Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) stimmt sich und das Land langsam auf den Wahlkampf ein.
APA/MAX SLOVENCIK

Die Konturen des kommenden Wahlkampfs nehmen langsam Gestalt an. Die ÖVP will offenbar mit einer großangelegten Steuer- und Abgabenentlastung punkten. Am Freitag wird Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) in Wels einen "Österreich-Plan" vorstellen, ein Teil des Wirtschaftsprogramms, das er dort präsentieren will, fand bereits seinen Weg in die Medien. Demnach wird der Kanzler die Absenkung des Eingangsteuersatzes von aktuell 20 Prozent auf 15 Prozent vorschlagen. Auch die Lohnnebenkosten sollen sinken. Arbeitsminister Martin Kocher (ÖVP) hatte bereits vor einigen Tagen in einem Blog vorgeschlagen, selbige stufenweise abzusenken, um 0,5 Prozentpunkte pro Jahr. Nehammer propagiert das nun bis 2030 – und die ÖVP setzt schon mal ein Thema.

Die Frage, die sich bei allen politischen Versprechungen stellt: Können wir uns das leisten? Hier dürfte es von Expertenseite Bedenken geben. Ausgerechnet im ÖVP-geführten Finanzministerium müsste man nämlich der Ansicht sein, dass budgetäre Spielräume in den kommenden Jahren eher kleiner statt größer werden. Alle drei Jahre lässt das Finanzministerium erheben, wie es um Österreichs Finanzen langfristig bestellt ist. Die jüngste umfassende Analyse dazu stammt vom Forschungsinstitut Wifo von Ende 2022. Und die lässt nicht wirklich erkennen, wie eine umfassende Steuersenkung ohne Gegenfinanzierung aussehen könnte.

In der Projektion hat der Ökonom Stefan Schiman unterstellt, die aktuelle Steuer- und Wirtschaftspolitik würde unverändert fortgeführt werden. Wie würden sich dann Ein- und Ausgaben des Staates bis 2060 entwickeln? Die Analyse zeigt, dass der Druck aufs Budget rasant zunimmt, und zwar wegen der fortschreitenden Alterung der Gesellschaft. Die Eckdaten: Geburtenstarke Jahrgänge zwischen 1946 und 1964 sind bereits in Pension oder gehen nun in Ruhestand. Gleichzeitig bleibt die Fertilität niedrig, während die Lebenserwartung weiter etwas zunehmen sollte.

Die Folge: Die am schnellsten wachsende Gruppe ist jene der Personen über 65. Aktuell gehören 1,75 Millionen Menschen oder 19,5 Prozent der Gesamtbevölkerung dieser Gruppe an. Bis 2060 sollen es 2,72 Millionen Menschen oder 27 Prozent der Bevölkerung sein.

Staatliche Pflegeausgaben verdoppeln sich

Die staatlichen Ausgaben für Pflege, Gesundheit, Pensionen nehmen somit zu. Allein die Kosten für die Pflege werden sich mehr als verdoppeln. Die demografieabhängigen Ausgaben steigen von 29,8 Prozent der Wirtschaftsleistung bis auf 34,8 Prozent im Jahr 2060 an. Die Folge ist, dass das einfachste Jahr aus budgetärer Sicht 2027 ist. Danach wird es enger und enger. Die Defizite legen von Jahr zu Jahr zu.

Druck entsteht aber auch, weil die Zinskosten für den Staat steigen und steigen und sich in etwa verdreifachen werden. Nach der Finanzkrise sind die Leitzinsen lange Zeit bei null gestanden, die Europäische Zentralbank (EZB) hat Staatsanleihen von Staaten gekauft und damit Kredite für Regierungen billiger gemacht. Doch damit ist es inzwischen vorbei, seit 2022 steigen die Kosten fürs Schuldenmachen wieder.

Die Folge von alldem: Die Staatsschuldenquote klettert von aktuell etwa 76 Prozent auf mehr als 120 Prozent bis 2060. Nun ist so eine Projektion natürlich mit enormer Unsicherheit behaftet. So wird eine Wachstumsrate für die Wirtschaft viele Jahrzehnte in die Zukunft unterstellt, 1,2 Prozent im Schnitt pro Jahr sollen es sein. Die Bevölkerungsprognose ist nur eine Schätzung, gerade größere Zuwanderungswellen lassen sich nicht vorhersagen. Es könnte also auch anders kommen.

Aber aktuell sind das die besten Zahlen, die vorliegen, zumal in vielen Bereichen auch nicht mit steigenden Ausgaben gerechnet wird. So sind zusätzliche Investitionen in Klimaschutz oder Bildung hier nicht berücksichtigt. Angesichts der Ausgangslage sei offensichtlich, "dass bei jeder angekündigten Steuersenkung klargemacht werden muss, wie gegenfinanziert wird", sagt der Budgetexperte des Wifo, Hans Pitlik.

Wifo/BMF/Standard

Ein Punkt, den auch der Chef des Fiskalrats, Christoph Badelt, unterstreicht. "Wer die Abgabenquote senken will, muss seriöserweise dazusagen, wie das gehen soll", sagt er. Zumal schon jetzt, also noch ohne dass die steigenden alterungsbedingten Ausgaben sich voll auswirken, der Staat ansehnliche Budgetdefizite einfahre. Möglich wäre es, Kosten mit einer Verwaltungsreform einzusparen. Ob das reicht, um nennenswerte Beiträge für eine Steuersenkung zu generieren, ist fraglich. Badelt sagt dazu nur so viel: "Seit Jahrzehnten ist von einer Verwaltungsreform die Rede. Wenn diese einfach umzusetzen wäre, schätze ich, dass das schon geschehen wäre." Andere Einschnitte mit großem Einsparungspotenzial sind politisch heikler – Stichwort Pensionen.

Weniger Arbeitslosenversicherung?

In der Vergangenheit hätte es noch einen Absicherungsmechanismus gegeben, um mit hohen Ausgabensteigerungen leichter fertig zu werden: die kalte Progression, also schleichende Steuererhöhungen. Die hat die türkis-grüne Koalition aber abgeschafft, dieser Puffer ist somit weg.

Sicher ist, Nehammers Vorschläge kosten viel Geld. Jeder Prozentpunkt, um den die Einkommenssteuer sinkt, bedeutet für den Staat 400 Millionen Euro weniger an Einnahmen. Wären also zwei Milliarden Euro, wenn der Eingangssteuersatz auf 15 Prozent reduziert wird. Der Steuersatz gilt für alle Beschäftigten aktuell für jenen Teil ihres Einkommens, das zwischen 12.816 und 20.818 Euro liegt. Die Absenkung der Lohnnebenkosten würde im Vollausbau zusätzlich vier Milliarden Euro kosten.

Der Kanzler dürfte vorschlagen, die Beiträge der Unternehmen in den Familienlastenausgleichsfonds (FLAF) zu reduzieren, aus dem unter anderem die Schülerfreifahrt finanziert wird. Auch die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung sollen sinken. (András Szigetvari, 23.1.2024)