekämpfungsmittel.

Salatbeete, im Hintergrund sind moderne weiße Hochhäuser zum Wohnen zu sehen
Ein städtischer Garten im französischen Nantes. Dies ist eine von 73 großen und kleinen Stadtfarmen, die in der Studie berücksichtigt wurden.
Baptiste Grard

Die beiden Erstautoren sammelten 2019 mit Kolleginnen und Kollegen Daten aus den USA, Großbritannien, Deutschland, Frankreich und Polen. Mit dabei waren auch Fachleute des deutschen Instituts für Landes- und Stadtentwicklungsforschung (ILS) in Dortmund. Die 73 untersuchten Urban-Agriculture-Standorte reichten von New York über Paris bis ins Ruhrgebiet. Wer dort in Stadtgärten Pflanzen anbaute, wurde als Bürgerforscher oder Bürgerforscherin rekrutiert und führte Tagebuch über alles, was ins Beet hineingesteckt wurde, und alles, was als Ernte herauskam.

Die Masse macht's

Klar ist, dass man als Stadtgärtchen mit der Effizienz konventioneller landwirtschaftlicher Betriebe kaum konkurrieren kann. Wer eine einzelne Pflanzenart en masse anbaut, hat pro Kilogramm Ernte einen geringeren Aufwand, was beispielsweise Pestizide und Dünger angeht.

Die größte CO2-Verursacherin ist dabei die Infrastruktur. Vom Holz für Hochbeete bis hin zu den Steinen, die Pfade zwischen den Parzellen pflastern: Die Baumaterialien haben keine gute Klimabilanz. Das liegt daran, dass die städtischen Gartenanlagen viel zu kurzfristig bewirtschaftet werden, sagt Goldstein: "Sie sind in der Regel nur einige Jahre oder ein Jahrzehnt im Einsatz, sodass die Treibhausgase, die zur Herstellung dieser Materialien verwendet werden, nicht effektiv genutzt werden."

Mehr Tomaten anbauen

Was die Studie nicht behauptet: Es hat gar keinen Sinn, in Städten Obst und Gemüse anzubauen. Wie so oft kommt es auf das einzelne Projekt an. Generell ist der Ausstoß an CO2-Äquivalenten bei städtischer Landwirtschaft sogar besser im Vergleich zu Pflanzen, die normalerweise in Gewächshäusern angebaut werden, wie Hawes und sein Team feststellten. Das sind gute Nachrichten für Paradeiser beziehungsweise für deren gartelnde Liebhaberinnen und Liebhaber.

Frau mit grauweißen Locken in blauem Blumenkleid erntet im Garten Gemüse
Tomaten stellten sich im Test als Gemüse (oder streng genommen: Beere) mit guter städtischer Klimabilanz heraus, weil sie industriell in Gewächshäusern mit höherem CO2-Verbrauch gezüchtet werden.
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Gleiches gilt für Nahrungsmittel, die per Luftfracht an den Ort des Konsums transportiert werden. Kauft man beispielsweise Spargel aus regionalem Anbau, fällt dessen Klimabilanz tendenziell besser aus, als wenn man ihn in einem Stadtgarten kultivieren würde. Lässt man ihn aber einfliegen, kippt das Verhältnis zugunsten der urbanen Agrarkultur.

In einer Aussendung der Universität Michigan gibt das Forschungsteam drei weitere Tipps für nachhaltigeres Stadtgärtnern:

Den Fachleuten geht es freilich nicht darum, die Praktik zu diskreditieren, sondern nachhaltiger zu machen: "Diese Studie zeigt Wege auf, wie sichergestellt werden kann, dass die urbane Landwirtschaft nicht nur dem Klima, sondern auch den Menschen und Orten, denen sie dient, zugutekommt", sagt Hawes. Immerhin sei der Kulturpflanzenanbau für Städte der Zukunft ein "attraktives Merkmal", das viele soziale, lokale und ernährungsbezogene Umweltvorteile bietet.

Menschen bearbeiten kleine Felder
Urbane Landwirtschaft bei Utrecht in den Niederlanden. Professionell geführte Stadtfarmen sorgen für einen geringeren Ressourcenverbrauch, der konventioneller Landwirtschaft sehr nahekommt.
EPA/RAMON VAN FLYMEN

Die Studie liefert außerdem einen Vergleich verschiedener Stadtgärten. Wer individuell eine Parzelle bewirtschaftet oder Gemeinschaftsgärten nutzt, ist längst nicht so effizient wie professionell geführte Stadtfarmen, die auf die Lebensmittelproduktion ausgerichtet sind. Ihre Klimabilanz ist klarerweise viel besser – und jener von konventioneller Landwirtschaft sehr ähnlich. Dafür dürften soziale Komponenten eine kleinere Rolle spielen – wie auch der Versuch "naturferner" Städter, das eigene Bewusstsein für die grüne Umwelt zu schärfen, sich gesünder zu ernähren und einem sinnvollen Hobby nachzugehen. (sic, 23.1.2024)